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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

nicht beeinträchtigt worden zu sein. Später aber, als er nur endlich gestattete, seine zeitherigen Erlebnisse zum Gegenstand des Gesprächs zu machen, klagte er sehr, daß ihm das Arbeiten schwer, ja oft längere Zeit geradezu unmöglich werde.

Meine Frage, ob er nicht Lust habe mich auf einem Spaziergang durch die Stadt oder sonst wohin zu begleiten, beantwortete er lächelnd mit Nein und erklärte, daß er seine Wohnung fast gar nicht mehr verließe. Selbst ins Theater, wo man ihm einen ihm völlige Ungestörtheit bietenden Freiplatz eingeräumt hätte, käme er nicht. „Ich kann’s net vertragen,“ waren die Worte, wodurch er diesen Verzicht auf allen Umgang mit der äußern Welt motivirte.

Als ich nach etwa zweistündigem Verweilen bemerkte, daß – obschon er in seiner grenzenlosen Gutmüthigkeit es nicht gestehen wollte – ihm nicht blos das Sprechen, sondern auch das Hören beschwerlich fiel, erhob ich mich und schied mit dem Versprechen, ihn bald wieder zu besuchen. Ich habe ihn aber nicht wiedergesehen. Doctor W., der nach seiner Rückkehr aus Syrien unsern alten Freund ebenfalls besuchte, theilte mir auf der Durchreise durch Leipzig mit, daß er ihn, wie ich, nicht blos körperlich, sondern auch in einem gewissen Grade an geistiger Stumpfheit leidend gefunden. Er sei deshalb überzeugt, daß man ihm keine größere Wohlthat erzeigen könne, als wenn man ihn völlig ungestört ließe, denn selbst die Freude über den Anblick eines lieben Gesichts müsse bei seiner überaus großen Schwäche nachtheilig auf ihn wirken.

Oft bin ich seit jenem Tage wieder in Dresden gewesen, aber nie mehr mochte ich Ludwig in seiner Abgeschiedenheit stören. Ich zog es vor, mich durch dritte Personen nach seinem Befinden zu erkundigen. Die Nachricht von seinem Heimgang erschütterte mich tief, dennoch aber pries ich das Geschick, das dem edlen hohen Geiste endlich die Fesseln irdischen Siechthums abgenommen hatte.

Nur wenige sind der Werke, die dem Dichter zu schaffen vergönnt waren, diese wenigen aber sind in ihrer Art unübertroffene, glänzende Perlen unserer Literatur.[1]

August Kretzschmar.


Blätter und Blüthen.

