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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Vier Jahre in Cayenne.
(Schluß.)

„Die Daumenschrauben! Legt diesen Canaillen die Daumenschrauben an!“ riefen die Einen.

„An den Pfahl mit diesen Hunden, an den Pfahl!“ riefen Andere.

Einer von unsern Unglücksgenossen wollte sich zur Wehre setzen. In dem ungleichen Kampfe, der sich zwischen ihm und den Soldaten entspann, ward ihm beinahe die Hälfte des Bartes ausgerissen.

Die Daumenschrauben wurden angelegt und – wie dies allemal geschieht – so lange zugedreht, bis das Blut unter den Nägeln hervorspritzte. Nun ging es nach dem Marterwerkzeug, dem Pfahl. Der Pfahl ist an einer völlig schattenfreien, kahlen Stelle aufgepflanzt. Er ist sieben Fuß hoch und hält zwanzig Centimeter im Viereck.

Man belastete die Füße des ersten Gefangenen, an welchem die Tortur vollstreckt werden sollte, mit sechzig Pfund Ketten und stellte ihn an den Pfahl. Hier band man ihn mit einem Strick um die Beine herum fest, schlang mit demselben Strick einen zweiten Knoten um die Schenkel und den Pfahl herum, zog ihn dann über den Hüften um den Gürtel des Gefangenen und um die auf den Rücken gelegten Armgelenke herum, und befestigte ihn nochmals an den Pfahl. Dann ward ein zweiter Strick über die Schultern herabgezogen, an dem Gürtel befestigt und mit seinen beiden Enden über zwei Rollen gelegt, über welche er einen Augenblick lang schlaff herabhing.

Ein gemeiner, nicht politischer Sträfling, welcher Henkersdienste verrichtete, zog nun den Strick an. Die Arm- und Beingelenke knackten. Kalter Schweiß perlte auf der Stirn des Gefolterten. Seine Augen unterliefen mit Blut und traten aus ihren Höhlen heraus. Sein Mund verzerrte sich vom Ausdruck eines unsäglichen Schmerzes, dennoch ließ er keine Klage, keinen Schrei hören. Der Henker zog schärfer an. Die für diese Folter festgesetzte Zeit beträgt zwei Stunden! Und es wird dabei vorausgesetzt, daß, wenn der Gefolterte um Gnade schreit, man aufhört, den Strick schärfer anzuziehen, obschon der Gefangene angebunden bleibt, bis die zwei Stunden um sind. Die senkrecht auf ihn herabbrennende Sonne verherrlicht Ludwig Napoleon und die Gesetzgeber von 1849. Ein brennender Durst verzehrt den Gefolterten, der Druck steigert sich mit dem jedesmaligen Einathmen der glühenden Luft, die Adern schwellen immer heftiger pulsirend an und drohen zu bersten.

Die Leiden unseres unglücklichen Freundes hatten kaum erst eine halbe Stunde gedauert, und schon wurden seine Lippen weiß, seine Augen schlossen sich, sein Haupt sank und er ward ohnmächtig. Man ließ den Strick ein wenig nach, aber es verging eine volle Stunde, ehe der Gefolterte wieder zur Besinnung kam.

Als die zwei Stunden um waren, ward das Schlachtopfer losgebunden und auf den Boden gelegt. Es blieben nun noch drei Verurtheilte zu martern. Die Sonne war dem Untergange nahe. Man folterte daher nur noch einen, und verschob die Folter der beiden andern bis auf den nächstfolgenden Tag. Man brachte bei den zweien, welche bereits am Pfahle gestanden, die Ketten wieder in Ordnung und drehete bei den andern die Daumenschrauben noch ein wenig schärfer zu. Einer von ihnen stieß einen Schrei aus. Man hatte ihm den Knochen des einen Daumens zerbrochen. Die Verurtheilten wurden hierauf in die Gefängnisse der Königsinsel gebracht.

Der Leser glaubt vielleicht, daß die kaiserliche Rache sich hiermit begnüge, aber er muß wissen, daß ein Gefangener niemals zu weniger als fünfzehn Tagen Pfahlstrafe, dies heißt also sechzig Stunden – zwei Stunden des Morgens und zwei Stunden des Abends – verurtheilt wird.

Es waren in der letzten Zeit von Cayenne und der Mutterinsel aus mehrere zum Theil gelungene Fluchtversuche unternommen worden. Der Gouverneur und der Admiral beschlossen deshalb, die schärfste Ueberwachung anzuordnen und die Teufelsinsel, auf der wir uns jetzt befanden, demselben Regime zu unterwerfen, wie die Königsinsel und die Insel Saint Joseph, welche vorzugsweise von gemeinen Verbrechern bewohnt waren.

