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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

muß; nach dem dritten Male apportirt der älteste Hund das corpus delicti, und diese Handlung, die stets mit großer Präcision ausgeführt wird, bildet den Schluß des allgemeinen Bades. Hierauf begiebt sich die Truppe nach dem Exercirplatze, der außerhalb der Barrière gelegen ist, und es lohnt sich wahrlich der Mühe, ihr dahin zu folgen. Ich glaube, daß selbst auf den berühmtesten Affen- oder Hundetheatern jener Grad von Dressur und Gewandtheit niemals erreicht worden ist, den der Commandant seinen Untergebenen beizubringen verstanden hat. Seine Hunde manövriren wie eine Schwadron Husaren; sie formiren sich in Pelotons und in Divisionen, führen Angriffe aus, rücken vor, ziehen sich zurück, galoppiren, traben, gehen im Schritt, bleiben stehen etc. und alles dies mit der größten Präcision und genau nach dem Commando. Der Commandant leitet die Uebungen mit dem höchsten Ernst und mit unerschütterlicher Ruhe; er lobt, tadelt, eifert an, muntert auf. „Bravo, Caro!“ ruft er z. B., „das war sehr gut gemacht!“ oder „Cartouche, wenn du mir noch einmal aus der Richtung kommst, so wirst du bestraft!“ oder „das war ein schlechter Angriff, sehr schlecht! wir müssen das Manoeuvre noch einmal machen und ich bitte mir aus, daß Ihr Euch besser zusammennehmt!“ So wird weiter manövrirt, bis Alles zur vollkommenen Zufriedenheit des Commandanten ausgeführt ist. Nach beendeter Uebung werden diejenigen Hunde, die sich besonders ungeschickt gezeigt und zu wiederholtem Tadel Veranlassung gegeben haben, bestraft. Die Strafe besteht darin, daß die Inculpaten mit den beiden Hinterpfoten in die Luft und gegen eine Mauer angestemmt aufgestellt werden und eine kürzere oder längere Zeit, nach Maßgabe ihres Vergehens, in dieser höchst unbehaglichen Lage verharren müssen. Zwei alte Pudel, Bataillon und Musketon, werden als Schildwachen bei den Sträflingen aufgestellt und haben streng darauf zu sehen, daß die verhängten Strafen richtig ausgehalten werden. Das ganze Exercitium, inclusive der Strafzeit, dauert in der Regel mindestens zwei bis drei Stunden; hierauf marschirt die Schwadron in der größten Ordnung in ihr Quartier zurück, wo alsbald ein angemessenes Frühstück aufgetragen und, wie sich leicht denken läßt, mit sehr gesundem Appetit verzehrt wird.

Nach dem Frühstück begeben sich sämmtliche Hunde in den Garten und dürfen nach Belieben ihren verschiedeuen kleinen Geschäften oder Zerstreuungen nachgehen. Diese Ruhezeit dauert bis Nachmittags zwei Uhr, das heißt bis eine Stunde vor dem Mittagsessen, und dann wieder bis fünf Uhr, also eine Stunde vor dem Abendbrod, wo regelmäßig die Uebungen wieder beginnen, die demnach täglich drei Mal vorgenommen werden. Indessen verläßt die Truppe ihr Quartier alle Tage nur ein Mal, weil die Nachbarn sich beklagt und schändlicher Weise behauptet haben, daß der allzu häufige Vorbeimarsch dieses Hunde-Regimentes ihre Frauen und Kinder beunruhige und erschrecke. Der Polizeicommissär des Stadtviertels hatte demnach für gut befunden, die militärischen Promenaden des Herrn Commandanten auf das Minimum zu reduciren. Diese Maßregel war aber den garstigen Nachbarn noch keinesweges genügend gewesen, so daß auf ihre erneute Klage der Polizeicommissär sich endlich veranlaßt gesehen hatte, den Herrn Commandanten zu sich entbieten zu lassen und ihm zu eröffnen, daß, wenn er sich nicht freiwillig dazu verstehen wolle, einen Theil seiner Schwadron zu entlassen, die Auflösung des ganzen Corps von Polizeiwegen erfolgen werde.

