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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

an alte, längst begrabene und vergessene Dinge knüpft, so ist es der Aberglaube, der sie wieder lebendig machen und in den weisen Rathschluß unseres allgütigen Herrgotts hereinpfuschen lassen will. Wenn ich zufrieden bin mit dem, was einstmals geschehen, und mich glücklich in meinem jetzigen Schicksale fühle,“ setzte er weicher hinzu, „wer hätte dann wohl ein Recht, auch nur eines Haares Schwere auf Sie zu legen, Elisabeth?“

Die noch immer schönen, dunkel blauen Augen der Frau hoben sich wie unter einer warmen Empfindung nach dem Gesichte des alten Arztes; dieser aber wich ihrem Blicke aus und sagte. „Lassen Sie uns ruhig mit einander reden; ich bin von seiner Unschuld wie von meinem Leben überzeugt, das hilft aber in dem Falle, wie er liegt, bei dem Gerichte nichts, und wir haben mit allen unsern Verstandeskräften zu arbeiten, daß wir Punkte auffinden, aus denen ein ordentlicher Advocat den Beweis seiner Unschuld herleiten kann. Wissen Sie, daß er vergangene Nacht aus dem Hause gewesen ist?“

„O, ich habe ihn gehen und kommen hören,“ rief sie schmerzlich, „ich ahnte es, daß er zu ihr ging, mir war es, als müsse ein Unglück daraus entstehen, und ich konnte ihn doch nicht warnen. Dann, als er heimgekommen war und fast noch eine Stunde in seiner Kammer rastlos auf und ab ging, da wußte ich, daß etwas Uebeles geschehen sein mußte, und als beim frühen Morgen die Nachricht kam, der Amtsrath sei erschlagen, wollten die Beine unter mir brechen, denn ich wußte nun, daß er mit dem zusammengetroffen war –“

Ein rasches, unwilliges Kopfschütteln des Arztes unterbrach sie. Er ist nicht mit ihm zusammengetroffen, sagte er kurz und bestimmt, „der Mord ist heimtückisch und hinterrücks geschehen – halten Sie den Fritz dessen fähig? – Und noch Eins!“ fuhr er erregt fort, „die Todeswunde ist mit einem ungewöhnlich breiten Messer beigebracht, etwa von der Art wie es zum Vorschneiden in der Küche gebraucht wird – haben Sie wohl mehr als eins davon hier im Gebrauche?“

Die Mutter sah dem Sprecher einen Augenblick starr in’s Gesicht, als verstehe sie ihn nicht. „Hinterrücks ermordet – mit dem Vorschneidemesser?“ sagte sie stockend; „o nein, o nein!“ brach es dann aus ihrem Munde, und zugleich schnellte sie auf ihre Füße, hastig aus dem Zimmer eilend. Der Doctor sah ihr mit einem langsamen Kopfneigen nach und hielt den Blick auf die Thür geheftet, bis sie eilfertig mit einem großen Vorlegemesser wieder erschien. „Da ist es – an derselben Stelle, wo es gestern Abend noch gebraucht worden ist!“ rief sie schon beim Eintreten, „o, er mag im Kampfe einen Todtschlag begangen haben, als der Amtsrath Beide überrascht hat, aber ein Meuchelmörder ist er nimmer, nimmer!“

„Und sonst ist keins dieser Art im Hause?“ fragte der Alte, das Messer aufmerksam betrachtend, welches in dem fettigen Aussehen noch von dem letzten Gebrauche sprach. „Und die Wirthschafterin könnte jedenfalls auch Zeugniß ablegen, daß sie es in demselben Zustande wiedergefunden, wie sie es aus der Hand gelegt?“ setzte er nach der hastigen Verneinung der Frau hinzu, – „aber das ist ja Alles noch kein Beweis; es giebt ja so viele Messer in der Welt,“ unterbrach er sich, mit der Hand unmuthig in das buschige Haar fahrend, „hier muß ein geriebener Jurist die Sachen in die Hand nehmen. Sagen Sie mir nur, ob Sie auf die Stunde seines Gehens und Kommens geachtet haben?“

„O, ich habe jede Viertelstunde an der alten Uhr schlagen hören, so lange er weg war. Es konnte noch nicht halb elf sein, als er sich fort schlich, und eine geraume Weile schon wanderte er wieder in seiner Kammer umher, als es eins schlug. Er kann sich kaum länger als eine halbe Stunde drüben aufgehalten haben! Uebrigens hörte ich, wie er beim Heimkommen ein kurzes Wort mit dem Knechte wechselte, der nach dem kranken Pferde sah!“

Der Doctor nickte hastig. „Das wäre etwas – wenn sich nur bald ein sicheres Anzeichen findet, zu welcher Stunde der Amtsrath nach Hause gekommen, und das muß sich finden, denn er wird nicht allein in der Nacht im Felde umhergelaufen sein. Und nun, Frau Rothe,“ fuhr er fort, ihr seine Hand reichend, „seien Sie ruhig und stark, halten Sie fest an dem Glauben, daß, was auch in letzter Nacht geschehen sein möge, er doch an dem Morde unschuldig ist. Was seine Freunde thun können – und Sie wissen, daß ich an dem Jungen hänge, als wäre es mein eigenes Kind – das wird geschehen, um bald Licht in die dunkele That zu bringen. Sobald aber der Advocat kommt, lassen Sie es mich wissen! – Wollen Sie dem Jungen und mir zu Liebe sich stark machen und sich nicht mehr mit allerhand Gespenstern abgeben?“ setzte er hinzu, ihr mild in die Augen sehend.

