Seite:Die Gartenlaube (1861) 190.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

aller Art, Butter, Milch und dergleichen. Das zur Füllung dieser Kühlapparate nöthige Eis läßt sich wohl in größern Städten, welche ihre Eiscompagnien haben und das Eis jeden Morgen ihren Abonnenten in’s Haus liefern, verschaffen, aber nicht in kleinen Orten. In diesen kann man sich nur durch ein eigenes Eishaus helfen oder zur Verminderung der Kosten durch den Zusammentritt mehrerer Familien, welche sich ein gemeinschaftliches erbauen lassen. Da man jetzt auch in Deutschland anfängt (in Leipzig z. B. befindet sich ein Hauptdepot bei Herrn C. F. Jage), sich für diese Kühlapparate zu interessiren und deren große Nützlichkeit einzusehen, so glaubt man auch dem deutschen Publicum einen Dienst zu erweisen durch eine genaue Angabe zur Anlegung von Eishäusern.




Ein Deutscher.

Roman aus der amerikanischen Gesellschaft.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Es war am folgenden Abend, und das Geschwisterpaar, der Bowery zuwandernd, sah bereits den Ort seiner Bestimmung vor sich. Reichardt trug eine leichte Notenmappe, während Mathilde unter dem Sommermantel das Gazekleid, in welchem sie vor ihren Zuhörern erscheinen wollte, aufgeschürzt hielt. An der Thür des von hellen Gaslaternen bezeichneten Locals bewegten sich bereits die verschiedenartigsten Menschengruppen, die Zettel, welche eine berühmte Primadonna mit fast unaussprechbarem Namen verkündeten, entziffernd, die Eintretenden musternd oder selbst Eintritt suchend.

Der Saal, in welchem die Vorstellungen stattfanden, zeigte ausser den Sitzen für die Zuhörer nichts als eine Erhöhung für die Vortragenden und einen Vorhang daneben, welcher den Zwischenraum bis zur Wand verdeckte. Hierhin begleitete Reichardt das Mädchen, das, als sie bereits mehrere als Neger costümirte „Künstler“ in dem Raume stehen sah, sich auf einen Stuhl in der hintersten Ecke niederließ.

Das versammelte Publicum schien bereits des Wartens genug zu haben, und Reichardt konnte sich nicht enthalten, bei einzelnen Ausbrüchen der Ungeduld den Kopf zu schütteln. Dieses Jolen, Pfeifen und Schreien war so roh und unbändig, wie es die niederste Kneipe in Deutschland ihm kaum geboten hätte. Er warf einen Blick nach Mathilden, die indessen, den Blick in ein Notenstück vertieft, kaum zu hören schien; den übrigen „Künstlern“ aber schien der Lärm etwas so Gewöhnliches, daß er nicht eine Secunde lang ihr halblautes Gespräch zu unterbrechen vermochte. Endlich trat der Director der Truppe, ebenfalls mit dem Teint Afrika’s versehen, in den Raum, grüßte mit einem verbindlichen Lächeln, das Reichardt in diesem schwarzen Gesichte ganz abscheulich fand, die junge Dame, und das Concert begann mit einer Ouverture, in welcher Banjo und Tamburin jedenfalls die Hauptrolle spielten.

