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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

trocknen. Gelegentlich dieser Ausflüge lassen sich ihre ungeheuren Schaaren am besten schätzen. Sie fliegen in wolkenartigen Schwärmen, scheinbar ebenso dick wie Bienen oder Mücken. Nach geraumer Zeit kehren sie zu ihren Bäumen zurück, hier wie eine Affenherde lärmend und kreischend, weil jeder einzelne sich bemüht auf Kosten der übrigen, den schattigsten Platz zu erobern. Alle Zweige, an denen sie sich anhängen, entblättern binnen Kurzem in Folge der unruhigen Hast der Flederhunde, welche ihre scharfen Krallen ohne jegliche Rücksicht auf den Wohnbaum verwenden. Mit Sonnenuntergang erheben sich die Schwärme zum zweiten Male, um sich nach ihren Futterplätzen zu begeben, und jetzt durchmessen sie oft beträchtliche Strecken, weil sie sich, ihrer großen Anzahl und Gefräßigkeit halber, nothwendiger Weise über einen ausgedehnten Raum verbreiten müssen. Außer den Früchten verschiedener Feigenarten fressen sie alle Baum- und Rankenfrüchte, welche der Mensch anbaut. Während man den Saft der Cocospalmen auffängt, sollen sie oft herbeikommen, gierig lecken und sich förmlich berauschen. Sonst trinken sie nur Wasser, und zwar von einem über die Oberfläche eines Gewässers hängenden Zweige aus, läppend wie ein Hund. Neben der pflanzlichen Nahrung verzehren sie Kerbthiere aller Art, Vogeleier und junge Vögel, sollen sogar, wie die Singalesen behaupten, mit Baumschlangen anbinden und auch diese zerfleischen und verzehren. Pflanzenkost bildet jedoch unter allen Umständen ihre Hauptnahrung, oft genug zum Schaden des Menschen, dessen Pflanzungen und Weinbergen sie beträchtlichen Schaden zufügen. Trotzdem verfolgt man sie nur hier und da, hauptsächlich des Fleisches wegen, welches wie das unseres Hasen schmecken soll. In manchen Gegenden des festländischen Indiens dagegen läßt sich die fromme Einfalt des Hindus auch von ihnen jede Plünderung ruhig gefallen, duldet nicht, daß sie verfolgt werden, erblickt in ihnen eher noch heilige, unverletzliche Wesen.

Ich sah die ersten Flughunde in den Londoner Zoologischen Gärten, bemühte mich aber mehrere Jahre lang vergeblich, ein Pärchen oder einen von ihnen zu erwerben. Einer und der andere gelangte allerdings auf den europäischen Thiermarkt, fand aber stets schon in England seinen Käufer, meist Thierschaubudenbesitzer, nach deren Ansicht ein „Vampyr“ erklärlicher Weise zu den verlockendsten Schaustücken für Diejenigen gehört, welche, wie das Sprüchwort behauptet, niemals aussterben. Mag man auch in der Thierbude selbst sehen, daß dem „Scheusale“ einfacher Reisbrei oder Milchbrod vorgesetzt wird: man glaubt doch dem plappernden Papagei in Gestalt des Thierbeschreibers, richtiger Thierverleumders, der Schaubude, welcher gegen Erstattung eines besondern Trinkgeldes alle Ungeheuerlichkeiten der Vampyrsage in eingelernter, sich ewig gleich bleibender Weise herunterleiert; die Bude füllt sich, und der „Vampyr“ ist bald bezahlt, auch wenn er hundert Thaler gekostet haben sollte. Ich mußte mich, um meinen „Herren Collegen“ zuvorzukommen, schließlich bequemen, Flughunde im Voraus zu bestellen, und versprechen, jeden irgendwie zulässigen Preis für sie zu bezahlen. Hätte ich ahnen können, daß ein erfindungsreicher Hidalgo aus dem Bruderstamme jenseits des Aermelmeeres mit etwa fünfzig Paaren der ersehnten „Hunde“ bereits unterwegs war, und daß man die Thiere kurze Zeit darauf selbst bei Vogelhändlern (unter Anderen bei Geupel-White in Leipzig, woselbst unser Zeichner seine im Aquarium begonnenen Studien fortsetzte) zu sehen bekommen könnte: ich würde mich nicht so beeilt, mindestens nicht einhundertfünfzig Thaler für das Pärchen der immerhin ziemlich hinfälligen Thiere bezahlt haben. Trotzdem bin ich weit entfernt, den Ankauf der Flughunde zu bereuen: sie haben mir und tausend Anderen viel Vergnügen bereitet und sich somit reichlich bezahlt gemacht.

