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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

sich die finsteren Bäume selbst von dem Nachthimmel ab, wie eine gespenstige Versammlung, die rings aufgestellt war, das Kommende zu belauschen. Hier und da rauschte und knickte es in dem todtenstillen Wald, dann fuhr Paul nach dem Gewehre, ließ es aber immer wieder sinken, denn es war entweder ein spätes Wild, das durch die Zweige brach, oder eine Eule, die sich kreischend von ihrem Sitze erhob. Endlich aber wurde ein bestimmtes Geräusch hörbar, sich immer gleich wiederholend und immer näher kommend; es waren die Tritte eines Menschen.

„Er ist’s,“ murmelte Paul, spannte leise den Hahn und lauerte dann, den Kolben an’s Gesicht gedrückt, auf die jetzt vom vollen Mondlicht beschienene Waldblöße hin.

Aus den Bäumen trat allmählich die dunkle Gestalt eines Mannes hervor, und kam den Waldpfad heran, aber nicht wie Jemand, der Eile hat, sondern bedächtig und zögernd, als wäre das Herz nicht bei dem Wege, den die Beine gingen.

Es war Hans.

Schon zuckte Paul’s Finger an dem verhängnißvollen Drücker – da erklang aus weiter Ferne, halb verweht, aber doch deutlich hörbar, das feine Glöckchen herüber, das im Dorfner Kloster die Mitternacht anläutete. Es war, als ob mitten im einsamen Walde eine Menschenstimme wach geworden wäre und zu den Beiden sprach, die sich so nahe gegenüber standen.

Hans stand eine Secunde still, nahm den Hut ab und bekreuzte sich – Paul aber ward es dunkel vor den Augen, der Gewehrlauf senkte sich unwillkürlich und Hans ging seines Weges, nicht ahnend wie nahe ihm der Tod gewesen.

In wahnsinniger Aufregung stürzte Paul durch das Gehölze fort, pfadlos dem Huberhofe zu.

Jetzt trat Hans aus dem Walde hervor, und vor ihm lag die ganze Gegend im hellen Mondlicht da. In der Tiefe, zwischen den Hügelreihen hin ruhte der Nebel wie ein weißes breites Gewässer auf dem Moorgrunde, die Hügelreihen zu beiden Seiten aber ragten in voller Klarheit daraus hervor, und jedes Fenster der Höfe und Häuser auf ihnen war zu erkennen.

Unwillkürlich wendete Hans seine Augen nach dem Brandlhofe zu, der so ruhig da lag, als wäre es nur ein Traum gewesen, was seinen sichern Frieden erst vor so kurzer Zeit und so furchtbar unterbrochen hatte. Lange blickte er hinüber, die Gedanken flogen mit den Blicken zu Rosel, und es kam ihm vor, als wäre eines der Fenster noch beleuchtet. Das mußte Rosel’s Fenster sein – sie war also so spät noch wach; sie weinte und trauerte – vielleicht seinetwegen, denn das hatte sie nicht zu verstecken vermocht, daß auch sie ergriffen gewesen war bei dem letzten Gespräch. Wenn er hinüber eilen würde – es war ja nur eine kurze Strecke, und zu dem unglückseligen Bildstock im Schwarzbühel kam er immer noch früh genug! Vielleicht konnte er sie sehen und noch einmal mit seinen Betheuerungen bestürmen, vielleicht ….

Ehe er sich den Entschluß selbst klar gemacht hatte, waren auch die Füße den Augen und Gedanken gefolgt; er schritt die Anhöhe hinan und stand bald unter der großen Linde vor dem Brandlgute, gegenüber den Fenstern, wo sich nach der gewohnten Einrichtung die Schlafkammern der Dienstboten und also auch Rosel’s befinden mußten.

Rosel hatte ihr Nachtgebet schon geraume Zeit beendet, das Gebetbuch der Mutter geschlossen und den Wachsstock ausgelöscht – aber die Ruhe und der Schlaf wollten nicht kommen. Was sollte sie thun? Sie mußte sich selbst auslachen, wenn sie dachte, daß sie einen Augenblick hatte glauben können, die schöne Huberin, eine kreuzbrave Person, ein Weibsbild, sei der gefürchtete Räuberhauptmann! Welch’ ein Unheil könnte sie anrichten, wenn sie einen solchen Gedanken laut werden ließe! Und doch, wenn sie sich den Ton zurückrief, womit ihr die Bäuerin dieselben Worte zugerufen, wie der Räuber, dann fühlte sie es bestimmt, daß sie sich nicht täuschte! War es denn nicht doch möglich, daß die Bäuerin und der rothe Hannickel eine und dieselbe Person waren? Und sollte sie nun ihren Verdacht verschweigen und dadurch vielleicht schuld sein an weitern Unglücks- und Frevelthaten? Warum hatte Hans es so schmerzlich bitter bereut, daß er auf den Huberhof gekommen war? Es war offenbar, daß er etwas Schweres auf dem Gewissen hatte – vielleicht wußte er um die Schandthaten der Bäuerin, war vielleicht selbst einer von den Räubern … sie konnte damit nicht in’s Reine kommen.

