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das Grün; Blindmolle und Zieselmäuse sonnen sich vor ihren unterirdischen Bauten; hoppelnd kommt Meister Lampe daher, cavalierement jede Gefahr verachtend; Zwergtrappen fahren auf aus dem Buriannest, kreischende Falken und Weihen streichen niedrig dahin, mit scharfem Auge nach Beute spähend.

Alles dies und noch viel mehr hat mir die Steppe gezeigt auf der täglichen Wanderung, die ich, theils in Begleitung meines Gastfreundes, theils allein und ziellos, regelmäßig unternahm im Wagen, zu Pferd und zu Fuß. Einen vollen Monat verbrachten wir in der Einöde; dann und wann wurden die Nachbarn besucht – der nächste blos etwa 120 Werst weit! – aber auch die Nachbarn wohnten mitten in der Steppe. Jagdzüge und ritterliche Uebungen verkürzten die Zeit, welche übrig blieb nach einer oft anstrengenden Thätigkeit, und die wiederholte Besichtigung des weitläufigen Gebietes und seines Zubehörs hielt uns stets in Athem. Zu dem letzteren rechne ich vorzugsweise die großen Heerden, welche es einzig ermöglichen, der Steppe genügenden Nutzen abzuringen.

Es gehört wenig Phantasie dazu, sich urplötzlich in die südamerikanischen Pampas versetzt zu wähnen, wenn ein Tabun halbwilder Steppenpferde mit donnerndem Hufschlag daherbraust, der Tränke zu, hinter ihnen drein wilde, dunkelhäutige Tataren oder Zigeuner in der malerischsten Tracht der Zerrissenheit; voran der führende Hengst, den Kopf hoch, die Ohren gespitzt, mit weit aufgeblasenen Nüstern, als suche er herausfordernd die Gefahr; rechts und links in der bräunlichen Staubwolke lustig springende Füllen, zuweilen von ihrer Mutter mit strafendem Biß genöthigt, sich nicht zu weit von dem Trupp zu entfernen. Die wilden Augen, die langen, gewellten Mähnen, welche oft bis herab zu den Knieen reichen, die schweren, verworrenen Schweife, die den Boden fegen, und die große Verschiedenheit in der Färbung der Thiere – obwohl das Fahle immer vorherrscht – vervollständigen den Eindruck, welchen die oft gelesene Beschreibung und die Catlin’schen Abbildungen der Mustangheerden hinterlassen haben. Und merkwürdig ist die Aehnlichkeit der Gebräuche, welche so weit von einander entfernte Völker sich zu einem und demselben Zwecke angeeignet haben. Wie der Gaucho oder Comanche den Lasso, so führt der Tatare und Kirgise den Arkan, die gefürchtete Riemenschlinge, die er mit unfehlbarer Sicherheit wirft und damit ein bestimmtes Pferd aus der Mitte des Tabuns herausholt. Dann aber muß man die Thiere sehen, wenn der Arkan über ihren Häuptern schwirrt! Mit verzweifelnder Hast drängen sie hinweg von dem Opfer, bäumen sich, schlagen, um Raum zu gewinnen, Wiehern und Angstgeschrei erfüllt ohrzerreißend die Luft, bis der zusammengeballte Knäuel sich gelöst hat, und nunmehr die Pferde nach allen Richtungen der Windrose auseinander stieben. Allein die Rufe der Leithengste locken die Gescheuchten bald wieder in die eifersüchtig gehüteten Trupps zusammen, und nicht lange, so ist die Gefahr vergessen, während sie in der Gestalt der gut berittenen Hirten schon wieder ganz nahe ist. Es gibt kein aufregenderes Schauspiel, als solches Pferdejagen.

Aber dabei muß man auch die Tataren sehen. Die verschiedenen Völkerschaften der russischen Steppen, Kosaken, Baschkiren, Tschuwaschen, Mordwinen und Zigeuner sind sammt und sonders vortreffliche Reiter und von frühester Jugend an auf dem Pferde, so daß sie vollständig mit ihm zusammenwachsen. Allen voran aber ist der Tatar als verwegenster Reiter, kühner Rossebändiger und gewiegter Pferdekenner; daneben hat er in seiner ganzen Haltung wie in den Gesichtszügen etwas Nobles und Ritterliches, welches den übrigen genannten Racen abgeht. Jedoch der Schein trügt; wer dies erfahren will, braucht sich mit ihm nur in irgend einen Handel einzulassen, am liebsten in einen Pferdehandel. Mit dem Arkan in der Hand, zeigt er sich aber durchaus nur von der vortheilhaften Seite. Das auserkorene Thier, meistens ein dreijähriges Fohlen, das noch niemals des Menschen Hand und Macht erprobt hat, macht erschreckt verzweiflungsvolle Anstrengungen, um der Schlinge zu entgehen, aber dadurch zieht sich diese nur immer enger zusammen und schnürt ihm dermaßen den Hals zu, daß es röchelnd hinstürzt. Wie eine Katze arbeitet sich nun der vom eigenen Pferde gesprungene Tatar, Hand um Hand vorgreifend, an dem Arkan hin, bis zu dem zappelnden, bewußtlosen Wildling; in einem Augenblick ist demselben ein Zaum über den Kopf gestreift, ein Gebiß in das Maul geschoben; dann wird die furchtbare Schlinge gelöst. Zu sich kommend, liegt das Fohlen einen Augenblick da in stillem Staunen, auf einmal wird ihm das Bewußtsein seiner Lage, wie der Blitz springt es auf die Beine – aber umsonst, eben so rasch sitzt schon sein Bändiger auf seinem Rücken. Mag dann das entsetzte Roß thun und versuchen, was es nur will, es gelingt ihm nicht mehr, seine alte Unabhängigkeit zurückzuerobern. Freilich schießt es kreischend, schlagend, schüttelnd, um sich beißend, in tollen Sätzen hinaus in die Steppe, aber in wenigen Stunden kommt es zurück, gebändigt und gelehrig; es ist der Civilisation gewonnen und läßt sich den Sattel auflegen. Oder auch muß man die Tataren sehen bei einem Wettrennen, ihrer größten Belustigung, namentlich wenn es ihnen gelungen ist, einige Theilnehmer nicht aus ihrem Stamme, einen kecken Muschik oder einen selbstgenügsamen Colonisten, dafür zu gewinnen. Mit diesen spielen sie im Anfang, wie die Katze mit der Maus, und so vollendet sind ihre Reiterkünste, daß sie auf’s Haar genau zu berechnen wissen, wenn es Zeit ist, alle Kraft zu entfalten. Darin trügen sie sich nie, und bei allen Steppenrennen sind stets nur die Tataren die Sieger; ihre ausgezeichneten Pferde – größer wie diejenigen der eigentlichen Steppenrace – haben sogar schon manches Vollblut geschlagen, das Jahre lang auf dem Turf den Preis da- von getragen hatte.

