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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Ein Ausflug in’s Teufelsmoor.
Von J. G. Kohl.
(Schluß.)

 

Mitten in dieser Zeit der Haupternte, in welcher ich das Land besuchte, ist der Anblick ein recht unterhaltender. Da aus verschiedenen Ursachen nicht Alle mit ihren Arbeiten ganz gleichmäßig fortschreiten, so sieht man alle möglichen Zustände des Torfs und alle Verrichtungen auf einmal. Hier stehen die Leute noch in den Gräben und klauben die klebrige, schwere Masse los. Dort tanzen sie auf den hochliegenden Lagerplätzen, und kneten den Boden mit hundert beweglichen Beinen. Auf einem anderen Stücke wiederum sind sie mit großen Tranchirmessern beim Aufschneiden und Zerlegen beschäftigt, eine Operation, die sie aus freier Hand, ohne Zirkel und Meßkette sehr geschickt und mathematisch genau vollbringen. Dort wiederum bauen sie ihre Pyramiden, wie Kinder ihre Kartenhäuser, „ringeln“ die Brocken, und „ringeln sie um“.

Zu solchen lebhaften Scenen kommt man aber nur stellenweise, nämlich da, wo das Moor schon angegriffen, wo bereits ein Canal, eine Lebensader in seinen finsteren Busen eingedrungen ist. Und zwischen diesen Stellen liegen wieder ganz unberührte todte Strecken, wo noch keine Ausbeutung möglich gemacht werden konnte. Da, wo ein schiffbarer Canal bereits eingesenkt wurde, glaubt man in das Innere eines offen zu Tage gelegten Bergwerks zu blicken. Der Hauptstrom des Canals geht wie ein offener und horizontaler Schacht gerade fort in das Moor hinein. Die sogenannten „Inwieken“ (oder Seitencanäle) münden unter rechten Winkeln, wie die Stollen, in diesen Hauptschacht ein, und das ganze Wassersystem verzweigt sich durch die Umgegend, wie die Adern eines Blattes. An den Seiten der Canäle, die mit Schiffen bedeckt sind, ist die braune Waare in hohen Mauern und „Hopen“ aufgestapelt. Und rund herum ist die hohe, breite Modermasse in verschiedenen Stufen, in den mannigfaltigsten Formen, wie in einem labyrinthischen Steinbruch zerschnitten, und fällt vom Graben zerklüftet in bunt gestalteten Plateaux und Terrassen mit steilen Wänden zum Wasser ab.

Am Ausgange nach dem Flußthale und dem angrenzenden „Grünlande“ zu, wo es in die Welt hinausgeht, verbreitert sich natürlich das Loch, weil da schon länger gearbeitet wurde, während es sich nach innen hin zuspitzt und an dem Canale zusammenzieht. Die ganze breite, dreieckige Höhlung ist, wie die Kupfergrube bei Falun in Schweden, mit geschäftigen Menschen gefüllt. Ihre „Huttens“, jene rohen Torfmoor-Sennhütten stehen zuweilen gar nicht unmalerisch vertheilt auf den Kanten, aus den Spitzen und Vorgebirgen und in den Schluchten und Rissen, welche durch die Bearbeitung des Moores entstanden sind.

Ich begreife nicht, daß unsere Maler das Leben und Treiben an solchen merkwürdigen Moorhäfen und Torffabrik-Stätten, die sich überall an den zerfressenen Rändern unserer Hochmoore darbieten, noch so wenig aufgefaßt und dargestellt haben. Und doch würden solche Darstellungen nicht nur höchst eigentümliche Bilder, sondern auch Scenen geben, die tausend und tausend Mal in unserm nordwestlichen Deutschland vorkommen, den Bewohnern des Innern desselben sehr geläufig sind und daher eine vaterländische Bedeutung besitzen.

Viel Farbenpracht würde bei diesen Bildern freilich nicht entwickelt werden können. Denn Wege und Stege, Land und Wasser, die „Huttens“ und ihre berußten Bewohner, Alles ist mit der einen dunkeln Tintenfarbe des Moores überzogen.

Die Leute scheinen für die Naturfarbe ihres Landes eine patriotische Vorliebe zu gewinnen. Wenigstens ist die schwarze Farbe bei ihnen in so hohem Grade die Feiertagsfarbe, daß ihre Weiber z. B. für den Sonntag, und namentlich, wenn sie zum Abendmahle gehen, ihre ganze Kleidung, alle ihre seidenen Bänder, ihre Schürzen, auch ihre Sommerstrohhüte und die Blumen auf den Hüten kohlschwarz färben. Wenn man sie zur Kirche strömen sieht, glaubt man eine von einem allgemeinen Unglück betroffene Bevölkerung trauernder Pilger vor sich zu haben.

