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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

und mit welchen einige hundefreundliche Gäste öfters den gebildeten Tiras bewirtheten.

So war Georg auch heute mit Tiras fortgegangen und ich saß wieder allein zu Hause. Es war Anfangs December. Schnee war gefallen und der Mondschein fiel hell und voll auf die weißen Dächer. Ich saß in der Nähe des Fensters, den Schreibtisch vor mir, gerade gegenüber der auf den Corridor hinausführenden Stubenthür, zu deren Linken sich Georg’s Pult befand, neben welchen ein paar Mensurschläger hingen. Ich las Zeitungen. Zu den wenigen freisinnigen Blättern, die dem damaligen Reactionssystem noch nicht zum Opfer gefallen waren, gehörte der in Berlin erscheinende „Urwähler“, ein damals unter der liberalen studentischen Jugend Leipzigs viel gelesenes Blatt. In einer Nummer dieses Blattes las ich nun an jenem Abende folgende mich sofort höchlichst interessirende Correspondenz aus London: „London im November. Seit einiger Zeit ist, wie uns berichtet wird, in einigen größeren Städten Norddeutschlands jener Procop Makovetzky wieder aufgetaucht, der den Mitgliedern der ehemaligen Wiener akademischen Legion und den ungarischen Honved-Officieren der Armee Bem’s als gefährlichster Spion des Fürsten Windischgrätz und Feldzeugmeisters Haynau aus den Jahren 1848 und 1849 bekannt ist. Fürst Schwarzenberg verabschiedete ihn, da man ihn nicht mehr brauchte, und er treibt sich jetzt unter den verschiedensten Masken umher. In seiner Begleitung befindet sich ein junges, schönes Mädchen, von dem man nicht recht weiß, in welchem Verhältniß sie zu dem Makovetzky steht. Vielleicht bedient er sich ihrer, um Arglose in sein Netz zu locken. Makovetzky ist in Ungarn wegen Meuchelmords und Raubs, an einem Stabsofficier der Honved-Armee begangen, in contumaciam zum Tode verurtheilt worden. Haynau cassirte nach der Katastrophe von Vilagos das Urtheil, weil es von einer revolutionairen Behörde gefällt sei und weil man Feinde des Kaisers auf jede Weise tödten könne. Wir warnen vor diesem gefährlichen Menschen.“ Darauf folgte in der Correspondenz, die jedenfalls aus Londoner deutschen oder ungarischen Flüchtlingskreisen stammte, eine Personalbeschreibung, die mich keine Minute in Zweifel ließ, daß Procop Makovetzky und Ignaz Matuscheck ein und dieselbe Person sei! Die Nachricht regte mich lebhaft auf. Ein Spion und Meuchler war der Mensch! Darum war er neulich bei den Worten Georg’s über die Kunst, die Menschen stumm zu machen, erschrocken zusammengezuckt. Und die Signora war, nach der Correspondenz, nicht seine Frau. Aber was war sie dann? Zuneigung, Liebe, Achtung konnten sie unmöglich an den Menschen fesseln. Ich grübelte über diese Räthsel nach, ich hörte nicht, wie es elf vom Nicolaithurm schlug und wie vom niedern Park herüber das Horn der Nachtwächter klang. Da öffnete sich plötzlich rasch die Thür und herein stürzte auf mich zueilend und dicht vor meinem Sitz in die Kniee fallend die Signora.

„Hülfe … Rettung! Er will ihn ermorden!“ stammelte sie athemlos und die Hände flehend emporstreckend mit dem Ausdruck der Verzweiflung in den todtblassen Zügen. Sie war im Nachtgewand, das lange Haar fiel aufgelöst über ihre Schultern. Und dabei deutete sie nach dem Zimmer, das sie bewohnte.

„Ermorden? Wen? Georg?“

Sie schüttelte in wahnsinniger Angst das Haupt.

