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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Unter diesem einfachen Kreuze, mitten unter allerlei Todten, in der gewöhnlichen Gräberreihe des Kirchhofs zu Jena, ruht die Schwägerin Schiller’s. Sie also war es, die ein Leben voll Irrthum, Leid und Liebe durchgekämpft hat – nach ihrem eigenen Geständniß, denn wir erfahren, daß sie die Kreuzesworte sich selbst gewählt und bestimmt hat.

Das Leben Carolinens ließ ich an meinem Geiste vorbeiziehen und ich fand, sie hatte Recht mit ihrem Bekenntnisse.

Schon früh beging Caroline von Lengefeld einen Irrthum – es war ihre Vermählung mit Herrn von Beulwitz. Wohl konnte dieser Mann Carolinen jene äußere Achtung abgewinnen, welche jeder Mann, der schlicht und einfach seinem Berufe und seiner Lebensstellung zu genügen strebt, verdient; aber eine innere Befriedigung konnte dies Verhältniß dem hohen Geiste Carolinens und ihrem Herzen, das „der Liebe bedurfte“, nicht gewähren. Nie aber hat Caroline um diesen Irrthum Klage erhoben. Sie hat das Martyrium dieser Ehe neun Jahre lang nicht mit dem demüthigen Duldersinn eines Weibes, sondern mit der starken Fassung eines Mannes getragen. Früh schon, vielleicht in und durch dies Verhältniß, hat sie gelernt, mit jenem feinen Takt, den die Frau vor dem Manne voraus hat und der ihr Ersatz giebt für den männlichen Verstand, die Leidenschaften und Wünsche ihres Herzens zu zügeln. Der Widerspruch zwischen ihrem innern und äußern Leben, der Irrthum ihres Herzens, drängte sie, wenn er nicht Blüthen des Humors trieb, ferner zur Reflexion, zu einer philosophischen Anschauung des Lebens, wozu es ihrem reichen Geiste nicht an Kraft gebrach. Aber auch der anfangs so übelgelaunte Genius ihres Lebens war nicht unversöhnlich. Er schuf ihrem unbefriedigten Geiste einen anfangs geringen, dann einen überreichen Ersatz und schützte ihn so vor der Verkommniß. Wir kommen zu Carolinens Liebe.

Zuerst war es ein edler Jüngling, den eine Ahnung von dem reichen Geistesschatz, der in ihr verborgen lag, zu ihr hindrängte, ihr eigner Vetter, Wilhelm von Wolzogen. Dem zwar nicht selbstschöpferischen, aber für das Ideale im Leben begeisterten und in gleichem Maße mit dem Gebotenen unzufriedenen, daher nach Jenem suchenden Manne öffnet die nach Mittheilung lechzende junge Frau den ganzen Reichthum ihres Geistes und Herzens. Als aber der von dieser Entdeckung berauschte Jüngling nicht mehr auf der hohen See des Geisteslebens treiben will, sondern stürmisch nach Hafen und Land begehrt, da wußte sie von den genannten Eigenschaften ihres Charakters und von jener „Kraft“ Gebrauch zu machen, welche, wie sie dem Freund schreibt, in der Seele des Menschen ist, ihn vor allzu heftigen Eindrücken zu schützen, vor ungestümen Wünschen und streben nach Allem, was nicht in dem Preise seines Wirkens ist, abzuhalten. „O,“ rief sie aus, „unser ganzes Leben dient dazu, diese Kraft zu üben! Denn wie selten werden unsere Wünsche erhört! Suchen Sie, mein Theurer, durch diese Kraft Ihr Herz zu mehrerer Ruhe zu stimmen.“ Ach, sie hat diese Kraft selbst noch härter üben müssen – der leidenschaftliche Vetter ist indeß damit noch nicht abgeschreckt. Jede warme Aeußerung „sieht er mit dem Vergrößerungsglas der Liebe an“, und es bedarf erst einer umfassendern Auseinanderlegung der Verhältnisse und Begriffe, um sein und wohl auch das eigne Herz zur Ruhe zu philosophiren.

Bald aber kam ein Größerer – vor ihm mußte nunmehr der einfache Jüngling weichen. Von der Gewalt seiner Liebe zeugt sein an die Freundin gerichtetes „Lebewohl“ – „Lebe wohl, mit unbegreiflicher Wehmuth sage ich Dir Lebewohl – Du bist glücklich, denn dieses Lebewohl fühlst Du nicht. Lebe wohl, Caroline –“ Es war ihre und seine erste Liebe.

Im Sommer 1788 begann die Annäherung Schiller’s an beide Schwestern Lengefeld. Carolinens Schwester Charlotte war vielfach der Gegensatz ihrer Schwester. Hatte Caroline mehr Männliches, im Urtheile Gereiftes, so repräsentirt Lotte das rein Weibliche, die Sanftmuth und Liebe, die Anmuth und Naivetät. Dort Urtheil und Reflexion, hier das natürliche Gefühl, fast wie der von Schiller gefundene Gegensatz zwischen naiver und sentimentaler Dichtung – so erscheinen sie Beide, und wunderbar, Beider Wesen findet vereinigt sich wieder in – Schiller. Mit mehr oder weniger Nuancen findet sich dieser Gegensatz in allen spätern Frauengestalten des Dichters wieder. Schon im Don Carlos die Eboli und Elisabeth dann Thekla und die Terzka, Marie Stuart und Elisabeth, Agnes Sorel und die Jungfrau, Beatrice und Isabelle – Charlotte und Caroline.

