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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

und legislativen Gewalten, die vollkommene Handels- und Gewerbefreiheit, die die Erwerbung des Bürgerrechtes und die Niederlassung erleichternden Gesetze, die Religionsfreiheit, kurz all die neuen Institutionen, welche auf die Revolution folgten, aus Genf gemacht haben, ist vielfach schon anderswo ausgeführt worden, und es ist unmöglich, auf diesem beschränkten Raume das auch nur andeutend auszuführen. Es ist genug, wenn wir sagen, daß Genf von der Revolution an sich so rasch entwickelte wie eine amerikanische Stadt, und daß, wer diese Stadt vor der Revolution gesehen und sie jetzt wieder sieht, auch ohne ihre innere Umgestaltung zu kennen, einsehen müsse, daß er hier eine ganz neue Welt vor sich habe, die mit der alten nichts zu thun hat. Hat es doch der fanatische Conservative Cherbuliez, ein persönlicher Feind Fazy’s, in der Revue des deux Mondes eingestehen müssen, daß das heutige Genf eine große, unbegreifliche Schöpfung sei, und ein halbconservativer Historiker, Herr Gallieur sagt: Wie man immer über Herrn Fazy denke, so müsse man doch zugestehen, daß seit Calvin Niemand auf die Geschicke Genfs so großen Einfluß ausgeübt, wie dieser Mann.

Anstatt aller Ausführungen wollen wir nur einer Maßregel erwähnen, als einer besonders bezeichnenden und wirksamen: die Niederreißung der Befestigungen. Die Stadt Genf hatte Gräben, Wälle und Mauern, wurde von den Machthabern wie eine Grenzfestung behandelt und man schloß die Thore bald nach Einbruch der Dämmerung. An eine Zunahme der Bevölkerung konnte kaum gedacht werden, da die Häuser auf dem kleinen, durch die Festungswerke beschränkten Raume schon so eng aneinander und so hoch in die Luft als möglich gebaut waren. Es sah da ärger aus als in irgend einer mittelalterlichen Stadt. Die Häuser aber gehörten zum größten Theile der alten Partei, die schon dadurch jenen Zuwachs an Macht erhielt, den ausschließlicher Besitz unbeweglicher Güter giebt. Sie war factisch die Besitzerin, also die Herrin der Stadt, und war eben so wenig gewillt, diesen Vortheil wie irgend einen andern mit einer größeren Anzahl zu theilen. Daß die Bevölkerung in dieser Stadt verdumpfte, war ihr gleichgültig; daß sie nicht zunahm, war ihr angenehm, denn wer konnte ihr bürgen, daß einer größeren Bevölkerung gegenüber eine regierende Coterie sich halten würde. Die einengenden Befestigungswerke waren ihr mithin so lieb, wie ihr Augapfel, wie das Symbol ihrer Macht. Schon in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts trat ein Genfer, Namens Micheli-Ducrest auf, der, als ausgezeichneter Ingenieur und Officier aus fremdem Kriegsdienst heimgekehrt, eine Abhandlung veröffentlichte und dem Rathe überreichte, in welcher er darthat, daß die Befestigungen von Genf nicht nur nutzlos, ja sogar gemeingefährlich für die ganze Schweiz seien, da sie einer Belagerung nicht gehörig widerstehen, wohl aber einem einmal eingebrochenen Feinde als Halt und Stütze, jedenfalls zur Deckung eines Rückzuges dienen könnten. Micheli-Ducrest wurde dafür ein Hochverrathsproceß gemacht und er mußte die Flucht ergreifen. Zu Anfang der dreißiger Jahre erstattete eine militärische Commission der Eidgenossenschaft an diese einen Bericht, welcher beinahe genau dieselbe Ansicht ausdrückte, welche jener vor mehr als neunzig Jahren ausgesprochen; aber der Bericht hatte keine Folgen, da der Genfer Rath diese zu hintertreiben verstand.

Trotz solcher Antecedentien dieser ein Jahrhundert alten und längst beantworteten Frage, erhob sich von Seiten der Aristokraten und Conservativen ein gewaltiges Geschrei über Hochverrath, Landesverrath, Auslieferung an Frankreich, als Fazy mit dem Antrag auftrat, die nutzlosen Festungswerke niederzureißen, der Stadt Luft und Licht zu geben, unzählige neue Baupläne und damit der Republik neue Geldquellen zu schaffen. Man wandte sich selbst an den Bundesrath, um mit Hülfe seiner Autorität die Kalamität von der Stadt Genf abzuwenden, und dieser, immer bereit den Ueberresten des alten Regiments Recht zu geben, vergaß auch jenen obenerwähnten militärischen Bericht und schickte sich an, ein Veto ergehen zu lassen, kam aber, bei der Rührigkeit Fazy’s, zu spät. Das ganze Volk stand auf Seiten Fazy’s; mit Musik zog man hinaus; es war eine patriotische Handlung, einige Steine von den alten Festungswerken zu reißen. Sie verschwanden; die Gräben wurden ausgefüllt; Genf hatte mit einem Male einen ungeheueren Grundbesitz, und – um es kurz zu sagen – die Bauplätze sind im heutigen Genf so theuer wie nur in Paris, trotzdem viele Hunderte von Bauplätzen geschaffen wurden. Die Conservativen selbst, die jammerten, daß ihre Besitze entwerthet würden, sehen ihre alten, verrotteten Häuser heute um das Drei- und Vierfache im Werthe gestiegen. Wie die Maßregel der Niederreißung unzähligen Armen und eben so unzähligen Fremden und neuen Bürgern gesunde Wohnungen verschaffte, eben so bereicherte sie die schon Reichen. Das Geschrei über Landesverrath hörte aber trotz alldem ebensowenig auf, wie der Haß gegen Fazy. Hatte er auch den Reichthum der Reichen vergrößert, so hat er auch andere Besitzende neben ihnen geschaffen, dem alten Genf ein Ende gemacht und, vor Allem, Geld aus dem Boden gestampft und so die Conservativen umgangen, die gehofft hatten, die neue Regierung auszuhungern, mit Zurückziehung ihrer Capitalien Unzufriedenheit zu erzeugen und das neue System zu stürzen.