Diebskerzen und Diebsfinger. Wie die Zeitungen berichten, ist zu Ellerwald bei Elbing in der Sylvesternacht ein grauenhaftes, fast unglaubliches Verbrechen begangen worden. Ein Arbeiter brachte mit kaltem Blute ein Frauenzimmer um, schnitt ihr Stücke Fleisch aus dem Leibe, schmorte dieselben und machte sich aus dem gewonnenen Fett eine Kerze. Die sogenannten „Grieben“ zehrte er auf. Man erkennt auf den ersten Blick, daß bei dieser Bestialität der furchtbarste Aberglaube im Spiele ist. In Wirklichkeit spukt, trotz der vielgerühmten Aufklärung unsers Jahrhunderts, noch so mancher finstere Wahn in den Köpfen, und namentlich hat es noch nicht gelingen wollen, den Aberglauben aus denselben auszutreiben. Es kann sonach nicht fehlen, daß hin und wieder selbst ein Verbrechen nicht gescheut wird, um zu dem abergläubischen Zwecke zu gelangen, wie in dem vorliegenden Falle. Eine weitverbreitete Sage ist, daß Derjenige, welcher ein aus Menschenfett gefertigtes Licht mit sich führe, unsichtbar werde; auch soll sich Derjenige, welcher Menschenfleisch, namentlich ein gekochtes Menschenherz ißt, unsichtbar machen können. Diese Sage ist uralt und tritt in mancherlei Varianten auf. In der Regel werden zu den Zauberkerzen die Finger neugeborener Kinder verwendet. Diese geben, angezündet, eine Flamme, welche „alle Leute im Hause schlafend erhält“. Sie machen also nicht gerade unsichtbar, sondern bewirken nur, daß diejenigen Personen, bei welchen der Dieb einbricht, nicht aus dem Schlafe erwachen. Auch wurden sie von Eingeweihten benutzt, um sich „fest zu machen“. In Bautzen wurden zu Anfange des siebzehnten Jahrhunderts zwei Mörder hingerichtet; diese hatten – natürlich auf der Folter – ausgesagt, daß sie, um sich fest zu machen, „neugeborener Kindlein Finger sich verschafft, in Bier gethan und sich gegenseitig zugetrunken“. Ferner graben die Hexen die Leichen kleiner Kinder aus und schneiden ihnen die Finger ab, um damit Zauberei zu treiben. Am 7. August 1619 wurde in Sorau ein Landsknecht mit glühenden Zangen gepeinigt, gerädert und noch lebend auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Dieser Landsknecht hatte – natürlich wieder auf der Tortur – bekannt, daß er drei Frauen ermordet und aus ungeborener Kindlein Därmen, die er über Breter gespannt und abgedörrt, sowie auch aus ihren Fingern Zauberdrähte zubereitet, diese mit Wachs von Altarkerzen überzogen und im Namen aller Teufel zu einer Kerze geformt habe. Einige dieser Zauberkerzen hatte er dem Koche auf dem Schlosse zu Sorau gegeben, der damit, wie die Chroniken melden, „erschreckliche Thaten“ verrichtete. Dieser Koch bekannte, peinlich befragt, daß er sieben Mordthaten begangen, und wurde auf wahrhaft kannibalische Weise hingerichtet. Glimpflicher kam ein Maurer in Ober-Haynewalde (Lausitz) davon, der einen Diebsdaumen von einem in Böhmen Gehenkten besaß, dies aber freiwillig auf dem deshalb von Edelleuten, Geistlichen und Schöppen abgehaltenen Gerichtstage eingestand; er wurde zwar zum Feuertode verurtheilt, aber später zu einer Woche Halseisen, Kirchenbuße und Geldstrafen begnadigt. In Böhmen findet sich die Sage von den Diebskerzen in folgender Gestalt: „Ein Dieb schneidet einem todten Kinde einen Finger ab und läßt ihn so lange trocknen, bis er sich anzünden läßt. Bei diesem Lichte kann er stehlen, so viel er will, ohne daß Jemand aufwacht und ihm das Handwerk verdirbt.“ Sodann: „Die Finger eines im Mutterleibe gestorbenen Kindes sind die besten Kerzen der Diebe: sie geben ihnen Licht und machen sie unsichtbar.“ – Das bei der früher erwähnten Art, Diebeskerzen anzufertigen, unerläßliche Menschenfett spielt in der Geschichte des Aberglaubens eine bedeutende Rolle. In Böhmen z. B. kommt es bei einem Aberglauben vor, bei dem es sich um die Erlangung der Fähigkeit handelt, zwölf Meilen in einer Stunde zurückzulegen. „Zur Erreichung dieser Macht wählt man einen Tag vor dem heiligen Johann dem Täufer. Zur Nachtzeit gehe an einen abgelegenen Ort, welcher dir für deine Zauberei gelegen zu sein scheint, und halte ein Holz zum Feuer machen bereit. Wenn es elf Uhr schlägt, mache um dich einen Kreis mit geweihter Kreide, zünde das Holz an und stelle darauf einen neuen, noch ungebrauchten Topf. Nun nimm Menschenfett und eine Eidechse, welche du früh vor Sonnenaufgang gefangen hast, und Kreuze machend wirf Beides mit den Worten in den Topf: ,Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, seid mir, ihr Geister des Windes, behilflich, daß mir meine Arbeit gelinge!’ Nach diesen Worten verharre im Schweigen, nach keiner Seite dich umschauend, es geschehe um dich, was da wolle, bis zur zwölften Stunde, wo, wenn dir die Arbeit gelungen ist, das Feuer plötzlich verlöschen muß. Wenn du dich mit Weihwasser besprengt hast, kannst du furchtlos aus dem Zauberkreise heraustreten. Mit der Flüssigkeit, welche im Topfe verblieben ist, beschmiere längliche Stücke von Gemsenleder, und hast du ein solches wunderwirkendes Pflaster auf den bloßen Leib gelegt, so wirst du wie ein Pfeil durch die Straßen fliegen und in jeder Stunde zwölf Meilen machen.“