Wir ahnten diesen Entschluß, während zugleich die Kenntniß von dem glücklichen Entrinnen mehrerer unserer Unglücksgefährten unsere Phantasie erhitzt hatte. Eines Abends, als wir in ziemlich großer Anzahl an dem nördlichen Ende der Insel versammelt waren, wo in der Regel ein frischer Wind weht und wohin wir uns oft begaben, um, wie wir sagten, die „Luft Frankreichs“ zu athmen, sprach man von den zu erwartenden strengen Maßregeln, von der Flucht mehrerer unserer Cameraden mittelst eines heimlich von ihnen erbauten Flosses und endlich von der Nothwendigkeit, für uns ebenfalls ein solches Floß zu fertigen.

Wir beschlossen, eins zu bauen, welches groß genug wäre, um zwanzig Personen zu tragen, und zwanzig von uns machten sich sofort an die Arbeit. Diese war jedoch nicht leicht, denn es gab auf der ganzen Insel kein Stück Holz von nur einigermaßen erheblicher Größe. Das Gouvernement kam jedoch – natürlich ohne es zu wollen – unsern Wünschen entgegen, indem es mehrere zerlegte Häuser, die für die künftig unter uns wohnen sollenden Gensd’armen, Aufseher und Marinesoldaten bestimmt waren, auf unsere Insel schaffen ließ. Dies war natürlich ein kostbares Material für uns, da wir aber alle drei Tage einen Besuch des Gouverneurs zu erwarten hatten, und überdies seit einiger Zeit ein Souslieutenant vom Geniewesen, ein sehr gefährliches Individuum, während der weniger heißen Stunden des Tages auf der Teufelsinsel blieb, um uns im Auge zu behalten, so konnten wir dieses Material nur mit der größten Vorsicht und Zurückhaltung berühren. Ueberdies reichten die vorhandenen Holzstücke nur hin, um einen Rahmen zu bilden, der dann durch ein anderes Material ausgefüllt werden mußte.

Einer von uns berechnete, daß drei einen Meter lange zusammengebundene Maisstengel acht Pfund tragen könnten. Mais gab es auf der Insel in Ueberfluß. Man stellte nochmalige Experimente an, legte ein Bündel von dreißig Stengeln in’s Wasser, ein Mann, der seine hundertundzwanzig bis hundertundvierzig Pfund wog, setzte sich darauf und sank nicht unter. Nun schnitten wir ungefähr sechstausend Maisstengel ab, die wir in Bündel von dreißig bis fünfunddreißig Stengel banden. Ebenso schnitten wir eine gewisse Quantität Ricinus ab, dessen Stengel noch mehr Widerstand bietet als der des Mais, und machten ähnliche Bündel daraus. Die Arbeit konnte nur während der heißesten Stunden stattfinden, ward aber mit unermüdlichem Eifer betrieben. Wir erfrischten uns durch den Gedanken an die Rückkehr nach Europa, an die Rückkehr zu unsern Freunden, unsern Frauen, unsern Kindern. Wir schmeckten im Voraus die Freude, zu erzählen, was wir gelitten, und diejenigen Lügen zu strafen, welche, im Finstern schleichend, den furchtbarsten Bürgerkrieg führen und dann von dem Frieden Europa’s, von der Ruhe Frankreichs und von der Milde des Kaisers sprechen.

Noch ehe wir mit unserm Floß fertig waren, beschlossen wieder vierzehn unserer Unglücksgenossen, sich ebenfalls eins zu bauen, und wurden zugleich mit uns fertig.

Beide Flosse waren nach einem und demselben System erbaut. Man befestigte die Maisbündel auf Holzstücken von der Breite des Rahmens, dann befestigte man über denselben die Ricinusbündel, welche, weil sie härter waren, den Füßen größeren Widerstand leisten konnten. Auf die Querhölzer, welche die Bündel trugen, nagelte man Breter, wobei man jedoch eine Oeffnung für das Wasser offen ließ. Dann ward ein Geländer von ungefähr zwei Ellen angebracht. Wir hatten einen ungefähr zehn Ellen hohen und acht bis neun Zoll starken Mast, der in eins der Querstücken eingesetzt ward. Was unser Segel betraf, so war es von der besten Leinwand und wir brauchten, um es zu verfertigen, blos den Stoff von vierzehn Hemden seiner ersten Bestimmung zurückzugeben.

Es war sehr stürmisches Wetter, der Wind wehete mit außerordentlicher Heftigkeit, das Meer war mit weißem Schaum bedeckt, aber trotz dieses Windes schwitzten wir bei unserer Arbeit.

In noch nicht ganz vier Stunden waren wir damit fertig, und alle, auch diejenigen unserer unglücklichen Freunde, welche unsern Fluchtversuch nicht mit wagen wollten, halfen die Flosse mit in das Meer schieben.

Hierauf lud man die Mundvorräthe auf. Sie bestanden in süßen Kartoffeln, Brod, einigem auf der Insel erlegten und gebratenen Geflügel und den Lebensmitteln, die wir erst diesen Morgen für die nächsten drei Tage empfangen hatten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_366.jpg&oldid=- (Version vom 27.6.2023)