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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

habe ich ihrer und des heutigen Tages vergessen. Ich hoffte ihn, den Freund meiner Jugend, wiederzusehen und – warum sollt’ ich es verschweigen? die Jugendgeliebte!“

„Hier?“ fragte sie auffahrend, und die Adern ihrer Stirn schwollen. „Im Schloß?“

„Oben in dem Erkerzimmer, dessen Fenster nach dem Fluß und den Bergen hinausgehen, hatte dieser Verräther Clemens ein prächtiges Fest zu geben versprochen – und was ist nun aus all’ den Herrlichkeiten geworden?“

„Schaum!“ erwiderte sie mit einem fast höhnischen Lächeln, er aber scherzte in seinem elegischen Tone weiter: „Nicht einen Kranz hat er an die Pforte seines Schlosses gehängt, nicht einen armseligen Kranz von Eichenlaub und Waldblumen! Und sie wird kommen, wie ich gekommen bin, sie war vielleicht schon an dem verschlossenen Thor und mußte zurück!“

„Nein; keine Dame hat seit Wochen nach Herrn von Arnheim gefragt.“

„Und nichts ist zu ihrer Aufnahme angeordnet?“

„Nichts.“ Dies sprach sie mit schneidender Kälte.

„Dann ist ein wichtiges Ereigniß geschehen – und ich fürchte, meine Gnädigste, ich gehöre nicht mehr auf diesen Boden.“

„Da Sie mir so viel gestanden, mein Herr, darf ich Sie nicht von hinnen lassen. Einen Fremden hätte ich abweisen können, aber nicht einen Freund des Herrn von Arnheim, er würde es mir niemals verzeihen. Ich denke immer, er kommt noch, er und jene Dame, sie mögen sich beide schon in der Hauptstadt getroffen haben.“

„Auch das wäre treulos! Fünf Jahre lang, so schwuren wir uns, gerade an der Stelle, wo die steinerne Bank nun steht, uns nicht zu sehen, nicht zu schreiben, nur an jedem ersten September uns eine Rose und einen Gruß gegenseitig zum Zeichen, daß wir noch lebten, zu schicken – und endlich nach fünf Jahren uns hier wiederzutreffen, anders vielleicht an Leib und Geist, aber mit demselben Herzen voll Liebe und Treue, wie am Tage, wo wir schieden.“

Sie hatte ihr Gesicht von ihm gewandt, eine Thräne schimmerte in ihrem Auge. „Das hätte Clemens,“ fragte sie mit leiser, unterdrückter Stimme zurück, „das hätten Sie gethan und gehalten?“

„Bis heute – ja! Heute aber sind zwei treulos geworden, und der Bund ist zerrissen.“

„Welche Schwärmerei!“ Und doch glühte sie über und über und reichte ihm ihre Hand. Er zog sie flüchtig an seine Lippen. „Spotten Sie nur,“ meinte er gutmüthig. „Wir waren alle drei wilde, tolle, aber begeisterungsfreudige Menschen, und es war kindisch, aber doch schön, schön, wie ich seitdem nichts wieder erlebt! Nun will ich wenigstens, wie die alten Vehmboten, ein Zeichen zurücklassen, daß ich hier gewesen“ – und er schnitt drei Spähne aus dem blitzgetroffenen Baum und zeigte auf die halbverwischten, aber doch noch sichtbaren, in einander verschlungenen Buchstaben C – A – B – „Clemens, Adele, Bruno,“ sagte er beinahe schmerzlich zu seiner Gefährtin, die nahe zu ihm getreten war und mit demselben schmerzlichen Ausdruck auf den Buchstaben weilte, die auf dem weißgrauen Holze sich in röthlich ausgeblaßten Zügen abhoben. „Sie sind mit Blut geschrieben,“ fuhr er fort, „und doch schon halb verschwunden. Wie lange werden sie noch dauern? Wie lange die Erinnerung an jene Stunde noch in uns mächtig sein? Auf dieser Flucht aller Dinge, was hielte beständig an seiner Stelle aus? Und wenn Alles vorüberfließt, was quälen wir uns nur mit Sorgen und Gedanken?“

„Was quälen wir uns nur?“ hauchte es wie ein Echo in ihrer tiefsten Seele nach.

Wie er jetzt den Kopf nach der Seite hinneigte, konnte ihr Blick, ohne von ihm belauscht zu werden, jede Furche seiner Stirn, jede Wimper seines Auges bemerken. Ein schauerndes Entzücken rauschte über sie hin, durch alle ihre Adern … so allein mit ihm zu sein, mit ihm zu reden, aus jedem seiner Worte den Hauch seines Geistes, die Gluth seines Herzens um sich wehen, von seiner Hand die ihrige berührt zu fühlen – war es ein Traum, der sie plötzlich für so viel Trauer und Entbehrungen überreich belohnte, war es holde, greifbare Wirklichkeit? Aber ach! er kannte sie nicht, er verstand nicht das Zucken und Zittern ihrer Glieder, das unruhige Rauschen ihres Gewandes, er wußte weder die rosigen Flammen ihrer Wangen noch ihre aus Seligkeit und Schmerz wunderbar gemischte Stimmung zu deuten. Ihm war sie fremd, viel fremder, als die Bäume und Gebüsche umher, und doch gab es, mußte es in seinen Erinnerungen eine Stelle geben, wo sie stand, wenn auch von Nebelschleiern verhüllt – eine Stelle, daran sie nur nicht zu rühren wagte. Während sie ihm so nahe stand, daß sein Athem die braunen Locken ihres Haars leicht auf ihrem weißen Nacken kräuselte, dachte er nur an Clemens, nur an Adele – und dennoch fühlte sie sich glücklich, erhoben; das Schicksal schien mit ihr zu sein und jenen Faden seiner Vergangenheit, den sie selbst gewebt und den sie noch in Händen hielt, zu einer glücklichen Zukunft fortspinnen zu wollen. Noch war ihr Blick auf ihn gerichtet, da wandte er sich und sagte: „Es ist immer kläglich, in der alten Asche nach einem verlorenen Funken zu wühlen.“

