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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Almenrausch und Edelweiß.

Aus dem bairischen Hochgebirge.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)

Die Müllerin beachtete die Frage Kordel’s nach dem Vater nicht, sondern fuhr eifrig fort: „Wir wollen uns auch einmal zur Ruh’ geben, wollen’s auch einmal gut haben – d’rum sollst Du die Mühl’ übernehmen, sollst sie wieder herrichten auf den Glanz, sollst uns unsern Austrag geben und heirathen. …“

Kordel schüttelte schwermüthig den Kopf. „Das geht nit, Mutter,“ sagte sie, „das mußt Dir schon aus dem Sinn schlagen. Ich bin das Leut’ nicht, das so was unternehmen könnt’, da gehört eine revierische Person dazu – und wenn ich auch wollt’, … es wird Keiner die Ledermühl’ haben wollen … und mich noch weniger. …“

Die letzten Worte hatte sie nur gehaucht; sie gingen in dem rohen Gelächter verloren, das die Müllerin aufschlug. „Wie Du daher redst!“ rief sie. „Wofür wär’ denn der Quasi da?“

„Der Quasi ist für mich nimmer auf der Welt – er ist gestorben und begraben, wie mein armes Würmel, mein Roserl. … Das wär’ gerade der Rechte, um die Mühl’ wieder herzurichten! Nein, Mutter, mit all’ dem ist es nichts – und d’rum ist es auch wohl das Gescheidtere, wenn ich wieder geh’. …“

„Und Du mußt bleiben, sag’ ich!“ rief die Frau zornig, indem sie hart vor Kordel hintrat und ihr drohend die Fäuste vor’s Gesicht hielt. „Ich will’s einmal haben – ich will doch seh’n, ob nicht geschieht, was ich haben will! Ich bin die Mutter, und Du bist mir noch lang nit zu groß, als daß ich Dir nicht zeigen sollt’, daß Du mir folgen mußt!“

„Schlag’ mich, Mutter,“ sagte Kordel sanft, indem sie sich erhob und ihre Hand ruhig auf die geballten Fäuste der Zürnenden legte. „Ich will’s aushalten ohne Widerred’, denn ich weiß, daß ich Dir Gehorsam schuldig bin … aber das mußt nit verlangen, Mutter, denn ich kann wahrhaftig nit bleiben; ich kann den Quasi nit heiraten – und ich will auch nicht! … Mutter,“ fuhr sie ernsthaft und beinahe feierlich fort, indem sie ihr mit den großen schwarzen Augen fest und durchdringend in’s Angesicht sah – „denk’ daran, wie’s vor vier Jahren gewesen ist! Ich bin ein unschuldig’s Ding gewesen, noch ein halbes Kind … was hab’ ich davon verstanden, wie der Quasi ’kommen ist und hat sich an mich angemacht? Mir hat’s gefallen, wenn er mir schön gethan und vorgered’t hat, wie er mich zur Bäuerin machen wollt’ auf dem Kriegelhof. … Du hättest es besser versteh’n, hättest mir abreden sollen … aber statt mich zu warnen, hast Du mich noch angereizt; wo Du hättest abwehren sollen, da hast Du geholfen, Mutter … Du hast …“ Sie biß sich auf die Lippen, um nicht mehr zu sagen. „Denk’ d’ran, Mutter,“ fuhr sie dann fort, „und sag’, ob Du von mir einen Gehorsam verlangen kannst. – Ich will Dir folgen in Allem, was richtig ist, aber in der Sach’ geh’ ich meinen eigenen Weg. … Die Nacht schlaf’ ich in der Mühl’ … aber bleiben, Mutter, bleiben thu’ ich nit!“

Die Müllerin stand betroffen und schweigend, Kordel aber fuhr fort: „Aber wo ist denn der Vater? Warum seh’ ich ihn nicht? Wie geht’s ihm denn? … Ich muß mich schon umschauen nach ihm!“

Hastig verließ sie die Stube und eilte rufend den kleinen Hausgang entlang: „Vater … Vater! Wo bist’ denn? Komm doch! Ich bin’s! Die Kordel ist da!“ Eine dumpfe Stimme antwortete; sie ging dem Schalle nach, riß die Stallthüre auf und stürzte mit einem Aufschrei des Entsetzens und Jammers auf den unglücklichen Blöden nieder, der ihr entgegen gekrochen kam. „Vater, Vater …“ schrie sie unter stürzenden Thränen, indem sie ihn sorgsam emporrichtete, „wo muß ich Dich finden? Bist Du’s denn wirklich? … O Du armes, armes Vaterl …“ Sie vermochte nichts mehr hervorzubringen, aber ihre Thränen überströmten das Silberhaar des Greises, in das sie ihr brennendes Antlitz drückte. Die dumpfen Laute des Müllers antworteten; es war nichts davon verständlich, als der Name des Mädchens, aber die Thränen, die ihm kurz vorher versagt gewesen waren, kugelten in dicken Tropfen über das verwitterte Gesicht, und die plumpen, narbenreichen Hände tasteten liebkosend und streichelnd an Haar und Antlitz des geliebten Kindes herum.

Sie konnte nur weinen und geleitete den halb und mühsam Aufgerichteten, der ohne Unterstützung nicht zu gehen vermochte, in die Stube auf den bequemsten Platz am wärmenden Ofen. Die Müllerin schoß wütende Blicke nach Beiden, aber sie wagte kein Wort des Widerspruchs; ein einziger Blick Kordel’s, als sie mit dem Vater an ihr vorüberschritt, hatte genügt, sie einzuschüchtern – aller Vorwurf, alle Klage, aller Schmerz war darin zusammengedrängt. Sie schob dem Müller ein Kissen zurecht, während er mit blödem Wohlbehagen die erstarrten Hände an den Ofen hielt und nach wenigen Augenblicken einschlummerte.

Als er schlief, stand Kordel auf und trat vor die Mutter hin.

„Du hast Recht gehabt,“ sagte sie finster, „daß ich daheim am nothwendigsten bin … ich bleib’ da!“

Dann kehrte sie zum Vater zurück, kniete vor dem Schlummernden nieder und ließ die Augen auf der zerstörten Jammergestalt des Geliebten ruhen, während ihre Lippen sich im stillen Gebete bewegten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_193.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)