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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Aber kaum sehen die Verdächtigen die begehrten Vorräthe sich auf solche Weise verweigert, so erbeben sie einen furchtbaren Tumult und schreiend und ihre Unschuld betheuernd stürmen sie in dem engen Raume umher. Unsere wieder eingerückten militärischen Brod- und Schinkenschneider drängen sie bald zur Thür hinaus und schließen ab. Eine junge üppige Blondine, in elegantem Pflegercostüm, mit Hut und Schleier, die sich für die Wittwe eines 1866 gefallenen schlesischen Barons ausgiebt und unter dem besondern Schutze einiger Johanniter steht, schleudert noch eine Fluth der gemeinsten Schimpfreden im reinsten Berliner Straßenjargon durch die zerbrochene Scheibe der Stubenthür und bekundet dadurch eine Abstammung, die wenig der „Baronin“ einspricht. –

„Nur herein, meine jungen Freunde, immer mir nach, hier werden Sie schon was zu essen finden,“ schnarrt eine verrostete Stimme im kleinen Hausflur, und ein gedunsenes Gesicht mit dunkelgefärbter Porternase starrt durch die Scheiben der geschlossenen Thür. Die „Directorin“ sieht finster drein, sie kennt den Oberst, der stets hungrig und durstig hundert Mal des Tages mit jungen oder alten Freunden erscheint, sich gerirt, als wäre das ganze Depôt sein Eigenthum, und dieses opferfreudig den Freunden zur Verfügung stellt, dabei das Beste aber mit überlegener Klugheit sich selbst aneignend.

„So, nehmen Sie Platz, machen Sie sich’s bequem, meine Herren,“ wendet er sich zu den ihm folgenden jungen Officieren, sobald die Thür geöffnet ist, und zieht rücksichtslos den beschäftigten Pflegerinnen die Stühle fort. „Befehlen Sie Cognac, Rum, Xeres oder alten Portwein? Sie haben doch alten Portwein, meine Liebe?“

Die Wittwe bejaht mit sauersüßem Lächeln.

„So würde ich Ihnen diesen edeln Spanier empfehlen, nehmen Sie Portwein, ganz vortrefflich,“ und er schnalzt mit der Zunge und gießt ein Glas des feurigen Tranks auf einen Zug hinunter. „Hier sind Butterbrode, meine Herren, wünschen Sie Schinken oder feinen Schweizerkäse? Geniren Sie sich nicht, denken Sie, Sie seien zu Hause,“ ruft er mit Gönnermiene, während unglaubliche Quantitäten Käse, Portwein und selbst Cognac hinter seinem struppigen Schnurrbart verschwinden. Endlich scheint der Oberst gesättigt und zieht mit seinen Pflegebefohlenen ab, aber nur um in kurzer Zeit mit anderen Freunden wiederzukommen und dasselbe Manöver von Neuem zu beginnen. – –

F. K.




Aus den Tagen des Berliner Jubels.
Vier bedeutungsvolle Freitage. – Die Krone des Ganzen. – Specielle Erinnerungsperlen. – Festgäste und pommersche Ochsen. – In Krone und Hermelin. – Ein unpassender Vergleich. – Die Triumphstraße. – Ein Wort über das künstlerische Element des Festes. – Unter den Linden. – Kanonenstudien. – Auf der Königbrücke. – Nur nicht drängeln. – Siemering’s Relief.

Bekanntlich galt schon den Alten der Freitag als ominös, und auch bei den neueren Völkern, germanischer, romanischer, slavischer Race, hegt man bis zur heutigen Stunde vor dem Freitage eine abergläubische Scheu. Man hält ihn für einen Tag des Unglücks, an welchem es nicht gerathen, irgend eine wichtige Handlung vorzunehmen, ein neues Werk zu beginnen, eine Reise anzutreten, einen Entschluß zu fassen und dergleichen mehr. Für das neue deutsche Reich hingegen und die neue deutsche Reichshauptstadt insonderheit scheint der Freitag in einen Tag günstigster Vorbedeutung, einen Tag höchsten Erfolgs und höchster Begeisterung, in einen epochemachenden Merk- und Marktag umgewandelt zu sein. Ein Freitag war es, der 15. Juli 1870, als König Wilhelm, vom Jubel der Nation umbraust, heimkehrte von Ems, um den ihm und in ihm dem deutschen Volke geflissentlich angethanen Schimpf mit muthigem Herzen und starkem Arme zu rächen. An einem andern Freitage, am 3. März des gegenwärtigen Jahres, schwamm die Residenz an der Spree in Lust und Lichterglanz, um den ruhmvoll erkämpften Frieden zu feiern. Ein dritter Freitag, der 17. März, sah Berlin in einem Enthusiasmus ohne Gleichen, denn sein greiser König betrat lorbeerbelastet zum ersten Male als Kaiser Deutschlands den angestammten Boden der heimathlichen Mark. Ein Freitag endlich war jener ewig denkwürdige 16. Juni, an dem Alldeutschlands Heere, als ein einig Volk von Brüdern, ihren Siegeseinzug hielten in die Hauptstadt des auf den französischen Schlachtfeldern neuaufgebauten Reiches.