Reichardt wollte Anfangs seinem Gehör nicht trauen, bis das Ohr sich an das wirre Durcheinander von Tönen gewöhnt hatte, und er endlich kopfschüttelnd ein Verständniß der tollen Eigenthümlichkeit des Stücks erlangte; das Publicum aber schien höchlichst erbaut davon und applaudirte, als solle der Boden des Saals durchaus hinunter gearbeitet werden. Ein Gesang, von welchem Reichardt kein Wort verstand, der aber den Grimassen des Vortragenden und dem Jolen und Lachen des Auditoriums nach äußerst komisch sein mußte, folgte, und nun war Mathildens erstes Lied an der Reihe. Reichardt fühlte die Hand des Mädchens in der seinen zittern, als er sie auf die Erhöhung vor das Publicum führte, aber er konnte ihr nur durch einen warmen Händedruck Muth zusprechen. Ueber die versammelten Menschen legte es sich wie ein Schweigen des Erstaunens, als die weißgekleidete bleiche Mädchengestalt, diese von den gewohnten Darstellungen so abweichende Erscheinung, hervortrat; einzelnes Klatschen erhob sich an verschiedenen Orten, das aber nirgends zünden wollte, und Reichardt fühlte eine eigenthümliche Beklemmung, als er sich an dem bereitstehenden Piano niederließ. Kräftig begann er das Vorspiel zu einem Liede, das der Sängerin im Boardinghause stets den ungetheiltesten Beifall eingetragen, und bei den bekannten Klängen schien Mathilde neuen Muth zu gewinnen; ihr Kopf hob sich und mit voller Sicherheit begann sie die ersten getragenen Töne. Ihre Stimme hatte eine Wirkung in dem weiten Saale, welche ihr Reichardt nie zugetraut; über den Zuhörern aber blieb dieselbe eisige Stille wie vorher liegen, und selbst bei einer am Schlusse des ersten Theiles eingelegten, glücklich durchgeführten Cadenz rührte sich nirgends eine Hand. Reichardt fühlte das Blut nach seinem Kopfe steigen, er hatte nicht den Muth, in Mathildens Gesicht aufzusehen – da, mit den ersten Tönen des zweiten Theils wurde eine Stimme laut: „Englisch!“ und als habe das eine Wort dem allgemeinen Gefühle Ausdruck gegeben, schrie es „Englisch“ von allen Seiten nach; einzelnes Zischen erhob sich wohl als Opposition der Störung, schien aber nur die ersteren Rufe in ihrer Zahl zu vermehren und in ihrer Ausdauer zu kräftigen. Mathilde hatte aufgehört zu singen und blickte geisterbleich über das Publicum hin, und wie beschworen von dem Ausdruck dieser großen schwarzen Augen begann sich der Lärm zu legen. Reichardt intonirte sein Zwischenspiel noch einmal, und wie mechanisch fiel das Mädchen an der rechten Stelle ein, aber schon nach ihren beiden ersten Noten brach unter den Zuhörern ein voller Sturm aus. „Englisch, Englisch!“ schrie es, lärmte, pfiff und tobte es – Reichardt sah sich vergebens nach dem Director der Truppe um, während Mathilde, starr wie eine Statue, ihren Platz behauptete – da sprang plötzlich hinter dem Vorhange eine grotesk aufgeputzte Negerin, eine Guitarre in der Hand, hervor, schlenkerte die großen, den verkleideten Mann verrathenden Beine in einigen carikirten Tanzpas und begann, sich an den äußersten Rand der Erhöhung vor die Sängerin stellend, in durchschneidender Fistelstimme:

Miss Nelly was a Lady –“

In einen Sturm von Applaus, Gelächter und Hurrahs gingen die Zeichen der Unzufriedenheit über, Reichardt aber sah, wie Mathilde plötzlich wankte. Mit zwei Schritten war er an ihrer Seite und führte sie, die sich fest an seinen Arm klammerte, von der Bühne. „Nur fort, nur fort ins Freie!“ sagte sie gepreßt, als Beide hinter dem Vorhange angelangt waren. Er warf ihr den Sommermantel um, legte ihr den Schleier über den Kopf und führte sie, ohne einen Blick nach den übrigen Musikern zu werfen, die sich augenscheinlich aus ihrem Wege gestellt hatten, nach dem Corridor hinaus.

Sie hatten die Straße erreicht. „Nach Hause!“ flüsterte Mathilde, als drücke ihr eine Last die Brust zusammen, und Reichardt fühlte, während er ihrem raschen Schritte folgte, zeitweise ihren Arm in dem seinen zucken. Er konnte die ganze Aufregung und Bitterkeit ihres Herzens mitfühlen, aber er mochte auf der Straße und unter dem frischen Eindruck des Schlags, den sie erhalten, nicht zu ihr reden; nur durch die Art, wie er sie eng an sich geschlossen führte und ihr sichtliches Streben, rasch nach dem Boardinghause zu kommen, förderte, mochte er ihr andeuten, was er selbst empfand.

Sie ließ seinen Arm los, als sie ihre Wohnung erreicht hatten, und eilte ihm voran die erleuchtete Treppe hinauf; als sie aber ihr nur von einer außen brennenden Gaslaterne schwach erleuchtetes Zimmer geöffnet, und Reichardt, von Sorge für sie getrieben, ihr gefolgt war, wandte sie sich, wie ihrer nicht mehr mächtig, um und fiel in einem Thränenausbruche, der in seiner Leidenschaftlichkeit den jungen Mann erschreckte, an dessen Brust.

Reichardt’s erste Bewegung war, die Thür zu schließen; dann umfaßte er mit einem ihn seltsam durchrieselnden Gefühle die krampfhaft schluchzende, halb bewußtlose Gestalt und zog sie zu sich auf einen Stuhl nieder. „Mathilde, was ist es denn mehr als eine Erfahrung im fremden Lande, die Jeder hier machen muß?“ sagte er, ihr beruhigend zusprechend, während er doch unter dem Druck dieser weichen Glieder, die auf ihm ruhten, es heiß in sich aufsteigen fühlte; „Mathilde haben wir denn etwas verloren, sind wir denn nicht noch bei einander?“

„Ich wäre auch gestorben, wenn ich allein gestanden hätte!“ sagte sie, das von Thränen überfluthete Gesicht hebend. Sie sah in seine vom Gaslicht hell beschienenen Züge, in ihren Mienen leuchtete es warm und leidenschaftlich auf – „Max, ich möchte

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_190.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2022)