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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

bestiegen und folgte in raschem Trabe der Chaussee. Vor seinem innern Blicke stand schon seit dem letzten Theile der gehörten Erzählung nur die breite Todeswunde des Ermordeten, und daneben wollte das gebräuchliche Messer des Fleischers nicht aus seiner Vorstellung weichen; nirgends in dem Berichte des Wirths aber fand sich der geringste Grund, daran zu denken, und selbst die Annahme, daß der Amtsrath von dem besprochenen Weibe zu einer Zusammenkunft nach der rothen Schenke in jener Nacht bestellt worden sei, ließ sich kaum ihrerseits mit dem Aufsuchen ihres erklärten Bräutigams an demselben Orte zusammenreimen. Zum ersten Male tauchte in dem Dahintrabenden der Gedanke empor, ob nicht das aufgefundene Brief-Fragment aus einer früheren Zeit stamme. Er aber schüttelte, als wolle er durch die Bewegung die peinigenden Zweifel von sich werfen, energisch den Kopf. „Wenigstens soll jede Spur verfolgt werden, so lange sich auch nur eine Vermuthung rechtfertigen läßt und die alten Knochen aushalten!“ brummte er vor sich hin, und wie gestärkt durch den Entschluß, richtete er sich straffer im Sattel auf und ließ den Klepper die Gerte fühlen.

Es war Mittag, als er den ihm bezeichneten Marktflecken erreichte, und schon von Weitem zeigte ihm der an dem Thürpfosten eines keinen Hauses angehakte Ochsenkopf mit weit heraushängender Zunge die Wohnung des Gesuchten. Eine Nothwendigkeit war seinem Verstande sofort klar: den Burschen nicht scheu zu machen, falls dieser wirklich die Anwesenheit des Amtsraths in jener Nacht bestätigen konnte. Der Reiter hielt, ohne abzusteigen, vor dem Hause an und ließ ein lautes „He!“ ertönen. Ein junges Weib erschien in der Thür. „Ist der Christian daheim, Frauchen?“

„Ich denke, er wird hier herum sein; können’s aber auch mir gleich sagen, wenn es wegen einer Bestellung ist.“

„Habe nur einen kurzen Auftrag im Vorbeireiten an ihn selber; es ist besser, Sie rufen ihn!“

Die Frau verschwand, und nach kurzem Warten erschien ein rothes, dickbäckiges Gesicht in der Thür, in sichtlicher Neugierde den Reiter musternd.

„Kennt mich wohl nicht, Christian?“ begann der Alte, als Jener langsam und breitbeinig sich ihm genähert, „ich bin der Doctor, drüben aus dem Bruche, und ich wollte nur fragen, ob Ihr noch etwas mit der Meier-Lotte zu thun habt.“

Ein Ausdruck von Mißtrauen ward plötzlich in dem Gesichte des Angeredeten bemerkbar. „Mit der Meier-Lotte?“ versetzte er, den Kopf halb abwendend. „habe eigentlich noch niemals was Rechtes mit ihr zu thun gehabt!“

„Rechtes oder nicht, Christian! ich möchte Euch nur sagen, daß der Doctor nicht der Advocat ist, gegen den man sich am besten vorsieht. Habt noch denselben Abend, wo sie auf den Amtsrath wartete, mit ihr bis nach Mitternacht in der rothen Schenke gesessen und für sie bezahlt –“

„Und gerade deshalb habe ich niemals etwas mit ihr zu thun gehabt,“ unterbrach ihn der Bursche, während ihm das Blut in das Gesicht schoß. „Sie hat mich gelockt und gesagt, der Amtsrath müsse ihr noch eine große Summe Geld zahlen, damit solle ich in der Stadt Meister werden und sie dann heirathen; ’s ist aber Alles erlogen gewesen; der Amtsrath hat sich wohl da eingestellt, wohin sie ihn bestellt gehabt, ich habe ihn selbst gesehen, aber er hat ihr nur gesagt, daß er sie einsperren lassen würde, wenn sie ihn noch länger verfolge. Damit war die Geschichte aus und blieb aus – das mögen Sie ihr nur sagen, wenn Sie etwa von ihr abgeschickt sein sollten.“

„Und der Amtsrath soll nach Mitternacht noch dort gewesen sein?“ fragte der Alte, in welchem es zitterte, als könne ihm die endliche Bestätigung seiner Vermuthung wie ein scheuer Vogel bei ungeschickter Berührung unter der Hand wieder entschlüpfen, „es gehört jedenfalls ein guter Glaube für den Fremden dazu, Chrtstian!“

„Möchte sie vielleicht die Sache jetzt anders drehen, da er todt ist?“ erwiderte der Bursche mit einem plötzlichen Ausdrucke von Pfiffigkeit, halb zu dem Reiter aufblickend; „ich habe ihn selbst gesehen, wenn sie auch nichts davon weiß, und sie wird wissen, daß er, der Gäste wegen, erst spät hat kommen wollen. Im Uebrigen kann Ihnen der Wirth in unserm Gasthofe, wo er den ganzen Abend mit dem Domänenpächter gesessen hat, sagen, daß er erst um eilf von hier weggegangen ist. Damit sind wir fertig, und sie braucht sich keine weitere Mühe zu machen!“

