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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

ging, während einige Polizeileute voraus, andere hinter ihm schritten, doch so, daß dadurch auf der Straße kein Aufsehen erregt wurde. In Mazas wurde er in die „zweite Logenreihe“ geführt und erhielt Zelle Numero Sechzig angewiesen. Nach einigen Tagen fand ein Verhör statt, und nun erfuhr der Arzt sein schweres „Verbrechen“. Die Polizei hatte bei einem Apotheker, der gleichfalls verhaftet worden war, einen Subscriptionsbogen gefunden, welcher zu milden Zwecken aufforderte. Es handelte sich nämlich darum, die blutarme und darbende Wittwe des phantastischen Cabet, des Gründers von Icarien, mit dem Nothwendigsten zu unterstützen. Cabet war ein communistischer Schwärmer, der seine Weltbeglückungsversuche, die freilich alle scheitern mußten, weil sie gegen das Wesen der menschlichen Natur verstießen, in Nordamerika probirt und seine Habe verzettelt hatte. Aber im napoleonischen Frankreich ist es ein Verbrechen, eine hungernde Wittwe zu sättigen, wenn ihr Mann für mißliebig galt.

Odet hat längere Zeit in Mazas gesessen; er ist später freigelassen worden; man sagt, daß es seinen Freunden gelungen sei, einige Bureauchefs zu bestechen. Bekanntlich ist in dem Beamtenwesen Frankreichs unter Ludwig Napoleon eine fürchterliche Verderbniß eingerissen und die Bestechung an der Tagesordnung.

Noch pikanter ist die Geschichte des Herrn Flemming, die in englischen Blättern von diesem selbst sehr ausführlich erzählt wurde. Dieser Mann stammt von deutschen Eltern in England, wo er sich zu der Partei der Radicalen hält. Er war kaum ein paar Tage wegen einiger „Geschäftssachen“ in Paris, als ein „Monsieur“ mit dem Auftrage erschien, ihn nach der Polizeipräfectur zu begleiten. Sofort begab er sich dorthin und hatte mit einem Bureauchef folgende Unterhaltung.

„Sie sind nach Paris gekommen, um hier Gelder einzucassiren?“

„Ganz recht. Alte Schulden, die mein Freund Ludwig Napoleon für sich und seine Freunde in London zurückgelassen hat.“

„Das ist eine Verleumdung.“

„Nein, das ist keine Verleumdung. Die Papiere sind beim Notar Cordier, Rue de la Paix, hinterlegt. Herr von Persigny weigerte sich, die Schuld anzuerkennen.“

„Weshalb sind Sie mit Ihren Ansprüchen nicht früher hervorgetreten?“

„Weil ich die schriftlichen Beweise nicht in Händen hatte. Diese sind aber in dem Nachlasse des Capitain Franconville gefunden worden, desselben, der den Louis Napoleon auf seinem Schiffe nach Boulogne führte. Franconville hat sein Geld erhalten, aber diese meine Forderungen sind von meinem Freunde Louis – –“

Kaiser Napoleon dem Dritten – –“

„Meinetwegen denn, vom Kaiser Napoleon dem Dritten deshalb nicht berücksichtigt worden, weil ich ihm nach dem 2. December 1851 die Freundschaft aufkündigte.“

„Weshalb machen Sie Ihre Forderung nicht vor einem englischen Gericht anhängig?“

„Das will ich Ihnen sagen. Ueber Schuldverschreibungen, welche französische Börsenspeculanten betreffen, können nur französische Gerichte entscheiden und zwar mit Zuziehung französischer Zeugen. Die Wechsel Ihres Kaisers Napoleon des Dritten sind ihrer Zeit mit 65 Procent Verlust angebracht worden, und die Deckung – –“

„Genug. Ich werde Sie von zwei Agenten nach Ihrem Hotel begleiten lassen, dort haben Sie Ihre Koffer zu packen und sofort abzureisen. Hier ist Ihr Zwangspaß.“

„Ich protestire gegen diese Willkür; der englische Gesandte –“

„Dafür ist gesorgt. Ihre Geldangelegenheit wird, auf Grundlage Ihrer Papiere, mit Ihrem Notar abgemacht werden. Wenn Sie Scandal verhüten, dann wird sich die Sache schon ausgleichen.“

Der Bureauchef klingelte, und Herr Flemming mußte aus dem napoleonisch beglückten Frankreich sofort abreisen.

Und nun zum Schlusse noch eine erbauliche Geschichte, über welche gleichfalls in England ein Document veröffentlicht worden ist, denn bei dem napoleonischen Preßzwange in Frankreich kann nichts gegen den Retter der Gesellschaft gedruckt werden.