„Nein, nicht Ihren Freund, den alten Mann, den Juden, der neben uns wohnt. Er ist reich, er hat Edelsteine, Geld, und heute Nacht will er mit ihm ausgehen und ihn umbringen.“

Eine furchtbare Ahnung dämmerte in mir auf.

„Katzenellenbogen will er ermorden?“

„So heißt der alte Mann, glaube ich,“ fuhr sie athemlos fort, „dann will er fort, fort mit mir nach Amerika, aber ich gehe nicht mit … mir schaudert vor ihm … ich sterbe eher… Jetzt schläft er, um sich zu stärken für den Mord. Wenn er wüßte, daß ich hier wäre, ich müßte sterben …“

„Ja, verdammte Verrätherin, Du sollst sterben und der dort mit Dir,“ sprach eine vor Wuth heisere Stimme, bei deren Klang die Signora einen Schrei entsetzlicher Angst ausstieß und dann ohnmächtig zusammenbrach. Auf der Schwelle stand der Fremde, gerade so, wie ich ihn in jener ersten Nacht gesehen, den Pelz über das rothe wollene Hemd geworfen, aber statt des Leuchters ein scharfes, blinkendes Handbeil in der Rechten. Er musterte mich mit einem finsteren, stechenden, unheilvollen Blick.

„Ach, es ist nicht der Doctor,“ grinste er höhnisch, „es ist schade, ich wollte, er wäre es, aber es ist einerlei, wer mein Geheimniß kennt, muß sterben,“ und er that einen Schritt auf mich zu, ohne jedoch die hinter ihm offene Thür zu schließen.

(Schluß folgt.)


Wieder unter dem Lindenbaum.

Wieder unter dem Lindenbaum!
Glück, nicht zu nennen und sagen,
Da auf der Erde lieblichstem Raum
Unsere Herzen – es ist kein Traum –
Wieder zusammenschlagen.
Halt’ ich nach bitterem Trennungsleid
Dich ja nun wieder, du herzige Maid,
Halte und küss’ dich und fass’ es doch kaum –
Wieder unter dem Lindenbaum.

„Wieder unter dem Lindenbaum!“
Sprachst du – o schwerste der Zeiten,
Da mich zum letzten dein Arm umschlang,
Trommeln dröhnten den Markt entlang,
Hörner riefen zum Streiten.
„Glück zerfließt wie der Welle Schaum,“
Klagtest du Abends beim Lindenbaum –
Fernher tönte „die Wacht am Rhein“,
Du aber saßest betrübt und allein.

Und mir, je heißer ich deiner gedacht,
Stählt’ es das Herz und die Glieder –
Beim Feuer des Lagers, auf nächtlicher Wacht,
Mitten im wilden Gewühle der Schlacht
Rief ich: Wir sehen uns wieder.
Wir sehen uns wieder, wir bleiben uns treu,
Wir küssen, wir herzen, wir kosen auf’s Neu,
Wir sehen uns wieder am Waldessaum,
Wieder unter dem Lindenbaum.

Nun denn, wir kehrten aus blutiger Schlacht
Heim in den Tagen der Rosen;
Die stehen und duften in glühender Pracht,
Das ist die Zeit wie zum Küssen gemacht,
Zum Küssen, zum Herzen, zum Kosen,
Blüthenbedeckt auch der Lindenbaum
Wiegt uns die Herzen in wonnigem Traum,
Wir können nicht froher und glücklicher sein,
Als hier versteckt und verborgen zu Zwei’n.

Aber sieht dort nicht ein Kirchlein hervor,
Thurm und geheiligter Zwinger?
Wahrlich, schon steht auch der Pfarrer am Thor,
Hebt jetzt – was soll das? – die Rechte empor,
Lächelt und droht mit dem Finger.
Ei, ei, Herr Pfarrer, was soll uns das Droh’n?
Sachte, nur sachte, wir kommen ja schon;
Ist doch für mehr als für Zweie noch Raum
Heut’ über’s Jahr unter’m Lindenbaum.

Hermann Oelschläger.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_484.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2017)