Der Sprechende wollte sich bei den letzten Worten mit einem kurz gebundenen Gruße dem Hause wieder zudrehen, aber der Doctor, dessen ganzes Gesicht sich mit einem leichten Roth gefärbt, rief, als mangele ihm einen Augenblick der Athem: „Noch Eins, Christian! ist Euch nicht an besagtem Abend Euer Messer abhanden gekommen?“

Der Bursche wandte sich rasch zurück. „Mein Messer? – verdammt, nun weiß ich selber, wo es geblieben ist; ich hatte es in den Handkorb der Meier-Lotte gelegt – wenn sie das als Entschädigung behalten will, so mag sie es haben!“ Und als wolle er jedes fernere Wort abschneiden, drehte er dem Doctor den Rücken, dem Hause wieder zuschreitend.

Der Alte aber warf plötzlich sein Pferd mit einer Kraft herum, daß dieses wie erschreckt einen Satz that und im Galopp seinen Reiter der Chaussee wieder zutrug; dort aber schlug dieser hastig den Weg nach der Stadt ein, und der Wirth in der rothen Schenke wartete den langen Nachmittag vergebens auf seine Rückkehr.




Es war am Nachmittage des folgenden Tages, als der Doctor langsam in den Hof des Rotheschen Besitzthums einritt; aber wie Sonnenschein zwischen zerrissenen Wolken stand ein Zug heller Laune in den faltigen Zügen seines Gesichts.

„Erschrick einmal nicht, Johann,“ sagte er, dem herbeikommenden Knechte das Pferd übergebend, „wenn sie von Gerichts wegen nach Dir fragen, und gieb fröhlichen Bescheid. Du weißt doch noch, wann an jenem Unglücks-Abend der Fritz heimgekommen ist?“

„Ob ich es weiß!“ erwiderte der Angeredete, den Arzt mit dem Ausdrucke leichter Verwunderung anblickend, während sich dennoch in seinem derben Gesichte ein scheuer Ansatz bildete, die launige Miene des Alten widerzuspiegeln; „ich mußte alle zwei Stunden nach dem kranken Pferde sehen und war gleich nach zwölf in den Stall gegangen. Gerade als ich wieder in’s Bett kriechen wollte, kam der junge Herr!“

„Richtig, das gieb nur gerade so an!“ nickte der Alte und wandte sich nach dem Hause. Ohne anzuklopfen, öffnete er hier leise die Thür des Parterre-Zimmers und steckte den Kopf hinein. Drinnen saß der alte Rothe, eine hohe, breite Gestalt, regungslos in einem ledernen Sorgenstuhle, während die Frau unweit von ihm, eine Nätherei im Schooße, den umflorten Blick nach seinem Gesichte gehoben hatte. Beide schienen soeben eine Pause in einem trüben Gespräche gemacht zu haben.

„Darf man hinein kommen?“ fragte der Arzt, indem es trotz des leichten Zuges von Humor um seinen Mund wie eine stille Erregung in seiner Stimme bebte.

„Da ist er, Vater! siehst Du, daß er uns nicht verlassen hat?“ fuhr die Frau auf. „Es ist seit vorgestern Niemand hier gewesen, Doctor, auch der Advocat nicht, und da hat er gleich an das Schlimmste gedacht.“

„Dummes Zeug, gleich von Verlassen zu reden, wenn Unsereins auch einmal das schöne Wetter genießen will,“ erwiderte der Eingetretene mit einem wunderlichen Zucken in den alten Zügen. „Es thät’ hier auch gut, die Fenster aufzumachen, damit etwas frische Luft in den Trübsalsnebel kommt!“

Der Mann im Sorgenstuhle hatte aufmerksam den Kopf gehoben, während die Frau den Blick in sichtlicher Befremdung auf dem Gesichte des Sprechenden haften ließ. „Haben Sie etwas erfahren, Doctor?“ fragte der Erstere zögernd, „etwas – Tröstliches?“

„O, ich war nur eben dabei, als die Scheide und der Riemen von einem Fleischermesser gefunden wurden –“

„Von einem Fleischermesser?“ wiederholte Rothe, sich langsam gerade setzend und die Augen groß öffnend.

„Ja, das heißt unter den Sachen der Meier-Lotte, die soeben abgeholt werden sollte; es hat sich indessen herausgestellt, daß die Person schon seit vier oder fünf Tagen nicht mehr in ihr Quartier gekommen ist!“

„Und was ist das mit der Meier-Lotte, Doctor?“ klang die neue Frage des Mannes, welcher jetzt den Blick starr in des Arztes Gesicht geheftet hielt.

„Ja, das ist allerdings eine sonderbare Geschichte, wenn man auch schon längst selbst darauf hätte fallen können,“ erwiderte der Arzt, sich in den Haaren krauend und steif durch das Fenster in den blauen Himmel hinaus blickend; „Sie wissen ja, daß der Amtsrath es mit der Person bis zu seiner Verheirathung gehalten hat,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_404.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)