Auf den noch ganz wilden Partieen des Teufelsmoores findet man nicht nur eine solche ab- und zufluthende Hüttenbevölkerung, wie ich sie beschrieb, sondern auch eine permanente. Die armen Leute des Moores, die ersten noch unbemittelten Besiedler eines noch uncultivirten Strichs wohnen Winter und Sommer in eben solchen primitiven „Huttens“, die in ihrer inneren Einrichtung an die Zeiten erinnern, wo noch nicht das Fensterglas, die Ziegelsteine, auch keine Säge und Hobel erfunden waren. Denn von allen diesen Dingen und Instrumenten ist kaum etwas bei dem Bau ihrer Wohnungen verwendet.

Die Mauern oder Fundamente derselben bestehen aus in kleinen Dämmen aufgehäuften Torfsoden. Die Dächer – ich sagte schon, daß das Ganze eigentlich nichts als ein auf den Boden gesetztes Stück Dach sei, – sind aus schilfbedecken Zweigen und Sträuchern componirt. Im Inneren ist Alles ein zusammenhängender, der Wärme wegen möglichst enger Raum, in welchem durch einige unbehobelte Baumäste für die Schlafstätten der menschlichen Bewohner und für die Stallung der einen mageren Moorkuh und der drei zottigen Moorschafe, aus denen ihr Viehstand besteht, Abtheilungen zu Stande gebracht sind.

Die uralte, etwas abgetrocknete Oberfläche des Hochmoores bildet die Flur und die Tenne des Hauses. In der Mitte derselben ist statt des Heerdes ein wenig Sand aufgehäuft, das der Hütteneigenthümer sich unten am Rande des Moores, wo einmal ein Schiff mit einer Sandladung anfuhr, und wo ein wenig von diesem kostbaren Artikel liegen blieb, zusammenkarrte. Dies Häufchen Sand bildet den Heerd. Ein Paar wurzelreiche Torfsoden, die man draußen grub, glimmen und schwehlen Tag und Nacht auf diesem Sandheerde. Um ihn, der sich in der Mitte der Hütte befindet, kriechen die kleinen mageren und scrophulösen Kinder herum. Neben ihm sitzt die Mutter auf einem Klotze, wie eine Irländerin ihr kurzes Tabakspfeifchen im Munde, als wäre die Atmosphäre noch nicht räucherig und trübe genug.

Diesem Sandheerde, als erwarteten sie da alles Heil, sind die Gesichter Aller zugewandt, die der Kinder und auch die der Ziegen, Schafe, Kühe und Schweine, die, wenn Du bei den Leuten Platz genommen hast, dicht hinter Deinem Rücken grunzen und brüllen und Deinen Rockzipfel beschnüffeln. Für den Rauch und alle sonstigen Dünste giebt es nur einen einzigen Ausgang, die enge Thür, die nach Süden hin in der Torfmauer ausgeschnitten ist, und zugleich auch der Eingang für Menschen und Vieh und für die aus- und einkriechenden treuen Hunde ist. – Die Aeste und natürlichen Auswüchse, welche man an den Dachsparren und dem Gebälke des Hauses belassen hat, dienen zum Aufhängen der Kleider, der Werkzeuge und aller kleinen Habseligkeiten, die rings in dem Hüttchen herumhängen, wie in der Trödelbude eines Lumpenhändlers in dem Judenviertel von Amsterdam.

Ich hatte mir bisher gar nicht vorgestellt, daß es in unserm Deutschland noch solche Zustände gäbe. Ich denke mir aber, diese „Huttens“ der Hochmoore sind der Beachtung und der Beschreibung werth, erstlich, weil sie sich noch jetzt aus allen wilden Mooren vom Teufelsmoore bis nach Holland hin vielfach finden, und dann aus historischen Rucksichten, weil sie vermuthlich das urälteste Wohnhaus jener Gegenden sind, und uns einen Begriff davon geben können, wie die alten „Chauken“ und „Angrivarier“ hier gehaust haben mögen. Das ganze germanische Land und Volk hat hier wahrscheinlich mit selben „Huttens“ angefangen, wie noch jetzt hier im Moor fast jede Colonie zu allererst mit ihnen beginnt.

Was mit der Zeit aus den Nachkommen dieser armseligen Hüttenleute werden kann, das sah ich mir nun am folgenden Tage an, an welchem ich mich aus dem so eben geschilderten Wallhofer Moore, auf der Nordseite der Hamme-Niederung, in eine schon ganz cultivirte und mit zahlreichen „Fehncolonien“, stark bevölkerten und wohlhabenden Dörfern, besäte Partie des Teufelsmoores auf der Südseite dieser Flußmulde hinüberschiffen ließ.

Hier ist seit etwa 100 Jahren aus einem mehrere Meilen langen Striche das garstige Teufelsmoor bis auf wenige Reste weggegraben, und es leben dort nun in einer Localität, wo ehedem, wie gesagt, nicht einmal wilde Vögel oder Füchse existiren konnten, Tausende von zufriedenen Menschen. Ich spazierte einen ganzen Tag lang durch eine Reihe von freundlichen Dorfschaften, von denen die eine vor 30, die andere vor 50, noch eine andere vor 100 Jahren begründet war.

Man kann keinen stärkeren Gegensatz und keinen wohlthuenderen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_474.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)