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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

wachsen und an ihnen empor sich ranken machte, Alles mit Regen und mit Thau begießend, in deren Tropfen er die Welt sich farbenprächtig wiederspiegeln ließ, und der dann wieder das Winzerhäuschen zu einem süßen Nestchen umschuf, einem heitern Tempelchen der Unschuld und Kinderfreude, aus dem hervor er zu Aller Ergötzen sein schelmisches Lachen über die Thorheiten und Verkehrtheiten der Menschen hervorschallen ließ.

Der verehrte Leser weiß nun schon, welch ein seltnes Dichter- und Männerpaar ich meine; es ist Johann Gottfried Seume und Johann Paulus Friedrich Richter, mit seinem Schriftstellernamen Jean Paul genannt. Der Erstere wurde am 29. Januar, der Andere am 21. März 1763 geboren, jener im Dörfchen Posern bei Weißenfels im Meißnerland, als der Sohn eines jungen Landbauers; dieser im Städtchen Wunsiedel im Fichtelgebirge in der Brandenburger Markgrafschaft Bayreuth, als der Sohn eines jungen Unterpredigers (Tertius). Wie sie beide in ihren äußern Lebensverhältnissen viel Aehnlichkeit mit einander haben, so auch in ihrer geistigen Anschauung und in ihrem Charakter. In ihrer dichterischen Schöpferkraft sind sie dagegen sehr verschieden und fast Gegensätze. Sie sind beide Kinder des Volks und der Armuth, beider Eltern verarmten, beide wuchsen unter Landleuten auf, beide verloren ihre wackern Väter frühzeitig; beide hingen mit rührender Liebe an ihren Müttern; beide studirten mit wohlthätiger Unterstützung Theologie in Leipzig, und in den Jahren 1780 und 1781 mögen sie wohl in denselben Hörsälen zusammengesessen haben; beide wurden der Theologie aus demselben Grunde ungetreu, weil ihre Ueberzeugungen sich in immer schärfern Widerspruch mit dem Kirchenglauben setzten; beide wurden Schriftsteller ohne Amt oder ausgezeichnete Lebensstellung, und beide blieben arm bis an ihren Tod.

Aber noch größer ist die Aehnlichkeit ihrer hehren Gesinnung und ihrer daraus entsprungenen Handlungsweise; man darf sagen: in beiden kam die edelste Humanität und das specifische Deutschthum, d. h. die schönste Verschmelzung von Geist und Gemüth, zur reinsten herrlichsten Blüthe. Und so waren sie beide die edelsten Schwärmer für Deutschlands Ehre und Größe, und deshalb huldigten sie mit Wort und That allen Tugenden, glühten für Wahrheit und Recht, für Vernunft, Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz, aber sie haßten eben so stark und heiß allen Despotismus, alles Junkerthum, alles Pfaffenthum, alles Privilegium, alle Selbstsucht und Heuchelei, alle Verdummung und Verknechtung des Volks, alle Faulheit und Niedertracht, alle sittliche Verkommenheit und Verworfenheit in allen Schichten der Gesellschaft, mit einem Worte: sie liebten alles Gute und Rechte und sie haßten alles Böse und Schlechte, und sie priesen jenes und geißelten dieses jeder nach seiner Kraft und Begabung.

Beide sind Edelsteine vom reinsten Wasser, der Eine ein werthvoller Amethyst, der Andere ein unschätzbarer Diamant, beide geschliffen auf den Schleifsteinen der Wissenschaft, vorzüglich auf denen des Hellenismus, der Eine in klaren ruhigen Flächen, der Andere in tausend blitzenden Facetten.

Was Seume in klaren Worten einfach sagte, angetrieben von hoher heiliger Liebe zur Menschheit oder vom edlen Zorn über Mißbrauch, Schmach und Verderbtheit der höchsten Güter, das führt Richter im prächtig glühenden Farben- und Formenschmuck stets wechselnder wunderbarer Bilder an uns vorüber. Der Eine hält uns den einfachen klaren Spiegel entgegen, welcher unser Bild getreu zurückwirft, der Andere den mit Guirlanden und Arabesken umrahmten Hohl- und Zauberspiegel phantastischer Poesie, der den Bildern der Dinge eine seltsame Form und Färbung giebt. Beiden wurde das Glück zu Theil, schon bei ihren Lebzeiten geliebt, geschätzt, verehrt und gefeiert zu werden. Seume hatte eine Menge Freunde, Richter eine Unmasse Verehrer; Seume, der warmfühlende finstere Mann, wurde mehr geliebt, Richter, das lachende, scherzende Kind, mehr verehrt, gefeiert, ja vergöttert.