Und so geschah es, daß zwischen den Dreien, zwischen Schiller und den beiden Schwestern, ein so seltenes Verhältniß sich entwickelte, daß ein geistvoller Professor der Theologie meint, es habe sich im Reiche der Geister das vollführt, was die Volkssage von dem Ehebett des Grafen von Gleichen erzählt.

Vorsichtig aber und mit heiliger Scheu muß man eintreten in das Heiligthum, in welchem sich der gemeinsame Cultus dieser drei Seelen vollzog.

„Unser himmlisches Leben wird ein Geheimniß für die Menschen bleiben, auch wenn sie Zeugen wären,“ schreibt Schiller. Das vollenden konnte eben nur er, der Glückliche, dem es gelang, ewig im Reiche der Ideale zu leben, und hinter dem „im wesenlosen Scheine lag, was uns Alle bändigt, das Gemeine“! Wie beglückend für Carolinen, für alle Drei war diese Liebe! In der gleich empfundenen Verehrung des Hohen und Schönen fand sie ihren Aufgang, in der gemeinsamen Pflege desselben ihre Nahrung. Darin fand sie auch ihre natürliche Wächterin. Wie herrlich klingt die Analyse dieser Liebe in Schiller’s Feder: „Das ist das höchste Glück in unserer Verbindung, daß sie auf sich selbst beruht und sich in einem einfachen Kreise ewig um sich selbst bewegt. Unsre Liebe braucht keine Wachsamkeit, keine Aengstlichkeit. Wie könnte ich meiner eignen Seele immer genug bleiben, wenn meine Gefühle für Euch Beiden, für jedes von Euch nicht die süße Sicherheit hätten, daß ich dem Andern nicht entziehe, was ich dem Einen bin. Frei und sicher bewegt sich meine Seele unter Euch und immer liebevoller kommt sie von Einem zu dem Andern zurück, derselbe Lichtstrahl, der nur verschieden wiederscheint aus verschiedenen Spiegeln. Eure Liebe ist das Licht meines Lebens.“ Dahin darf man wohl auch die Worte Carolinens deuten, die sich in einem ihrer Romane finden: „Unter Menschen, die sich nicht fremdartig, vielmehr durch gleiche Liebe zum Schönen und Guten miteinander verschwistert sind, kommt früh oder spät ein Moment der inngsten Annäherung.“ Die Anforderungen der Verhältnisse, die Vorurtheile des Lebens, mehr noch aber die Rechte des Herzens verlangten indeß bald, daß diese Annäherung eine reale, von der Sitte geweihte Seite gewinne. Schiller fühlte dies lebhafter, als seine Anstellung in Jena eine räumliche Trennung zwischen ihm und den Schwestern beanspruchte.

Wohin fiel nun die Wahl?

Sein Geist zog ihn zu Carolinen, sein Herz zu Charlotten. „Caroline,“ gesteht er später selbst, „ist mir näher im Alter und darum auch gleicher in der Form unsrer Gefühle und Gedanken. Sie hat mehr Empfindungen in mir zur Sprache gebracht als Du, Lotte. Aber ich wünschte nicht, daß es anders wäre, daß Du anders wärest. Was Caroline vor Dir voraus hat, mußt Du von mir empfangen, Deine Seele muß sich in meiner Liebe entfalten und mein Geschöpf mußt Du sein.“ Mit dem feinen Treffersinn des Genies fand er so das Rechte. Nicht die geistig mit thätige, weit mehr die mit empfindende und empfängliche Frau, die, ohne die Wiege des schlummernden Kindes zu verlassen, dem schaffenden Genius lauscht, ist die ihn ehelich wahrhaft beglückende. Und sie hat es im reichen Maße bewährt, Lotte, die Dulderin. Ihr, die mit der ganzen Innigkeit ihres Gemüths Schiller liebte, war auch die Kraft zur Entsagung nicht so verliehen, wie der geistesstärkern Schwester. Auch ohne den sie bindenden Irrthum ihrer Ehe fiel Carolinen, welche mit der Leidenschaft ihres Herzens Haus zu halten verstand, die schon geübte Rolle der Resignation zu: Charlotten wäre das Herz gebrochen. Caroline that aber noch mehr, als daß sie mit der Resignation sich begnügte. Schiller rang lang mit dem Geständnisse. Mit der jeder zarten, reinen Liebe innewohnenden Scheu wurde von beiden Seiten der Entdeckung des süßen Geheimnisses ausgewichen. Lolo ängstet sich mit dem Gedanken, daß Caroline Schiller mehr sein könne als sie. Schiller klagt die Umstände, die Meinung der Welt an, klagt, daß er gewisse Verhältnisse nicht umkehren könne. Doch das rechte Wort will sich nicht finden. Immer bleibt es der von der Form ewig fliehende Gedanke. Da tritt die hochherzige Schwester selbstthätig auf, als der „gute Engel, der Schiller’s furchtsamem Geheimniß so schön entgegenkam“. Sie führt die Entscheidung herbei. Hier tritt sie am höchsten in die Erscheinung und es war nur ein Reflex dieser Erscheinung, wenn sie am Spätabend ihres Lebens an den leidenschaftlichen Stellen von Schiller’s Briefen ihren Namen

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