Auf diese kategorische Erklärung, die ihn an seiner empfindlichsten Stelle und zwar sehr schmerzlich berührte, erwiderte der alte Soldat nach einigem Bedenken mit bewegter Stimme: „Herr Commissär, ich habe meinem Vaterlande vierzig Jahre hindurch treu gedient; habe die letzten Feldzüge des ersten Kaiserreiches mitgemacht, sodann in Algier gefochten und mich überall ehrenvoll betragen –“ hier warf er einen stolzen Blick auf das Kreuz der Ehrenlegion an seiner Brust und fuhr dann fort, indem seine Stimme einen immer weicheren Ausdruck annahm: „meine besten Freunde, das heißt Alles was ich liebte und was mich wieder liebte, habe ich auf den Schlachtfeldern verloren, so daß ich nun auf meine alten Tage ganz einsam und verlassen in der Welt dastehe; ich habe nur noch meine Hunde, und wenn Sie mir diese armen Thiere wegnehmen, so rauben Sie mir den einzigen Trost, der mir noch bleibt!“

Als der Herr Commandant seine Rede geendet hatte, gab ihm der Polizeicommissär keine Antwort, und die Schreiber, die in seiner Kanzlei beschäftigt sind, erzählen, daß ihrem Chef in jenem Augenblicke vermuthlich eine Mücke in’s Auge geflogen sei, so daß er sich die Augen mehrmals habe wischen müssen. Um jedoch etwas zu thun, habe er dem Herrn Commandanten die Hand gedrückt, worauf dieser die Kanzlei wieder verlassen habe. Seit jener Stunde ist die Hundefrage als erledigt betrachtet und der alte Soldat in seinen Lieblingsneigungen nie wieder behelligt worden.

Ursprünglich bestand das Corps des Commandanten nur aus zehn, höchstens zwölf Hunden; mit der Zeit hat sich aber dieses Contingent natürlich ganz bedeutend vermehrt. Jedoch der Commandant, dieser tapfere Soldat, der den Tod so oft in der Nähe gesehen, Kanonendonner und Schlachtenrufe gehört und vor den ärgsten Gefahren nicht gezittert hat – dieser alte tapfere Soldat hatte nicht das Herz auch nur einen einzigen von den jungen Sprößlingen seiner großen Hundefamilie umzubringen. Er behält sie alle, und wenn der liebe Gott den alten Mann noch einige Jahre leben läßt, so wird dieser schließlich buchstäblich von einem ganzen Regimente von Hunden umgeben sein. Schon jetzt reicht seine kleine Pension kaum hin, um den Unterhalt der Hundeschwadron zu bestreiten, und ich frage mich zuweilen nicht ohne Besorgniß, wie der Commandant es anfangen wird, um die fernern jungen Rekruten seines Corps auch noch zu ernähren.




Endlich wieder ein komischer deutscher Roman! Ferdinand Stolle, der bekannte Gründer des „Dorfbarbier“, der Verfasser zahlreicher gern gelesener Erzählungen und Romane, der jetzige Hauptrepräsentant des gemüthlichen deutschen Humors, wird uns, nach langer Rast, demnächst wieder mit einem komischen Romane erfreuen, den wir nur zu nennen brauchen, um ihn, im Voraus ein allgemeines Interesse zu sichern. „Die deutschen Pickwickier auf Reisen“, so heißt dieses neueste Erzeugniß von Stolle’s heiterer Muse, ein Buch voll der köstlichsten komischen Situationen, welches sich, obschon eine durchaus selbstständige Composition, würdig anschließt an die in vielen Auflagen erschienenen „Deutschen Pickwickier“ des nämlichen Verfassers, die gelungenste seiner Schriften, und gerade zur rechten Zeit kommt, um manchen langen Winterabend behaglich auszufüllen.

E. K. 




Erklärung. Von der herzoglich nassauischen Polizeidirection zu Wiesbaden ging uns die nachstehende Erklärung zu, der wir laut Preßgesetz die Aufnahme in die Spalten unsers Blattes nicht versagen dürfen:

In der Nr. 33 und 35 der Gartenlaube befindet sich ein „Deutscher Menschenhandel der Neuzeit“ überschriebener Artikel „aus der Mappe eines Wiesbadener Curgastes“ (?), worin erzählt wird, daß jährlich eine große Anzahl Deutscher das Ausland überschwemmen und sich dort zu den niedrigsten Verrichtungen herabließen, daß insbesondere aber aus verschiedenen nassauischen und hessischen Orten jährlich eine beträchtliche Anzahl Kinder ausgeführt würden, um unter dem Vorwande den Hausirens und Musicirens zur Prostitution benutzt zu werden.

Der Artikel wendet sich dann speciell gegen Nassau und behauptet, daß die nassauische Regierung diesem Unwesen nicht entgegentrete.

