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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Zimmer hallte von Ihrem Lobe wieder, und da saß ich hochklopfenden Herzens, mit glühenden Wangen, in unsagbarer Seligkeit, den Preis meines Geliebten mit begierigem Ohre einsaugend. Meine Unruhe mußte mich Clemens verrathen haben, er führte mich durch den Garten, er sprach nur von Ihnen, aber er sagte mir auch, daß Sie Adele liebten. Und heute wie damals zerreißt dieser Gedanke mein Herz, ja meine Neigung ist grausam und ausschließlich. Nur müssen Sie Mitleid mit mir haben; wie bin ich dafür bestraft worden, mit eigener Verzweiflung, mit Ihrer Verachtung! An jenem ersten September, wo Sie sich mit Clemens schlugen, lag ich in Fieberphantasien, von den Aerzten aufgegeben, auch ich hatte Ihnen mit dem Blute meines Herzens das Unselige geschrieben.

„Meine Jugendkraft rettete mich, ich genas und erfuhr nun, daß Sie seit Wochen die Stadt verlassen hätten; wohin Sie gegangen, wußte Niemand. Nichts hoffen, nichts begehren, hatte mir der Vater so oft gesagt, das allein macht unser Glück aus. Ich war jetzt in dem Falle, die Wahrheit dieser Lehre an mir selbst zu prüfen: weder vom Leben, noch von dem Geschick erwartete ich fortan ein Zeichen der Gunst. Und gerade damals strömte eine Fülle des Segens auf mich nieder. Der alte Graf Arnheim hatte Gefallen an mir gefunden, er rief mich in’s Schloß, ich wurde die Stütze und Trösterin seines Alters. Willig gehorchte ich seinen Wünschen und schmiegte mich in all seine Launen. Sein Verhältniß zu Clemens ward täglich unsicherer und unleidlicher; während er mit warmer Vorliebe von Ihnen redete, gedachte er seines Neffen mit Abneigung und Haß. Sie haben mir gestern Clemens in einer Glorie gezeigt, die ich nie um ihn gesehen, es ist etwas Heimliches, kalt Berechnendes in ihm, Verstellung und Verstand zugleich, das ihn auf immer von der offenen, aufrichtigen und aufbrausenden Natur seines Oheims trennen mußte. Familienzwistigkeiten mochten hinzukommen, es war im Voraus ersichtlich, daß ihm die große Erbschaft nicht zufallen würde – im Gegentheil, nach dem Tode des Grafen war ich, die arme, bis dahin kaum beachtete Isolde Schönfeld, die Herrin großer Güter, eine der reichsten Frauen des Landes geworden. Wenn nicht schon früher, so haßte mich Clemens von diesem Augenblicke an, es war die nothwendige Folge unserer veränderten Stellung.

„Sie sind wahr zu mir gewesen, Bruno, Sie können das Gleiche von mir verlangen, ich fürchte auch nicht, daß Sie mich darum geringer schätzen. Ich war zwanzig Jahre alt, die unabhängige Herrin meines Vermögens, Vater und Mutter mir gestorben, außer meiner alten Tante und meinen Brüdern, die in fernen Garnisonen standen, ich für mich allein auf der Welt. Die Gesellschaft hatte mich so lange mißhandelt, zurückgesetzt, daß ich ihr nun meinerseits diese Verachtung zurückzuzahlen beschloß. Wären Sie mir damals plötzlich erschienen, wie Ihr Bild allnächtlich durch meine Träume irrte – o, wie viel besser wäre Alles geworden! So rissen mich die Leidenschaften des Stolzes und des Trotzes auf abschüssiger Bahn dahin, ich selbst kam mir vor, wie eine Fürstin, die auf goldenem Wagen durch die Reihen eines jubelnden Volkes fährt. Mein war, was mein Wille begehrte – Sie ausgenommen, Bruno, und dieser Stachel schärfte mein unruhiges Verlangen nach ewig neuem Genuß und berauschender Betäubung. Diese Jahre – ich will sie nicht feige vor Ihnen bereuen und beklagen; der verdiente nicht die Frucht der Hesperiden zu kosten, der sie nachher giftig und verderblich schilt. Eine volle Rose blühte das Leben vor mir auf, sonnendurchleuchtet, duftberauschend … Ach! es war nicht jener zarte, farbige Schmelz der Jugend, es waren nicht die Thautropfen mehr in den Kelchen der Blumen, die ich Ihnen pflückte – und doch, es war eine namenlos herrliche, im Aetherglanz schimmernde Welt!“

Alle Blüthen aus ihren Locken hatte sie zerpflückt, und die bunten Blätter lagen hingestreut auf den Falten ihres weißen Gewandes, nun zog sie es fester an sich und schüttelte die Blätter weithin über den Fußboden, wie herabrieselnde Regentropfen. Und wie sie niederfielen, verlor auch ihr Antlitz den jubelnden, bacchantischen Ausdruck, den es bei ihren letzten Worten angenommen, und wurde wieder ernst und still.

„Nun steh’ ich blüthenlos vor Ihnen, bis auf das heilige, unentweihte Veilchen in meinem Herzen, die erste Liebe. Aber Sie erfuhren es ja auch im Lauf des Lebens – was gilt denn ein Herz? Unter den geringen Waaren ist es die geringste, und gerade das edelste findet keinen Käufer. Das glauben Sie mir wohl, daß ich das meinige Niemand schenken konnte, Niemand, als dem, der es verschmäht hatte. Unter so Vielen, die um mich warben, gehörte Clemens zu den Unermüdlichsten; die Erbschaft, die er verloren, gedachte er so am leichtesten wiederzugewinnen“.