„Ich will einmal darüber schlafen,“ sagte sie zuletzt, „und morgen, wenn’s Tag ist, hinübergehen zum Herrn Pfarrer. Das ist ein gescheidter, freundlicher alter Herr, der wird wohl einen Rath für mich haben.“

Sie trat noch einen Augenblick an das geöffnete Fensterchen und sah beruhigtern Gemüthes in die taghelle schweigende Mondnacht hinaus. Da kam ihr wieder Hans in den Sinn. „Es ist recht schade,“ sagte sie still hin, „daß wir nicht haben ausreden können! Wer weiß, was er mir gesagt hätt’, denn weh ist ihm um’s Herz gewesen – bitter weh – das hab’ ich wohl gesehen – und ganz vergessen hat er die Rosel auch noch nicht … Aber vielleicht hat er sich auch nur so gestellt! Er ist ein gewandter, leichtsinniger Bursch’, und ich bin ein dummes Ding, daß ich noch an ihn denk’! Die schönen Worte sind bei den Mannsleuten wohlfeil, und wenn’s ihm so Ernst wär’, wüßt’ er mich wohl zu finden …“

Rosel brach in diesem Sellstgespräch plötzlich ab und mußte mit Gewalt an sich halten, um nicht aufzuschreien. Regte sich nicht dort etwas unter der großen Linde? Kam nicht ein Bursch’ aus dem Schatten des Baumes halb heraus in den Mondschein? Also hatte sie sich doch nicht getäuscht; er kam wirklich, ihr sein bedrängtes Herz auszuschütten – es war Hans.

Bald verschwand auch der letzte Zweifel, denn sie hörte ganz deutlich, wie er leise ihren Namen rief. Sie schwieg, aber sie schloß das Fenster nicht; das war nach dortiger Sitte das Zeichen, daß sie den Besuch des Burschen, der zu ihr „zum Fensterl’n“ gekommen war, nicht zurückwies.

Hans wußte das auch wohl zu deuten, denn schon im nächsten Augenblicke war er an dem Holzvorrathe, der unter dem Fenster aufgeschichtet lag, emporgeklettert. Er stand ihr nun so nahe, daß er mit ausgestrecktem Arme bis zum Fenster empor reichen und Rosel’s Hand fassen konnte, wenn sie ihm selbe durch das Gitterkreuz entgegen gereicht haben würde.

„Was willst Du noch bei mir?“ fragte Rosel nach einer kurzen Pause beiderseitiger Befangenheit.

„Du weißt es, Rosel,“ erwiderte Hans leidenschaftlich. „Ich hab’ Dir’s heute schon gesagt, aber Du bist mir die Antwort darauf schuldig geblieben.“

„Ich hab’ Dir Alles gesagt, was ich sagen kann!“

„Also ist’s aus mit uns für ewige Zeiten? Du stoß’st mich ganz von Dir? Du willst es haben, daß ich zu Grund’ geh’ für Zeit und Ewigkeit?“

„Red’ nicht so lästerlich! Wie soll ich das wollen! Du liebe Mutter von Oetting, ich wünsch’ ja nur, daß es Dir recht gut geh’n soll!“

„Dann mußt Du mich auch anhören, Rosel … mußt mir wieder gut sein … o mein blutiger Heiland, wenn Du Alles wüßtest …“

Rosel schrak zusammen, eine Secunde lang hatte sie vermocht, alle ihre Sorgen und Befürchtungen zu vergessen. Sie schlug die Hände zusammen und rief schmerzlich … „Hans, Hans, ich fürcht’ alleweil – ich weiß schon mehr als gut ist! Deine Bäuerin …“

„Hast Du’s errathen, Rosel?“ rief Hans mit zitternder Stimme. Und als Rosel nicht gleich antwortete, frug er dringender: „Rosel, Du weißt’s, aber sag’, wie ist das möglich gewesen?“

„Ich hab’ sie heut’ wieder erkannt an der Stimm’ … Es ist also wirklich wahr, sie ist der rothe Hannickel? Und Du, Hans … Du weißt davon? Du bist vielleicht selbst einer von ihren Raubgenossen?“

Hans vermochte nicht zu sprechen, aber sein Schweigen war nicht minder verständlich. „O du liebe Mutter von Oetting,“ wimmerte das Mädchen, ein Thränenstrom brach aus ihren Augen und benetzte die Eisenstangen des Gitters, an das sie die heißen Wangen drückte.

„Du glaubst es nicht, was sie für ein Weib ist,“ sagte endlich Hans, „sie hat mich verblend’t und verführt … sie ist kein Mensch, wie ein anderer – sie ist der leibhaftige Teufel! Aber jetzt, wo Du Alles weißt, jetzt sag’ mir, hilf mir, rathe mir, was ich thun soll, wie ich mich los machen kann, wenn’s nicht schon zu spät ist! …“

Rosel lag mit dem Gesicht auf ihren thränenübergossenen Armen und brauchte geraume Zeit, ehe sie sich fassen konnte. „Zum Umkehren und Besserwerden ist’s nie zu spät!“ sagte sie endlich. „Aber was sollst Du thun? Der Weg überallhin ist ein gar bitterer! Ist’s denn möglich – Du, der liebe gute Hans, der keinem Kind was zu Leid’ hätt’ thun können, Du bist so ein schrecklicher Mensch geworden? Ist’s denn möglich, daß Dich der liebe Gott so arg hat verlassen können? …“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_063.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)