Wir würden mehr als überlästig werden, wollten wir nach Monatsfrist noch einmal auftischen, was nahezu eine Million Festgenossen von nah und fern mit eigenen Augen geschaut und mit eigenen Ohren gehört und Hunderte von Blättern und Zeitungen des In- und Auslandes bereits bis zum Ueberdruß erzählt und beschrieben haben. Andrerseits jedoch ist der Tag ein zu viel bedeutsamer, ein für alle Zeiten zu unvergeßlicher gewesen, als daß man, nachdem der Festjubel verklungen und das gemeine Leben längst wieder in seine Rechte getreten ist, sich nicht an einen und den andern Moment jener überreichen Stunden gern von Neuem erinnern ließe. Ohnedem hat wohl jeder der Mitfeiernden seine besonderen Beobachtungen gemacht und seine besonderen Eindrücke empfangen, und diese verschiedenen Einzelbilder, Episoden, Scenen, Zwischenspiele sind den Facetten eines Steingeschmeides zu vergleichen. Durch sie erst empfängt das Gesammtgemälde seine Vollendung, sein rechtes, charakteristisches Licht, seinen hebenden Rahmen.

„Nun, was erklären Sie für die Krone des Ganzen?“ rief’s uns von einem Dutzend Stimmen entgegen, als wir uns, Einer nach dem Andern, todmüde an Leib und Seele von den Begebnissen und Wahrnehmungen der letzten zweimal vierundzwanzig Stunden, am gewohnten Abendtische in unserm ländlichen Sommersitze wieder einfanden. Allsogleich wurden die mannigfaltigsten Meinungen laut. Jeder hatte sich seine specielle Erinnerungsperle aus dem Oceane von Eindrücken herausgefischt und nach Hause getragen. Dieser schwärmte von den chignonlosen weißblauen Ehrengretchen und neidete dem jungen Berlin die Zukunft, welche an ihrer Seite seiner wartete. Jener fühlte sich gehoben von dem Bewußtsein, daß er Tausende von Schritten zwischen einem Spaliere von eroberten Kanonen gewandelt und daß mit solchem Reichthum der Trophäenschatz des Zeughauses doch noch lange nicht erschöpft war. Dem Dritten ist die majestätische und dabei so herzgewinnende Erscheinung des Kaisers selbst der Mittelpunkt alles Interesses gewesen und seine Augen haben sich nicht satt weiden können an dem prächtigen Weißbart, der, ein Vorbild germanischer Kraft und preußischer Straffheit, auf seinem schönen Trakehner Rosse so gerad’ und fest einhergeritten kam wie der jüngste seiner Ulanenofficiere. Einem Vierten liegt noch das Hurrah im Sinn und den Ohren, welches ringsum aus zehntausend Kehlen losbrach, als das erste Bataillon des Garde-Füsilierregiments, Berlins tapfere Söhne, die vielgeliebten „Maikäfer“, in Sicht kam und frischen Schritts und lachenden Mundes, als rücke es von Potsdam zur üblichen Maiparade ein, zwischen den kranzwerfenden Menschenhecken dahinmarschirte und unter Scherzen und Kalauern die natürlichen und künstlichen Lorbeerkronen auffing und an Helmen und Bajonneten befestigte. Dem Fünften hat es die Statuengruppe vor dem Potsdamer Thor angethan, – der kolossale Kanonenberg unter der hohen Victoria, mit seinen neun französischen Riesengeschützen und den sie umgebenden Tricoloren aus der Werkstatt des bekannten Thronausschlagers Hiltl, – und die beiden Standbilder Straßburg und Metz, in deren üppigen Formen er den Werth des wiedergewonnenen alten Reichslandes sinn- und geschmackvoll ausgedrückt findet. Der Sechste kann den Anblick der menschenerfüllten Tribünen nicht vergessen, der emporgestaffelten Damenterrassen mit den lichten Sommerkleidern und den bunten Sonnenschirmen als beweglichen heiteren Dächern darüber und hoch über dem farbenreichen Bilde den wolkenlosen blauen Himmel, welchen er als „ein günstig Zeichen“ nimmt für die Zukunft des neugeeinten Deutschland. Der Siebente erklärt dies Alles zwar für unbeschreiblich schön und imposant, – allein „die Linden“, meint er, „die Linden mit ihrem Ausschmuck, den Doppelsäulen je an den fünf Straßenübergängen und den künstlerisch gedachten und von Meisterhänden ausgeführten allegorischen Compositionen dazwischen, den ununterbrochenen Reihen von ersiegten Feuerschlünden, den lampionbehangenen Laubbalustraden, der wunderherrlichen Akademiefronte mit ihren Feldherrenportraits und Sinnversen, den decorirten Häuserfaçaden und auf den Trottoirs, in den Schauläden, an den Fenstern[WS 1], auf den Dachfirsten, auf den Schornsteinen,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Festern
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_491.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)