„Nein, nein!“ winkte sie, „Mir ist Alles neu und so licht wie ein Traum. Nie hat Herr von Arnheim ein halbes Wort von diesen Geschichten zu mir geredet.“

„Vielleicht hat er über eine neue Liebe die alte vergessen.“

„Mag sein,“ entgegnete sie wegwerfend. „Er wird denken, Staub zu Staub. Aber darf ich Sie nun einladen, in das Schloß zu kommen? Von jenem Erkerzimmer, das Sie so gut zu kennen scheinen, läßt sich die Landstraße überschauen, auf der Ihr Freund und Ihre Freundin kommen müssen, Herr Bruno –“

Sie stockte erröthend, weil sein Name sich unwillkürlich aus ihrem Herzen auf ihre Lippen gedrängt, er verstand sie anders – „Bruno Berghaupt,“ sagte er. Nun wurde ihr Antlitz noch flammender, als sie sich leicht verneigte und mit zitternder Stimme erwiderte: „Ich bin Isolde Schönfeld.“ Er hatte nur ihren Vornamen Isolde vernommen.

Neben einander gingen sie auf dem schmalen Pfade entlang; ihm fiel ihre edle, schlanke Gestalt auf, die vornehme und doch anmuthige Ruhe ihrer Haltung und ihres Wesens, dem jede Aufregung fremd zu sein schien. Sonst war sie trotz des Glanzes, den die Sonne über ihr Antlitz ausstrahlte, nicht eben schön; sie mochte dreiundzwanzig Jahre zählen, welche die erste rosige Jugendfrische von ihren Wangen gewischt, dafür aber einen Duft von Melancholie und Lieblichkeit über sie ausgestreut hatten, der für Bruno, wenigstens in seiner gegenwärtigen Stimmung, den verlornen Schimmer hinlänglich ersetzte.

Der Pfad mündete jetzt in eine breite Linden- und Kastanienallee, an deren Ausgang das Schloß mit seinen Fensterreihen sichtbar ward. Zu der Mitte des Laubgangs, an der steinernen Vase, die voll bunter Blumen und Kränze prangte, hielt sie erschöpft von dem hastigen Laufe inne, stützte den Arm auf einen der erhabenen Henkel des Gefäßes und schaute mit strahlendem Auge bald zu Bruno, bald über den Park hin – Alles war in den milden, röthlich goldenen Ton des Sonnenuntergangs gekleidet und strahlte in bezaubernder Frische und Schönheit.

„Wahrlich,“ sagte Bruno, „um diese Stätte könnte ich den liebsten Freund beneiden! Wie duftig, erquickend, wie zauberhaft still! Hier sich selbst leben und den Wandlungen der Natur! Aber so sind die Götter: denen schenken sie Ruhe und Glück, die am wenigsten ihren Werth verstehen und sich am liebsten auf der hohen Fluth des Lebens umhertreiben lassen. Clemens ist viel zu ehrgeizig für diese Stille – oder liebt er die Besitzung?“

„Er besucht sie nur selten,“ antwortete sie ausweichend. „Allein Sie kannten den Garten bei den Lebzeiten des alten Herrn von Arnheim,“ fuhr sie eifrig fort, „hat er nicht unter der neuen Herrschaft gewonnen?“

So kamen sie, von Blumen redend, von italienischen Villen und englischen Parks, ehe sie es glaubten, an die Stufen, die zu dem Schlosse hinaufführten. Als Bruno die Diener seine Begleiterin als „gnädiges Fräulein“ begrüßen hörte, mit einem Blick bemerkte, daß man ihr wie der Herrin des Hauses entgegenkam und ihre Befehle empfing, ward er in seinem Entschluß schwankend. Oben, an der großen Glasthüre, welche eben ein Diener geschäftig öffnete, berührte er leise ihre Hand: „Ich bin Ihnen zum wärmsten Dank verpflichtet, Gnädigste, Sie ließen mich freundlich nicht den schönsten, aber den mir vieltheuersten Garten auf Erden noch einmal durchschreiten, mein Jugendparadies – ich danke Ihnen für diese Stunde auf immer! Damit ist indeß der Höflichkeit überreich Genüge geschehen, ich werde Clemens morgen in der Hauptstadt aufsuchen und –“

„Bis dahin unten im Wirthshaus bleiben?“ lachte sie. „O, das entläuft Ihnen nicht. Bedenken Sie wohl, daß ich Ihnen nur bis Mitternacht das Schloß zum Asyl anbieten darf. Bis dahin müssen Sie mir gehorchen, Sie müssen!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_018.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)