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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Ein ungarisches Reiterleben.
Mit drei Abbildungen.


In der großen Brückgasse zu Pest war ein ungewöhnliches Gedränge; der Adel hielt eine Auffahrt. Carossen folgten auf Carossen in endlosem Zuge, Zweigespanne und Vierer, geleitet von stolzen, betreßten Kutschern oder von schnurrbärtigen Söhnen der Pußta in flatternden Gatyen (weiten ungarischen Beinkleidern), auf dem Kopf den malerischen Kremphut mit dem Federgras-Busch. Zwischen ihnen hindurch windet sich schüchtern und doch wieder trotzig der gewöhnliche Verkehr, unscheinbare Fiaker und Bauernwagen; die Luft ist erfüllt von Staub, von dem Gewieher der Rosse, dem Hufgeklapper, dem Peitschenknall und Rufen der Lenker; auch mancher laute Ausdruck des Wohlgefallens wird gehört, denn an Thüren und Fenstern

Sándor’s Sturz mit Tartar.
(S. S. 31.)

steht, was lebendig ist; für die Ungarn giebt es kein willkommeneres Schauspiel, als Pferde und deren Leistungen. Zwischen die langen Zeilen der Fuhrwerke war ein vereinzelter Reiter gerathen, in der kleidsamen Magyarentracht, eine zierlich prächtige Gestalt auf noch prächtigerem Rosse. Das edle Thier schnaubte und courbettirte, es war ungeduldig, wie sein Herr, der mit ihm verwachsen schien; dahin, dorthin wandte er es, umsonst, immer von Neuem schloß sich die Lücke, durch welche er dem Wagengetümmel zu entkommen gedachte. Da spornt der Reiter sein Pferd an und fliegt von dem Fleck in einem ungeheuren Satz hinweg über das erschrockene Dreigespann eines Bauerngefährts auf den freien Raum des Pflasters, daß die Hufe Feuer aus den Steinen schlagen, und dann sprengt er lachend davon, als hätte das nur so sein müssen, aber doch verfolgt von dem begeisterten Ausbruch der Menge: „Eljen, Eljen! Das war der Gróf, unser Gróf!“ Und wenn ein Fremder gefragt hätte: „Welch ein Graf?“ so würde jedes Kind in Pest und Ofen verwundert über solche Unkenntniß geantwortet haben: „Wer anders, als der Graf Sándor? Den müssen’s doch kennen!“

In der That, der kühne Reiter war eine der populärsten Figuren in ganz Ungarn – vor den Ideen des März 1848. Jedermann kannte ihn, Jedermann wußte von ihm zu erzählen; seine Thaten waren in den Volksmund übergegangen und theilweise schon zur Mythe geworden. Es gab für ihn zu Pferde kein Wagstück; wo Andere sorgsam sich den eigenen Füßen anvertrauten oder lieber gar zurückblieben, da flog er hoch zu Roß darüber und fast immer ist es ihm gelungen. So ist er denn auch lustig und muthig durch’s Leben geritten. Bekanntlich sind die Magyaren ein Reitervolk, das einzige in Europa. Wer die Csikóse (Roßhirten) mit der Wurfleine in der Faust die Heerde umkreisen, wer die verwegenen Betyaren (berittene Räuber) über die Pußten brausen gesehen hat, der erinnert sich an die Sagen von Roßmenschen und fragt sich, ob die wilden Comanchen der Prairien oder die Gauchos der Steppen so Eins sein können mit ihrem Thier, wie diese schlanken, nur aus Sehnen gewebten Ungarnreiter. Und wenn selbst unter diesen, im ganzen Volke, die Reiterstücklein des Grafen solches Aufsehen machten, daß sein Name in jedem Munde lebte, – dann müssen sie wirklich außerordentlich gewesen sein – und sie waren es!

Graf Moritz Sándor, geboren im Jahre 1805, gehört einer der ersten und reichsten ungarischen Magnatenfamilien an. Von frühester Jugend war Reiten seine größte Leidenschaft und namentlich setzte er stets einen besonderen Ehrgeiz darein, solche Pferde zu tummeln, welche kein Anderer zu besteigen wagte. Es begünstigte ihn dabei ein sehr kräftiger Körper von vollendet schönem Ebenmaß, wenngleich nur von Mittelgröße, und ein unerschütterbares Nervensystem, das in den gefährlichsten Lagen ihn niemals die Geistesgegenwart verlieren ließ. Seine Kaltblütigkeit ist zum Sprüchwort geworden. Sándor war eine merkwürdige Natur. Niemals ist Wein oder sonst ein geistiges Getränk über seine Lippen gekommen, trotzdem sein Grafensitz in Bajna sich durch verschwenderischste Gastfreundschaft sogar in Ungarn einen Namen gemacht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_029.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)