„Nein, nein!“ unterbrach sie Bruno, „er liebt sie wahrhaftig.“

„Dann ist seine Seele voll unergründlicher Tücke. O, vertheidigen Sie ihn nicht; die Briefe, die Sie ihm gegeben, lösen mir jedes Räthsel, auch das seiner Liebe. Ich erschrak oft über seine lauschenden, forschenden Blicke, über die Kenntniß, die er von den verborgensten Seiten meines Wesens hatte; Sie gaben ihm den Schlüssel dazu. Dennoch merkte er bald, daß ich ihm nie meine Hand reichen würde, daß ich Andere ihm vorzöge, und er beschloß, mich zu verderben. Wie ich mein Leben auch gestaltete, er hatte kein Recht, mir einen Vorwurf daraus zu machen, aber erst heimlich, dann lauter verfolgte mich Gerücht auf Gerücht. Die vornehme Gesellschaft haßte mich, weil ich ihr trotzte und mich hochmüthig außerhalb ihrer Formen gestellt. Nur rächen sich diese verachteten Formen und zwingen uns zuletzt doch, mit gebrochener Kraft, wieder unter ihr eisernes Joch. Es hieß, man wolle mir einen Spiegel der Tugend vorhalten, in dem ich erschreckend mein häßliches Bild erblicken würde. Tugend – wer riefe nicht ihren Namen an? Schade, daß Jeder eine andere Göttin darunter versteht! Dem, was die Welt so nannte, mochte ich oft zuwidergehandelt haben, ich mußte nun meine Strafe leiden. Wahrheit und Lüge mischte sich wunderlich in den Beschuldigungen zusammen, die mich trafen und die alle ihren Ursprung zuletzt in Clemens’ Aeußerungen über mich fanden. Was ich Ihnen in der Ueberschwänglichkeit der Leidenschaft geschrieben, ich glaub’ es jetzt nur zu gewiß, diente ihm vor Andern meine Verworfenheit zu beweisen; die heiligsten Ergießungen meines Herzens nannte die Menge Frevel. Ja, Bruno, das Mädchen, das Sie liebte, hieß eine verworfene Frau. – Ich bin nicht dazu geschaffen, mich zu vertheidigen, ich hielt den Sturm eine Weile muthig aus, zuletzt kränkte, verletzte mich Alles, ich verließ die Stadt und lebe nun schon seit einem Jahre abgeschieden auf diesem Landgute. In der Einsamkeit erwachten die alten Erinnerungen wieder, das Angedenken an Sie – es war ein stiller Hafen, in den der Schiffer nach gewaltigem Unwetter flüchtet. Wieder hatte die Lehre des Vaters, die Philosophie der Entsagung gesiegt. Freilich waren Sie mir verloren, kaum ein und ein anderes Mal hatte das Gerücht Ihren Namen zu mir getragen. Lebten Sie noch? Aber so sind wir, ich hoffte dennoch auf ein Wunder des Schicksals zu meinen Gunsten, daß wir uns noch einmal begegnen würden.

„Im Winter dieses Jahres starb meine Tante. Bei ihrem Begräbniß erschien Clemens nach langer Abwesenheit wieder in meinem Hause. Er sah bleich, krank aus und war von inneren und äußeren Schmerzen geplagt. Wenn er mit mir sprach, schlug er das Auge nicht auf, sein ganzes Wesen drückte Zerknirschung aus. Habe ich ihn doch mit Unrecht beschuldigt? fragte ich mich unwillkürlich. Er bat mich um eine Unterredung, ich bewilligte sie ihm. Von allen Vorwürfen, die ihm mein Herz im Stillen gemacht, nahm er selbst nicht einen zurück, er erkannte sich als schuldig, als unwerth meiner Huld und Freundschaft an, aber er liebe mich, so oder so hätte er mich gewinnen wollen. Ich saß wie betäubt vor ihm; war Alles, was er sagte, Blendwerk und Spiel, konnte die Leidenschaft zu solcher Verirrung führen? Nichts in seinem Benehmen, seinem Ton zeigte von Verstellung, von überlegter List – dennoch überzeugte er mich nicht; zu tiefe Wurzeln hatte die Abneigung gegen ihn in meiner Brust geschlagen, er mich zu tief beleidigt, als daß seine augenblickliche Reue mich versöhnt hätte. Indeß, er war jetzt der einzige Verwandte, der in meiner Nähe weilte, sein offenes Geständniß raubte mir den Vorwand, ihm noch ferner mein Haus und meine Gegenwart zu versagen. Er kam öfters zu mir heraus, immer gleich zurückhaltend, ergeben, nie herrisch und hochmüthig, wie er mir sonst entgegengetreten; er fühle wohl, sagte er mir, daß er nur ein geduldeter Besuch im Schlosse wäre und keine größere Gunst verlangen könne; ich dagegen versicherte ihm, wenn er bei dieser Gesinnung bliebe, würde er mir stets willkommen sein. So selten indeß seine Besuche auch waren, so kurz sie dauerten, fielen sie doch auf; eine Frau, mit deren Ruf man einmal leichtsinnig gespielt hat, ist allen Verleumdungen ausgesetzt. Hatte Clemens darauf einen neuen Plan gebaut, mich zu gewinnen? Als ich darüber mit ihm redete, entfärbte er sich. „Sie werden meinen Versicherungen nicht glauben, Cousine, daß ich an alledem unschuldig bin, und doch schwöre ich es Ihnen zu. Uebrigens gibt es zwei

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_050.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2017)