Im Jahre 1860 habe der verstorbene Medicinalrath Dr. Zais aus Wiesbaden in der nassauischen Kammer beantragt, daß die Regierung, da die bisherigen polizeilichen Maßregeln gegen das Verdingen von Kindern an Subjecte, welche dieselben in fremde Länder ausführten, um sie dort zu mißbrauchen, erfolglos gewesen seien, strengere Maßregeln gegen diesen Unfug ergreifen, namentlich die Verdingungsverträge für ungültig erklären und die Verdinger sowohl, wie die verdingenden Menschenhändler mit angemessenen Strafen belegen solle. Es wird behauptet, die Kammer habe diesem Antrage wenig Aufmerksamkeit geschenkt, und dann fortgefahren: „Die Wirkungen dieses Kammerbeschlusses (motivirte Tagesordnung) waren unschwer vorauszusehen. Die Regierung that das Nämliche wie bisher, d. h. Nichts.“ – Der genannte Artikel ist im Auszug in andere Blätter, wie z. B. die Wiener Presse, Augsburger Allgemeine Zeitung. Kölnische Zeitung, übergegangen und zu weiteren Ausfällen gegen die nassauische Regierung benutzt worden. Wir waren in der Lage, nun über die Verhältnisse speciell zu informiren, und geben hiermit das Resultat unserer Erhebungen. Wir haben erfahren, daß es allerdings vorgekommen ist, daß unerwachsene Personen aus Nassau von ihren Eltern sowohl, wie anderen Unternehmern in’s Ausland geführt und dort mißbraucht worden sind. Wir haben aber auch weiter erfahren, daß die nassauische Regierung diesem Gegenstand fortwährend ihre Aufmerksamkeit zuwendet und im Laufe der Zeit die verschiedensten Maßregeln durch Weisungen an die inländischen Behörden sowohl, wie an ihre Vertreter im Ausland und durch Vernehmen mit auswärtigen Behörden getroffen hat, um die Wiederholung solcher Fälle zu verhindern. Es besteht das Gesetz, daß schulpflichtige Kinder unter keinen Umständen der Schule entzogen werden dürfen, bei Vermeidung ansehnlicher Strafen für die Eltern oder Vormünder. Es besteht schon seit Jahren die Bestimmung, daß nur den Eltern für der Schule entlassene Knaben Legitimationspapiere zum Zweck des Hausirens oder Musicirens im Auslande ausgefertigt werden dürfen, daß aber ledige Mädchen zu dem angegebenen Zwecke überhaupt, sogar von ihren Eltern nicht in das Ausland mitgenommen werden dürfen. Weiter ist bestimmt, daß solchen Eltern, gegen welche der Verdacht vorliegt, daß sie ihre Söhne zu unerlaubtem Erwerb im Auslande verwenden, auch das Mitnehmen der Söhne durch Verweigerung der Pässe für dieselben verwehrt werden soll. Selbst hausirende Handelspersonen haben nur einen erwachsenen Sohn in’s Ausland mitnehmen dürfen.

