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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


hängenden Thautropfen schimmerte. Ueber die aus dem Schlafe erwachende, in weißes Duftgewölk gehüllte Welt ergoß sich unten rosiges Licht und drang verklärend bis in ihre Seele: es ward ihr eigen um das Herz wie noch nie, heiß wallte das Blut empor und pochte in den Schläfen, und doch schauerte sie zusammen, als ob sie anfangen wollte zu frieren. Die Erzählung der Base fiel ihr ein – erging es ihr doch gerade wie dieser! Nur ein Umstand traf nicht zu; denn dort vor ihr stand die leichte Umzäunung, welche den Felseneinschnitt umgab, in dem der Bergbach zur Tiefe sauste; aber keine Spur war zu gewahren, wer den Strauß gebracht haben könnte. Die Base hatte es auch leicht gehabt, den Geber zu errathen, der sich schon um sie beworben, Stasi hatte keine solche Erinnerungen, die ihr als Spur dienen konnten, und wenn eine Vermuthung in ihr aufblitzte, war sie auch im Entstehen mit der Schnelligkeit des Blitzes wieder verschwunden; sie wußte sich nur von Haß und Groll zu erzählen – konnten Haß und Groll eine Gabe der Liebe bringen? Einen Augenblick schwankte Stasi, was sie thun solle: eine freudige Regung zog ihre Hand, den Strauß aufzuheben; der Stolz hielt sie zurück; dennoch siegte die erstere, von der Neugier unterstützt, sie ergriff den Strauß, und sinnend ruhte ihr Blick auf den mattweißen Sammetsternen, dem trefflichen Bilde einer Treue, die nicht durch welkende Farben und verfliegende Düfte blendet, aber dafür durch bleibende, immer schöner sich entfaltende Anmuth zu fesseln weiß. Immer näher kam der Strauß ihren Lippen, natürlich nur, um ihn näher und genauer zu betrachten und den Hauch der Frische einzusaugen, der ihn statt des Duftes umwehte. Plötzlich fuhr sie zusammen: neben der Hütte war das Geräusch von Schritten laut geworden, sie blickte auf und ihre Augen trafen mit dem Augenpaar zusammen, in das sie nur ein einziges Mal geschaut hatte, und das sie dennoch unter Tausenden wiedererkannt haben würde. … Sie bebte erbleichend zusammen und vermochte nicht zu sprechen.

Auch Martl stand einen Augenblick unbeweglich; seine Stimme zitterte merklich, als er ihr seinen Gruß zurief: „Grüß Gott, Sennerin!“ sagte er, indem er sich den Anschein gab, als ob er sie nicht wiedererkenne. „Du bist ja schon gar vor der Sonn’ auf der Höh’.“

Stasi blickte fester nach ihm hin; schon wollte sie unwillig antworten, aber sie hielt inne, denn in dem auf sie gerichteten Blicke lag etwas, wogegen sie vergeblich ankämpfte. Da stand der verwegene Bursche wieder vor ihr, als Holzknecht, die Hacke auf der Schulter, den Bergstock in der Hand und denselben schäbigen Hut auf dem Kopfe wie beim ersten Begegnen. Dennoch kam er ihr bei Weitem nicht mehr so unsauber vor, und hatte sie dort über dem Gewande den Träger weniger beachtet, so ruhte diesmal ihr Auge nur auf dem Manne und sah kaum, wie er gekleidet war. Wie von einem Wirbelwinde umgejagt, drehten sich ihr die Gedanken. Wie kam er hierher? War es Zufall oder Absicht, was ihn hierher geführt? Erkannte er sie wirklich nicht, oder wollte er sich verstellen? Wenn er wirklich die Blumen gebracht, welchen Grund konnte er haben, als ihr ein Zeichen zu geben, daß er fühle, wie sehr er ihr Unrecht gethan, daß es ihn reue und dränge, das wieder gut zu machen? Das Alles klang im leisen Beben ihrer Stimme nach, als sie ihm nach einigem Zögern antwortend entgegenrief: „Grüß Gott auch! Bist ja noch früher unterwegs, weil Du schon auf der Brettenalm bist. Ist Dir Niemand begegnet auf der Alm?“

„Ich hab’ Niemand gesehn … Warum fragst, Sennerin?“

„Weil da vor meiner Thür der Busch’n gelegen ist, und weil ich gern wissen möcht’, wer ihn etwa verloren hat.“

„Das ist wohl kein Platz zum Verlieren,“ sagte Martl mit Beziehung, „ich bild’ mir ein, wer den Strauß hingelegt hat, der hat ihn wohl verlieren wollen … Wird wohl ein Bue sein, der Dir als seinem Schatz ein’ Ehr’ anthun will.“

„Könnt’ mir nit einbilden, wie ich zu einer solchen Ehr’ käm’ … und von wem … Da müßt’ Einer schon erst fragen, ob’s mir ein’ Ehr’ wär’.“

„Warum, Sennerin? Ist denn das was Unrechtes?“ sagte Martl, den Hut lüftend, unter dem es ihm schon wieder heiß zu werden begann. „Das ist wohl niemalen keine Schand’ für ein Dirndl, wenn ihr ein ordentlicher Bursch zeigen will, daß er was auf sie halt’ … Aber mir kommt’s vor, als wenn’s der Bursch – wer’s auch ist – bei Dir nit recht getroffen hätt’! Bist mit’m linken Fuß zuerst heut aufg’standen, Sennerin, oder bist alleweil so z’wider.“

