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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

und setzt sich zurecht. „Man flink!“ ruft er dem Dienst habenden Gehülfen zu, der schon Seife in seinem Messingbecken zerschlägt. „Ich habe an den „Vorsetzen,“ am „Baumwall“ und am „Stubbenhuk“ zu thun, und muß mich eilen. In zwei, drei Stunden giebt’s Hochwasser.“

Der Gehülfe hält dem Eiligen das Becken schon unter das Kinn, da kracht ein Kanonenschuß von der Bastei Erikus, daß die Scheiben klirren. Diesem folgt gleich darauf ein zweiter und dritter. Der Gehülfe vergißt das Einseifen.

„Man flink!“ wiederholt ungeduldig der Küper. „Ick heff’ keen Tid to verleeren! Der Wind is umloopen; weiht Nordwest zu Nord!“

Beim Hochwasser in Hamburg.
Nach der Natur gezeichnet von Julius Geißler.

Der Barbier beeilt sich, daß der Küper unter dem flimmernden Wasser mit den Augen blinzelt. Der geschickte Mann aber versteht sein Geschäft, und glatt, wie er es nur wünschen kann, steht der Eilige auf und wirft seinen Doppelschilling auf den Tisch.

„Wird’s schlimm?“ fragt der neugierige Gehülfe und wirft einen Blick auf die Straße, die sich bei den Kanonenschüssen mit höchst unnützen Jungen von neun bis zwölf Jahren füllt, die alle in Holzpantoffeln über das schlechte Pflaster klappern und dabei ununterbrochen in den jauchzenden Jubelruf ausbrechen:

„Hurrah! Hochwater, keen School! Hurrah! Hochwater, keen School! Een, twee, dree, Hurrah!“

Meister Pech sen., den Knieriemen in der Hand, die Mütze stark nach hinten gerückt, taucht aus seiner Kellerwohnung auf und sieht sich mit bedenklichen Blicken um. Die jubelnden Jungen sind verschwunden. Man hört nur noch das Geklapper ihrer Pantoffeln und unarticulirte Töne aus der Ferne. Sie haben den kürzesten Weg zum nächsten Fleeth eingeschlagen, wo sich ein Fluthmesser befindet, um zu sehen, wie hoch das Wasser steht und wie hoch es wohl bis zu Eintritt der Ebbe noch steigen könne.

Da die wilde Jugend der Keller, Gänge und Sähle nicht mehr zu sehen ist, richtet Meister Pech sen. seine Augen nach dem Himmel, wo die dunkelgrauen, fliegenden Wolken, die von Nordwest in rasender Eile über die spitzen Giebel fortziehen, ihn höchst nachdenklich stimmen. Er kehrt sich um und ruft seiner Frau zu, in möglichster Schnelligkeit Betten und Alles, was keine Nässe vertragen kann, nach „bawen“ (nach oben) zu schaffen, ehe das Wasser komme. Gleichzeitig zeigt sich die klappernde und schreiende Jugend wieder in der Straße, unter der sich auch ein hoffnungsvoller Enkel des gut situirten Meisters befindet. Der Großvater jagt ihn mit einem Hieb seines Knieriemens in den Keller, ruft ihm zu: „Hilf Großmutter aufpacken!“ und springt dann selbst nach in die dunkle, halb unterirdische Wohnung.

Die Alarmkanonen krachen auf’s Neue, und in den Rinnsteinen der niedrigsten Straßen, beim Zippelhause und seiner nächsten Umgebung zeigt sich urplötzlich Wasser, als ob verborgene Quellen der Erde sich öffneten. Nun beginnt ein Laufen und Rennen, ein Eilen und Hasten, als gälte es, einem grausamen Feinde zu entfliehen. Alles, was niedrig wohnt, besonders die Inhaber zahlloser Keller, räumt aus. Wer nicht ausräumen kann, schiebt die größeren Mobilien zusammen und improvisirt auf diesen inmitten des Zimmers einen erhöhten Wohnraum. In Straßen, welche bei gewöhnlicher Sturmfluth – und eine solche ist im eiligsten Anzüge – wasserfrei bleiben, während sich die tiefer gelegenen Kellerwohnungen mit dem fatalen Element füllen, retten sich die Leute mit ihren besten Sachen auf das Pflaster und führen hier, so lange das Hochwasser andauert, ein ganz zufriedenes Lagerleben, wobei es an Scherz- und Witzworten selten fehlt.

In der ersten Zeit der steigenden Hochfluth giebt es Vergnügen und Lust die Menge. Die unbändige Jugend sammelt sich an den zunächst vom Wasser bedrohten Orten, springt über die mit jeder Minute breiter werdenden Bäche, lärmt, schreit, balgt sich und durchwatet zuletzt die ganz überfluthete Straße, bis die Bewegung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_637.jpg&oldid=- (Version vom 18.10.2022)