Die Wachsamkeit auf Ausländer, welche etwa Knaben und Mädchen zur angeblichen Hülfe beim Handel anwerben wollten, ist wiederholt eingeschärft und endlich ist durch den §. 9 des unterm 25. September 1862 erlassenen Gesetzes über den Hausirhandel und die hausirend betriebenen Gewerbe wörtlich Folgendes verordnet worden: „Derjenige, welcher fremde Kinder unter achtzehn Jahren ohne vorherige amtliche Erlaubniß anwirbt oder mitführt, um sie bei dem Hausirhandel, den hausirend betriebenen Gewerben oder zu solchen Schaustellungen, künstlerischen Vorstellungen, Musiciren, Orgelspielen und dergleichen, welche zu den öffentlichen Lustbarkeiten des niederen Grades gerechnet werden, in außerdeutschen Staaten zu verwenden, wird, sofern nicht ein höher zu bestrafendes Vergehen vorliegt, bestraft mit Geldstrafe von fünfzig bis hundert Gulden oder Gefängniß von vierzehn Tagen bis zu drei Monaten Correctionshaus. Derjenige, welcher fremde Kinder unter achtzehn Jahren ohne besondere amtliche Erlaubniß zu den erwähnten Schaustellungen im Inlande oder anderen deutschen Staaten verwendet, wird, sofern nicht ein höher zu bestrafendes Vergehen vorliegt, bestraft mit Gefängniß von vierzehn Tagen bis zu vier Wochen. Gleiche Strafe trifft Eltern und Pflegeeltern, welche ihre Kinder unter achtzehn Jahren Dritten zu dem gedachten Zwecke überlassen.“ – Die Behauptung, daß die nassauische Regierung in der Sache weder in früherer noch in neuerer Zeit etwas gethan habe, ist hiernach einfach unwahr. Ebenso ist unwahr, daß „jährlich Tausende von der halben Million Einwohner Nassaus, Männer, Weiber und Kinder, ausgesendet würden, um in der Fremde ein elendes Dasein zu fristen und zugleich den deutschen Namen zu schänden.“ Die gewerblichen Zustände Nassaus sind der Art, daß überall ausreichender Arbeitsverdienst zu finden ist, die Taglöhne stehen überall hoch, wohl aber ist vielfach derartiger Mangel an Arbeitskräften, daß jährlich tausende von Ausländern in das Herzogthum kommen und als Taglöhner reichlichen Erwerb finden. Das Mitnehmen unerwachsener Personen auf den Handel ist nach wiederholten sorgfältigen Erhebungen der Regierung nicht von bedeutender Ausdehnung gewesen. Was von Mißbräuchen dieser Art in neuerer Zeit vorgekommen, beschränkt sich auf vereinzelte Fälle. In den sterilen Gegenden, z. B. des hinteren Taunus, war allerdings in früherer Zeit große Armuth; die Regierung ist aber nicht blos durch polizeiliche Maßregeln den hier vorgekommenen Mißbräuchen entgegengetreten, sie hat auch durch Anregung und Unterstützung passender Industriezweige, z. B. der Drahtflechterei und von Baumwollenarbeiten, dahin gewirkt, daß nunmehr der Wohlstand in jenen Gegenden aufblüht. Was aber das Hausiren erwachsener selbstständiger Personen anlangt, so ist es bekannt, daß die vorzüglichen Thonwaren Nassaus bis in entfernte Gegenden verführt werden und daß deren Verschleiß naturgemäß und herkömmlich vielfach im Hausirhandel betrieben wird. Gleiche Industriezweige und gleiches Verfahren bestehen in vielen anderen Ländern. Auf einzeine solcher Händler mögen die Reisen in’s Ausland bezüglich der Moralität von nachtheiligem Einflusse sein. Dies kann jedoch keinen Grund abgeben, diesen Handel zu beschränken, und es verdient wohl der Erwägung, ob die Regierung eines Landes, in welchem volle Gewerbefreiheit und Freizügigkeit besteht, die Mittel hat, allen Consequenzen dieser persönlichen und gewerblichen Freiheit entgegen zu treten. Wohl aber sind die Behörden angewiesen, solchen Personen, von welchen anzunehmen ist, daß sie ihren Aufenthalt im Ausland zu Mißbräuchen benutzen, entweder keine Legitimationspapiere zu ertheilen, oder aber in die Papiere derselben das Ersuchen an die Behörden des Auslandes aufzunehmen, sie an der Grenze zurückzuweisen.

Was die entstellenden Angaben über die Verhandlungen in der nassauischen Kammer vom Jahre 1860 betrifft, so wollen wir, obwohl wir die gedruckten Protokolle hierüber eingesehen haben, hierauf nicht eingehen Es würde uns dies auf das Gebiet der Parteipolemik führen, welchem wir ferne stehen. Nur den auffallenden Umstand müssen wir noch hervorheben, daß nach des Verfassers Darstellung hauptsächlich nur nassauische Hausirer und Musikanten im Auslande zu finden sein sollen und daß der Gegenstand gerade jetzt vom Verfasser sowohl, wie in der Wiener Presse und Kölnischen Zeitung zu unwahren Vorwürfen gegen die nassauische Regierung benutzt wird, indem das, was nach dem Obigen als Wahres an der ganzen Schilderung verbleibt, sich nicht auf die Gegenwart, sondern auf eine seit Decennien hinter uns liegende Vergangenheit beschränkt. Wir wollen die Gründe dieses Verfahrens nicht untersuchen. Wir vindiciren der Presse nicht blos die Berechtigung, sondern auch die Verpflichtung, Mißstände zur Sprache zu bringen, wir verlangen aber vor Allem Wahrheit und Unparteilichkeit. In letzterer Beziehung können wir nicht unterlassen, den Verfasser des Artikels schließlich noch darauf aufmerksam zu machen, daß durch einen eigenthümlichen Zufall gerade die Nummer der Gartenlaube, welche den ersten Theil seines Artikels bringt, noch einen andern Artikel enthält, überschrieben: „Die Sklaverei der Kinder in England“, welcher „die leibliche und geistige Noth der Kinder des freien Englands“ schildert, es aber nicht unternimmt, der Regierung dieses Landes hieraus einen Vorwurf zu machen, sich vielmehr mit den Worten zum Schlusse wendet: „Gegen gewohnheitsgemäße Gewissenlosigkeit kämpft das Gesetz selbst vergebens.“

Wiesbaden, 9. October 1864.

Die herzogliche Polizei-Direction. 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_768.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)