So geneigt Stasi anfangs gewesen, das unerwartete Begegnen eine freundliche Wendung nehmen zu lassen, war es ihr doch wie Martl ergangen: ihn hatte die leise Andeutung ihres Stolzes abgekühlt, sie fühlte sich verletzt, weil seine Rede im Grunde nichts Anderes war, als ein kaum nothdürftig verkleideter Liebesantrag, der nach dem Vorgefallenen nur eine neue Beleidigung war. „Wird schon so sein,“ sagte sie mit fliegendem Roth auf den Wangen. „Was kommst her und fragst und thust, als wenn Du mich nit kennen thätst’? Weißt ja eh’, wie ich bin – was bind’st an mit einer solchen Z’widerwurz’n?“

„Ah so,“ sagte Martl und nahm den Hut vollends von der erglühenden Stirn, „Du kennst mich also noch? Dann hab’ ich meine Sach’ freilich verkehrt angepackt … hab’ mir halt nit eingebild’t, daß Du mich noch so gut im Andenken haben thätst …“

„Na – ich mein’, Du hast mir einen ordentlichen Denkzettel gegeben!“

„Und Du mir gar eine Denkmünz’!“ rief er hitzig. „Es ist wahr, was Du sagst, aber hinterher hat’s mir gleich leid gethan, ich hätt’s gern wieder gut machen mögen, und das – das hab’ ich Dir zeigen wollen, und deswegen hab’ ich Dir den Busch’n vor Deine Thür gelegt.“

„Gut machen?“ fragte Stasi mit vollem Hohne. „Bildest Du Dir ein, Du hättest so viel Gewalt, daß Du was hättest schlecht machen können bei mir? Was frag’ ich nach Dir und nach dem Gered’ von den Leuten! Und wenn der Buschen von Dir ist, nachher nimm Deinen Daunderlaun (Bagatelle) nur wieder! Da liegt er – Schad’, daß Du Dich in aller Früh’ schon so d’rum hast plagen müssen!“

„Ja wohl hab’ ich gut machen wollen,“ rief Martl außer sich, „aber blos meinetwegen, weil ich keinem Menschen mit meinem Willen Unrecht thun mag, weil ich selbigesmal zu hitzig gewesen bin und vergessen hab’, daß ich mit einer Dirndl gered’t hab’, mit einer reichen Bauerntochter, – ich, ein armer Holzknecht, der nix hat als eine Büchs’ und eine Hacke und ein Paar Arm’ zum Regieren dazu! Ja, von mir ist der Busch’n, ich will’s nur eingesteh’n, und schäm’ mich nit derentwegen! Ich hab’ ihn zuhöchst von der Brettenwand heruntergeholt – es steigt nit leicht Einer so hoch hinauf, als das Edelweiß gewachsen ist … Ich hab’ gemeint, Du sollt’st es errathen, von wem der Buschen ist, und sollt’st es merken, was er zu bedeuten hat – Du willst es nit verstehn, meinetwegen; aber das sag’ ich Dir, jetzt ist meine Rechnung ausgewischt, und Du stehst jetzt ganz allein noch in meinem Schuldenbüchl! Schau’ zu, hoffärtige Sennerin, wie Du fertig wirst mit den Leuten und mit Dir selber! Den Buschen aber, den nimm’ ich wieder, weil er Dir doch für nichts gut ist …“ Raschen Griffes hatte er den Strauß, der auf die Bank gefallen war, erfaßt und hoch über die Umzäunung in die Schlucht des abstürzenden Bergbaches geschleudert. „Für was wär’ auch ein solcher Daunderlaun gut bei einer solchen Z’widerwurz’n!“




3.

Der Abend desselben Tages lag verglühend auf der Jachenau und ließ die Wiesen und Aenger in jenem eigenthümlich grünen Glanze erscheinen, den der Landmann im richtigen Gefühle mit dem Spruche bezeichnet, wenn man seine Wiese verkaufen wolle, müsse man den Käufer Abends auf dieselbe führen. Der Bauer beim Kurzen am Berg saß wieder wie an jenem Ostermorgen vor dem geöffneten Fenster der großen Wohnstube, das jetzt so dicht und reich von den Blättern der Weinrebe umgittert war, daß es kaum genügend Raum bot, den Duft des Grummets hereinwehen zu lassen, das draußen noch einmal gerecht wurde, um am andern Morgen wieder ausgebreitet und von der Sonne zur Aufbewahrung vollends reif gemacht zu werden. Wieder war der Bauer in Gedanken versunken; sie waren nicht so angenehm, wie sie damals bei ihm eingekehrt. Die letzten Wochen hatten ihn unwohl gemacht, und mit der Kränklichkeit war auch die Grämlichkeit eingekehrt; ein bedenkliches Reißen in den Gliedern, wie es die Schwester auch verspürte, wollte nicht weichen, und der Alte ließ es sich nicht nehmen, er sei kerngesund, es müsse ihm angethan worden sein, denn gesunde Beine seien ein Erbstück in der Familie. Die Schwester saß ihm gegenüber; sie hatte über den vielen Geschäften des Hauses

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