Und auch darin hatten diese beiden Dichter und Altersgenossen Aehnlichkeit mit einander, daß sie in den höchsten Kreisen der Gesellschaft persönliche Verehrer und Begünstiger zählten, ja sogar dieselben fürstlichen Persönlichkeiten waren beiden wohlwollend gesinnt, wie z. B. die russische Kaiserfamilie, die Herzogin Anna Amalia von Weimar etc. Dieser Umstand nimmt uns heutigen Tags um so mehr Wunder, als beide, wären sie, wie Uhland, erst vor Kurzem gestorben, gleich diesem und mit Recht Demokraten vom reinsten Wasser genannt worden sein würden. Denn in der That und Wahrheit haben sie sich eben so entschieden demokratisch ausgesprochen, als der jüngst abgeschiedene große Dichter und deutsche Mann. Aber so wenig Uhland bei unsern Fürstlichkeiten beliebt war, so wenig würden es heute Richter und Seume sein; wiewohl wiederholt darauf aufmerksam gemacht werden muß, daß Richter’s herrliche Erzstatue in Bayreuth ganz allein auf Kosten des Königs Ludwig von Baiern errichtet worden ist, nachdem vergebens versucht worden war, das Geld dafür vom deutschen Volke zusammenzubringen.

Und um die Aehnlichkeit beider trefflichen Männer gleichsam vollständig zu machen, theilten sie beide, die in der ganzen civilisirten Welt so hoch Geehrten und hoch Gefeierten, die Neigung, den stillen gemüthlichen Zug zu den einfachen natürlichen Menschen der untersten Gesellschaftsclassen, zum Volke, und wenn Seume länger gelebt hätte, würde er zweifelsohne sich ein Asyl unter Leuten gegründet haben, wie die gewesen, denen er entsprungen war, und wie Richter auf eine seiner poetischen Eigenthümlichkeit angemessene originelle Weise es sich wirklich gründete.

Dafür bürgt uns Seume’s ganzes Wesen, das sich so unverkennbar treu und wahr in seinen Schriften ausgeprägt hat, dafür ganz besonders das Fragment seiner Autobiographie, in welcher er seine Eltern und seinen väterlichen Urgroßvater mit wenigen, aber köstlichen Strichen gezeichnet hat. Fast alle hochbegabten Geister, die aus den gesunden naturwüchsigen Elementen des deutschen Volksthums hervorgegangen sind, haben, nachdem sie sich mit mehr oder minder Lust und Geschick in den hohen und höchsten Kreisen bewegt, sich endlich wieder gedrungen gefühlt, sich an der Einfachheit des Volkslebens zu betheiligen und im Umgange mit dem „gemeinen Manne“ Erholung und Freude zu suchen und zu finden. Es ist das gleichsam die Probe auf das Exempel einer edlen gesinnungstüchtigen Natur.

Es ist bekannt, wie glücklich Richter verheiratet war. Seine Gattin war eine der Edelsten und Trefflichsten ihres Geschlechts und fast eben so einzig in ihrer Art, wie er in der seinigen. Gerade weil sie in allen menschlichen Beziehungen, vorzüglich aber als Gattin und Mutter, so echt rein und wahr weiblich war, ist stets so wenig von ihr die Rede gewesen, aber man muß nur in Bayreuth oder München nach ihr fragen, und Jedermann wird sich beeilen, ihr die ungetheilteste Anerkennung, das ungemessenste Lob zu spenden.

Aber auffallender Weise tritt auf der Tafel der Geschichte, wie sie die Hand des Volks zu schreiben pflegt, in dem unsern Richter abhandelnden Kapitel die Freundin des Dichters, die Frau aus dem Volke, weit schärfer und charakteristischer gezeichnet hervor, als die hochbegabte und hochedle Gattin desselben. Dies liegt an dem eigenthümlichen und ungewöhnlichen Verhältnisse, in welchem Richter zu Frau Rollwenzel stand. So genau ich mich in Bayreuth während meines einjährigen Aufenthaltes dort bei Leuten aus allen Ständen, die den Dichter und Frau Rollwenzel noch sehr gut persönlich gekannt hatten, nach diesem Verhältniß erkundigt habe, alle stimmten in dem Urtheile überein, daß von einer gewöhnlichen geschlechtlichen Accommodation durchaus keine Rede sein könne. Frau Rollwenzel war dem Dichter die Repräsentantin des deutschen Volks, die vox populi, und er erfrischte sich geistig und körperlich in dem ihm in beiden Beziehungen zum Bedürfniß gewordenen täglichen Umgange mit ihr. Denn sie war in der That ebenso in idealer wie in materieller Beziehung sein „Feldgehülfe“. Während ihre naiven treffenden Ansichten und Urtheile ihn geistig und seelisch anmutheten, gab ihre Kochkunst ihm die erwünschte leibliche Stärkung. Und daß Richter in beiden Beziehungen eben nicht leicht zu befriedigen sein mochte, ergiebt sich aus seinem geistigen Wesen, wie es uns in seinen Werken entgegentritt, und aus dem Umstande, daß er an fürstlichen und andern vornehmen Tafeln verwöhnt war, von selbst.

Ich habe das Verhältniß des hochbegeisteten Dichterfürsten und der einfachen Schankwirthin, wie ich es in Bayreuth aus dem Munde des Volks erfuhr, in Nr. 36 des vierten Jahrgangs der Gartenlaube bereits dargestellt und dort das Brustbild der Frau Rollwenzel nach dem Miniaturbilde, welches in der Jean-Paul-Stube des nach ihr benannten Wirtshauses bei Bayreuth hängt, in Holzdruck wiedergegeben. Für Leser, welchen jener Jahrgang nicht zur Hand ist, will ich das dort Gesagte kürzer wiederholen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_006.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2018)