Auch die Medicin schrieb dem Menschenfett außergewöhnliche Wirkungen zu. Es wird erzählt, daß im Jahre 1540 in Rochlitz ein Mordbrenner gehängt und sein Leichnam von anwesenden fremden Aerzten sceirt wurde. Nun war damals eine Rochlitzer Bürgersfrau schon lange Jahre hindurch an den Füßen dermaßen gelähmt, daß sie nur kümmerlich an Krücken im Hause umhergehen konnte. Diese bat die Aerzte, welche neben ihrem Hause in der Herberge lagen, sie möchten ihr doch etwas verordnen und von ihren Leiden helfen. Die Aerzte gaben ihr die Schienbeine von dem Leichnam und ließen ihr sagen, sie solle dieselben an den Ofen lehnen und ein sauber Geschirr untersetzen; was daraus herabtriefen werde, das solle sie gebrauchen und sich damit bei der Wärme schmieren. Die Frau thut es, meint aber, unter „gebrauchen“ sei „einehmen“ zu verstehen; sie solle also die eine Hälfte innerlich, die andere äußerlich anwenden. In diesem Sinne wurde denn auch zur Ausführung geschritten und die eine Hälfte mit Hülfe von Warmbier dem innern Menschen übergeben. Und siehe da! „Wie solches geschehen, Hilft ihr Gott, daß sie folgenden Tages ohne Krücken zu den Herren Aerzten gegangen kömmt und ihnen für die gepflogene Cur herzlich dankt, und ist sie seit dieser Zeit stets gesund geblieben und wie ein anderer Mensch ohne Krücken überall hingegangen.“ – Die Verwendung des Menschenfettes zu Diebeszwecken macht sich noch in der Geschichte der deutschen Räuberbanden von 1806-1813 bemerkbar, und in Oesterreich grassirt noch heute der Aberglaube, daß Jemand, der Menschenfett esse, am ganzen Leibe scheckig werde, als wäre er von einer ekelhaften Krankheit befallen; auf diese Weise könne ein junger Mann bei der Assentirung dem Militärdienst entgehen.




Ehrenrettung der amerikanischen Frauen. Die deutsche Presse, auch die Gartenlaube, hat sehr oft Veranlassung genommen, die Unthätigkeit der amerikanischen Frauen und deren Schlaraffenleben tadelnd zu schildern. Darauf Bezug nehmend, theilt uns ein seit mehr als zehn Jahren in New-York ansässiger Deutscher die folgenden Einzelheiten mit, die allerdings mit dem Bilde von den amerikanischen Frauen, wie es bei uns bis jetzt als Typus gegolten hat, scharf contrastiren.

Nach „Gutkow’s Unterhaltungen“ – schreibt der genannte Deutsch-Amerikaner – besckränkt sich die Aussteuer einer jungen amerikanischen Dame auf einen Rocking-Chair (Wiegenstuhl), und in ihrer Ehe hat die junge Dame nichts zu thun, als sich in besagtem Schaukelstuhl zu wiegen und Romane zu lesen.

Aehnliche Ideen habe ich oft in Deutschland, selbst von gutunterrichteten Leuten aussprechen hören; lassen Sie uns deshalb selbst einmal in ein amerikanisches Haus gehen und sehen, wie es darin aussieht.

Wir besuchen zu dem Ende eine Familie von mittlerem Wohlstand, die fast stets ein Haus allein für sich bewohnt; wir finden dieselbe äußerst comfortabel eingerichtet, Zimmer und Treppen mit Teppichen, die Hausflur und Küche mit Wachstuch belegt. Alles im Haus hat einen Anstrich von Behaglichkeit und was Reinlichkeit betrifft, die versteht sich beim Amerikaner von selbst. Haben wir das Haus von oben bis unten durchstreift, so finden wir acht bis neun Zimmer, Küche und Keller, die in Ordnung zu halten sind und, wie wir uns überzeugt haben, auch gehalten werden. Eine Hausfrau wird sich sehr schnell vorstellen können, was in einem solchen Haus zu thun ist. Dienstmägde sind anmaßend und kostspielig hier, und deshalb findet man selten mehr als eine Magd in mittelgroßen Familien.

Wer besorgt nun die Arbeiten des Haushalts? Gütige Feen oder Heinzelmännchen kommen in einem so prosaischen Lande, wie Amerika es ist, nicht fort, die Hausfrau und die Töchter sitzen den lieben langen Tag im Wiegenstuhl und lesen Romane – also bleibt der Arbeit nichts übrig, als sich selbst zu thun!

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_224.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)
  1. In der nächsten Zeit werden wir ein ausführliches Lebensbild des Dichters mit dessen Portrait veröffentlichen. D. Red.