„Ich will, Doctor, ich will!“ erwiderte sie, seine Hand drückend, während die Thränen auf’s Neue über ihre welken Backen rollten, und der Arzt erhob sich, nach seinem Hute greifend.

Die nächsten Minuten hatten ihn wieder auf das Pferd gebracht, das ihn aus dem Hofe trug, aber kaum schien er darauf zu achten, wohin dieses seinen Weg nahm. Schlaff ruhten die Zügel in seiner Hand, seine Augen blickten ziellos, als horche er nur seinen Gedanken, in’s Weite, und um den welken Mund lag ein wehmütiger Zug. Wie die ferne, in Dämmerung versunkene Landschaft plötzlich noch einmal von einem Strahl der scheidenden Sonne erhellt und in rosiges Licht getaucht wird, so hatte die eben durchlebte Scene ein ganzes, abgethanes Jugendleben mit seinen gescheiterten Hoffnungen und längst überwundenen Schmerzen wieder in ihm wach gerufen. Alles aber glänzte eben nur in dem stillen Lichte des letzten Abendroths.

Da stand weit unten im Dorfe, unweit der Kirche, das Pfarrhaus, heute noch so, nur etwas grauer, wie vor fünfundzwanzig Jahren; dort hatte der junge Student der Medicin regelmäßig die Ferien bei seinen Eltern verbracht – aber wenn auch die Pietät gegen die alten Leute ihren Antheil an seinen regelmäßigen Besuchen in der Heimath haben mochte, so war es hauptsächlich doch ein anderer, glänzenderer Stern gewesen, welcher ihn oft hatte die lockendsten Einladungen reicher Commilitonen ausschlagen und den Aufenthalt in dem stillen Dorfe vorziehen lassen.

Drüben an der Anhöhe wohnte auf einer eigenen keinen Besitzung ein pensionirter Officier, sich nur mit der Pflege seines Gartens und der Erziehung einer Tochter beschäftigend, welche eben so frisch aufblühte, wie die schönste Rose in seinem Blumenflore. Sein Hauptumgang bestand nur aus zwei Familien des Ortes, der seines nächsten Nachbars, des Gutsbesitzers Rothe, welcher gleich ihm die Kriege mitgemacht, und der des Pfarrers. In beiden Familien waren Söhne von gleichem Alter, und im Dorfe wußte man genau, daß die beiden jungen Menschen sich mit gleichem Eifer um die Gunst der schönen Elisabeth bewarben. Während aber der praktische Sinn des alten Hauptmanns sich auf die Seite des reicheren Rothe neigte, hatte sich das Herz der Tochter längst dem jungen Pfarrerssohn ergeben und mit diesem die Schwüre ewiger Treue ausgetauscht. Wenn Maiwald sein Doctor-Examen bestanden, sollte seine Niederlassung in der Gegend, die längst eines Arztes bedurft, erfolgen, und dann die Einwilligung des Vaters zur ersehnten Verbindung erobert werden. Aber Mädchenherzen sind schwach. Der alte Rothe starb, seinem Sohne das schöne Besitzthum hinterlassend, und der Hauptmann, welcher im Interesse seiner Tochter zu handeln meinte, that diese zu einer Verwandten in der Stadt, um sie, während der Trauerzeit des jungen Gutsbesitzers, Maiwald’s Augen und ferneren Bewerbungen zu entziehen – dort mochte wohl im Sinne des Vaters auf sie eingewirkt worden sein, und während dem Studenten jede Gelegenheit selbst zu schriftlichem Verkehr mit ihr abgeschnitten war, hatte Rothe, welcher nie ohne seine zwei raschen Rappen vor dem leichten Wagen in der Stadt erschien, freies Spiel. Als Jener endlich nach länger als Jahresfrist mit dem Doctordiplom in der Tasche bei den alten Eltern eintraf, fand er seine Elisabeth in Rothe’s neu und prächtig eingerichtetem Hause als dessen Frau.

Es hatte nach dieser Zeit Niemand ein Wort der Klage von ihm gehört; eifrig hatte er sich der ihm in weitem Umkreise zufallenden Praxis hingegeben, und nur eine eigenthümliche Ruhe und Blässe bei den oft unvermeidlichen Begegnungen mit den Rothe’s hätten dem Kundigen seinen Seelenzustaud verrathen können. Als der Hauptmann gestorben und dessen kleines Besitzthum öffentlich zum Verkauf ausgeboten worden war, hatte ein unbekannter Bieter sich eingestellt und das Grundstück erstanden; als aber Elisabeth am selben Abend noch einmal den Boden desselben betreten, um Abschied von den Räumen ihrer Kindheit zu nehmen, hatte sie den Doctor als den neuen Eigenthümer angetroffen. Es war das erste Mal gewesen, daß sich Beide wieder allein gegenüber gestanden, und die junge Frau hatte im ersten Schrecken sich abkehren und davon eilen wollen; er aber hatte mit seiner sanften ruhigen Stimme gefragt: „Habe ich Ihnen denn etwas zu Leide gethan, Elisabeth? Gott mache Sie glücklich, das ist mein heißester Wunsch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_387.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)