Im Jahre 1854, also erst acht Jahre nach der Revolution, wurde Fazy aus der Regierung herausvotirt, aber nur um bald darauf wieder gewählt zu werden und sich auf’s Neue bis zum Jahre 1861 zu halten. Bis dahin hielt man ihn im Auslande, selbst in Genf, immer für den Präsidenten des Staatsrathes, selbst wenn er es nicht war, in dem richtigen Gefühle, daß er immer die Seele desselben gewesen. Mit dem genannten Jahre beginnt sein endlicher Verfall. Fazy hat in der That ein neues, reiches, rühriges und durch und durch freies Genf geschaffen; er hat aus dem unbedeutendsten Canton einen Factor gemacht, der in der Eidgenossenschaft eine Wichtigkeit erhielt, wie einer der größten Cantone; er hat gezeigt, wie man in der Freiheitslogik bis zu den sogenannten letzten Extremen gehen könne, ja gehen müsse, um auch die richtigen Früchte zu ernten. Es wurden Institutionen in’s Leben gesetzt zum Vortheil Aller und es haben sich Einrichtungen bewährt, die man vor ihm als utopistisch, als schöne aber unpraktische Schwärmereien betrachtete; es wurden Veränderungen vorgenommen, zu denen man, bevor sie in’s Leben traten, die Mittel eines großen Staates nicht für zureichend gehalten hätte. Dem Unterricht wurde, im Verhältniß zur Größe des Staates, das größte Budget der Welt zugewendet; verhältnißmäßig die meisten Banken, Disconto-Gesellschaften gegründet und die besten und zahlreichsten Communicationswege eröffnet; die Stadt verwandelte sich in eine Stadt der Paläste und wuchs in der Bevölkerung; diese wurde reicher als je, obwohl die eingeborene Uhrenindustrie durch die Concurrenz von Chaux-de-Fonds, Locle, Besançon, Paris und London in der Abnahme begriffen ist. Dies Alles hat Fazy und sein System gethan; dies Alles ist es, was ihm ein Monument ein Jahr nach seinem Tode sicherte. Wir wollen jetzt von dem Fazy sprechen, der sich um das Monument gebracht hat, denn wir sind nicht, wie es bisher geschienen haben mag, die Lobredner des merkwürdigen Mannes, obwohl wir zugeben müssen, daß manches Lobenswerthe mit zu seinem Verfall und Falle beigetragen.

Hier muß nun vor Allem auf die unbestreitbare und entscheidende Thatsache der Nachdruck gelegt werden, daß James Fazy der begabteste, der geistreichste und erfahrenste Mensch aller Parteien ist, daß er immer die gegebenen Mittel zu benutzen wußte, wenn solche fehlten, sie zu schaffen verstand und sich nicht leicht durch irgend welche Combination von Umständen in Verlegenheit bringen ließ. Die radicale Partei Genfs, wie viele ehrenwerthe Männer sie auch zählen mag, ist doch so arm an politischen Köpfen, wie die conservative. Fazy hatte eigentlich niemals Parteigenossen, sondern zum größten Teile ein Gefolge, das auf sein Wort hörte, wie auf das Wort des Meisters. Naturgemäß war er die Seele der radicalen Partei, die er organisirte, und da diese durch viele Jahre bestehen mußte, ehe sie zu Kampf und Sieg kam, ließ sie sich, als die schwache Partei, gern und willig von einem Einzigen leiten. Dieses Verhältniß änderte sich nicht, als die Partei siegte und die demokratischste Verfassung durchsetzte, denn Sieg und Verfassung schufen weder auf dieser noch auf der andern Seite politische Köpfe. Durch eine lange Reihe von Jahren war also Fazy Alles in Allem: er war die Partei und er imponirte seinen Feinden nicht weniger als seinen Anhängern, kein Wunder, daß er im Schooße der Partei das wurde, wozu sie und die Umstände ihn machten, ein Despot, d. i. ein Mann, der immer und immer nur seine Meinung durchsetzte und neben dem kein Anderer aufkam. Gab ihm das eine verderbliche Sicherheit, so weckte es zugleich eine stille Unzufriedenheit bei denen, die im demokratischen Staate keine vorwiegende Persönlichkeit eine Alleinherrschaft üben sehen wollten und doch weder Muth noch Mittel hatten, diese zu beschränken.

(Schluß folgt.)



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