Ein Herr Gartineau war Herausgeber der Zeitung „Le Guetteur“ in der nordfranzösischen Stadt St. Quentin. Diese wollte er dem Präfecten Napoleons nicht verkaufen, sondern gedachte eine gewisse Unabhängigkeit zu behaupten. Seitdem gehörte er zu den Verdächtigen und den „Internirten von 1851“. Er wurde bei Nacht und Nebel aufgehoben und nach Mazas geschafft. Dort eröffnete man ihm 1858, daß er nach Lambessa transportirt werden solle, weil er schon vor sieben Jahren als verdächtig internirt worden sei.

Gartineau wollte von seiner Frau Abschied nehmen und schrieb einen ergreifenden Brief, dessen Schluß lautet: „Bringe das Kind nicht mit; unter den obwaltenden Umständen könnte ich seinen Anblick nicht ertragen.“ Aber er sah weder Kind noch Frau. Durch ein „Versehen“ gelangte der Brief in die Hände der Frau. Sie kam nach Paris und flehte um die Erlaubniß, von ihrem Manne Abschied nehmen zu dürfen. Aber vergeblich; die napoleonische Polizei kennt kein Erbarmen. Sie hielt sich Tag und Nacht in der Nähe des Gefängnisses auf; sie weinte bitterlich und bat, ihren Mann nach Afrika begleiten zu dürfen. Auch ein solcher Trost wurde weder ihr, noch ihm; Gartineau wurde nach Lambessa geschafft, wo er sich noch befindet.[1]

Der Gewaltherrscher, welcher eines solchen Systemes bedarf, hat die Dreistigkeit, sich für einen Vorkämpfer der „Civilisation“ auszugeben und, während Frankreich in entwürdigender Knechtschaft sich befindet und von einem solchen Manne zur Ruhestörung Europa’s sich mißbrauchen läßt, anderen Völkern die „Befreiung“ bringen zu wollen! Kann es einen alberneren Widersinn geben, und hat die Welt eine größere Tollheit gesehen, als jene der thörichten Italiener, die sich an einen solchen Mann hängen, der sie doch nur zur Erreichung seiner selbstsüchtigen und tyrannischen Zwecke ausbeutet?




Alexander von Humboldt’s Tod und Leichenbegängniß.

Der Fürst der Wissenschaft, der erhabene Herrscher von Gottes Gnaden im Reiche der Geister ist nicht mehr.

Alexander von Humboldt starb am 6. Mai 1859.

Neunzig Jahre waren ihm geschenkt, ein seltenes Alter von ungeschwächter Kraft. Die Natur, welche sich in ihm erschaute und durch ihn erfaßte, schien zu zögern, ihr eigenes Meisterwerk und Organ zu zerstören.

Ihm wurde ein ungewöhnliches Glück zu Theil, neidlose Anerkennung seiner Zeitgenossen, Unsterblichkeit, während er noch lebte.

An seiner Leiche trauert die ganze Welt, nicht Länder, sondern


  1. Auch wir können ein Beispiel napoleonischer Polizeiwirthschaft mittheilen. Ein uns bekannter deutscher Arzt, der seit einer Reihe von Jahren Frankreich bewohnt, in Paris ansässig und Mitglied der französischen Nationalgarde war, dabei seine Praxis meist nur in den ersten Häusern von Paris hatte und in stetem Verkehr mit allen wissenschaftlichen Celebritäten des sogenannten Centralpunktes europäischer Intelligenz war, erhielt vor circa zwei Monaten plötzlich den ministeriellen Befehl, Frankreich zu verlassen, da er ein „höchst staatsgefährliches Subject“ und nicht länger in den Grenzen des Kaiserreichs zu dulden sei. Obwohl sich unser Landsmann niemals um Politik bekümmert und in staatsgefährlichen Dingen überhaupt ein ganz reines Gewissen hatte, so war einem so bestimmt ausgesprochenen Befehle gegenüber doch jede Protestation vergeblich, und achtundvierzig Stunden später befand er sich bereits in London. Erst später erfuhr er den Grund seiner Ausweisung. Als leidenschaftlicher Schachspieler hatte er in der letzten Zeit vielfach mit dort auf Urlaub lebenden österreichischen Officieren, guten Schachspielern, verkehrt und dabei auch die Kunst des Rösselsprunges cultivirt, deren Resultate er dann seinen außer Paris und in Deutschland wohnenden Freunden brieflich in Ziffern mittheilte. Die heillose Furcht der Regierung vor Verschwörungen und politischen Umtrieben sah in diesen Ziffern geheime staatsgefährliche Mittheilungen, zumal der Schreiber viel mit österreichischen Officieren verkehrte, und ohne weiter zu untersuchen, decretirte sie die Ausweisung des unschuldigen Schachspielers. Und der Moniteur hat die Frechheit, der ganzen civilisirten Welt in’s Gesicht zu rufen: „Unser Land wird der Welt noch zeigen, daß es nicht entartet ist.“      D. Redact.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_315.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2023)