Dann wiederum besuchten wir die Rinderheerden, die in großen Trupps von mehreren hundert Stück da und dort weideten. Es sind prächtige Thiere, von der im ganzen Südosten Europa’s verbreiteten sogenannten podolischen Race, von weißgrauer Farbe und mit großen, nach einwärts gekrümmten Hörnern. Das stete freie Leben Jahr aus Jahr ein in der Steppe hat ihnen den dummstieren Ausdruck genommen, der sie da kennzeichnet, wo sie nur im Stalle gehalten werden; mit großen klugen Augen blicken sie umher, muthig schnaubend senken sie die Hörner und scharren mit den Füßen, wenn sie Gefahr wittern, etwa ein unbekannter Hund naht; aber plötzlich ergreift sie doch eine Furcht, und schlank und leicht fliegen sie dahin über das Blachfeld, wie Hirsche, die Schweife hoch in der Luft, brüllend und den Boden stampfend. Leider decimirt eine furchtbare Seuche, die Rinderpest, alljährlich die Heerden dieser nützlichen Thiere in erschreckender Weise. Dieselbe kommt immer aus dem Osten, aber Niemand weiß bis heute, wo sie zuerst auftritt und wie sie entsteht. Der über allen Begriff abergläubische Bauer der Steppen identificirt die Seuche einem geheimnißvollen überirdischen Wesen, der Pestjungfrau, Morr genannt, die auf weißen Fittigen schauerlich über die Länder schwebt, und die Orte aufsucht, welchen sie Opfer auferlegen will, wobei sie in höchst irregulärer Weise vom geraden Wege abweicht und oft viele Werste überspringt, um plötzlich in einem Bezirk aufzutauchen, wo man gar nicht an sie gedacht hat. Die Ceremonien, welche die Landleute, oft mit dem Beistand ihrer Popen, gegen das Gespenst vornehmen, sind höchst sonderbar. Sobald die Seuche ausgebrochen ist, eilt, was von Menschen Leben und Bewegung hat, nach der Kirche, worin eine feierliche Messe celebrirt wird. Nach derselben schreitet Kind und Kegel in langem Zug hinaus vor das Dorf, auf einen geeigneten Platz; gewählt wird zu der Proccdur am liebsten eines der kreisrunden Tatarengräber oder ein anderer schmaler Hügel. Mitten durch denselben ist ein schmaler Stollen gegraben, so daß eben zwei Menschen sich neben einander hindurchdrängen können. Vor dem jenseitigen Ausgange ist ein ungeheurer Haufen Burian aufgethürmt. Mittlerweile sind die gesammten Rinderheerden des Dorfes herbeigetrieben worden und werden von berittenen Hirten auf dem Platze gehalten. Die ältesten und angesehensten Einwohner schreiten zuerst durch den Höhlengang, sie sind bewaffnet mit zwei Stäben von verschiedenem Holz; durch rasches, fortgesetztes Drehen des härteren in dem weichen müssen sie ein Feuer entzünden, um den Burian anzubrennen; auf andere Weise ist dies nicht erlaubt, es müssen sogar währenddem die Feuer in allen Behausungen sorgfältig gelöscht sein. Durch das brennende Geniste eilen die Aeltesten; sobald der Rauch emporwirbelt, werden auch die Heerden stückweise in den Gang und durch das Feuer getrieben; ihnen folgen zuletzt alle Männer des Dorfes; Weiber und Kinder bleiben nur Zuschauer. Ist dieser Exorcismus vorüber, dann geschieht sorglos nicht das Mindeste mehr gegen die Seuche; es braucht kaum gesagt zu werden, wie wenig er hilft.

Das werthvollste Product der Steppen ist die Wolle ihrer Schafheerden, die sich von Jahr zu Jahr in erstaunlichem Maße vermehren, da die Gutsbesitzer eingesehen haben, wie wenig Stutereien und Rindviehzucht da einbringen, wo es an genügendem Absatz fehlt. Um einen Begriff von der Ausdehnung dortiger Schäfereien zu geben, führe ich an, daß ein deutscher Colonist in der Molotschna, Friedrich Fein, ein schlichter würtembergischer Bauer,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_175.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2023)