Leider ist es nicht möglich, fliegende Hunde so unterzubringen, daß alle Eigenschaften von ihnen zur Geltung kommen können. Der größte Käfig wäre für sie, als fliegende Säugethiere, noch immer viel zu klein, dürfte sie sogar gefährden, weil sie in einem einigermaßen ausgedehnten Raume zu fliegen versuchen, an den Wänden anstoßen und sich schädigen würden. Aus diesem Grunde hält man sie am zweckmäßigsten in großen Vogelbauern, welche ihnen einigen Spielraum gewähren, alle Fluggedanken aber von vornherein verbannen. Hier kann man sie wenigstens im Schlafe beobachten und einige ihrer Lauf- und Kletterbewegungen studiren.

Uebertages hängen sich die Flughunde an einem ihrer Beine auf, bald an dem rechten, bald an dem linken, ohne dabei regelmäßig zu wechseln. Das zweite Bein wird in schiefer Richtung von oben nach unten oder hinten nach vorn über den Bauch gelegt. Den Kopf biegt das Thier tief auf die Brust herab, bezüglich herauf, da es ja doch mit demselben abwärts hängt, so daß das Genick den tiefsten Punkt des Körpers bildet und nur noch durch die gespitzten Ohren überragt wird.

Nachdem es diese Stellung eingenommen hat, schlägt es erst den einen Flügel mit halb entfalteter Flatterhaut um den Leib, sodann den zweiten, etwas mehr gebreiteten darüber und hüllt dadurch den Kopf bis zur Stirnmitte, den Leib bis auf den Rücken vollkommen ein, ähnlich dem Spanier, wenn er seine Manta um sich wirft. Der handartig gebildete Fuß, dessen lange Fingerzehen mit großen, starkbogig gekrümmten, scharfspitzigen Nägeln bewehrt sind, findet an jedem Aste, an jedem Zweige oder auch am Drahte des Gebauers sicheren Anhalt, und die Lage des Flughundes erscheint, so ungewöhnlich sie dem Unkundigen vorkommen mag, ungezwungen und natürlich, ist auch unzweifelhaft die bequemste Stellung, welche das Thier überhaupt einnehmen kann, zum Schlafen in den lichtdurchglühten Baumkronen seiner Heimath also so geeignet als möglich. Die Flughaut schirmt das Auge von den Lichtstrahlen und schließt die edleren Sinne, mit Ausnahme des Gehörs, vollständig von der Außenwelt ab, läßt aber neben den Kopfseiten noch Raum für den zur Athmung erforderlichen Luftstrom, und erfüllt somit den Zweck einer Umhüllung besser als jede Decke. Zum Verkehr mit der Außenwelt genügt das Gehör, welches zwar, so weit man von den spitzen, nacktbäutigen Fuchsohren folgern darf, an Schärfe dem anderer Fledermäuse bedeutend nachstehen muß, immerhin aber genügend entwickelt sein wird, um jedes störende oder gefahrdrohende Geräusch zum Bewußtsein des Schläfers zu bringen. Ein etwa fallender Regenguß näßt höchstens einen Theil des Unterrückens, nicht aber den übrigen Körper ein, welcher durch die stets sorgfältig gefettete Flatterhaut ebenso gut geschützt ist, wie Unsereiner durch einen Gummimantel. Kurz, die eigenthümliche Ausrüstung des Flughundes kann auch während seines Schlafes gar nicht besser verwerthet werden, als es von seiner Seite geschieht: ein eifriger Zweckmäßigkeitsprediger fände, wollte er unser Thier in den Kreis seiner nutzlosen Betrachtungen ziehen, den ausgiebigsten Stoff zu Faseleien in bekannter Weise.

Der Schlaf unserer Flederhunde währt, so lange die Sonne am Himmel steht, wird aber zeitweilig unterbrochen, um irgend ein wichtiges oder unaufschiebliches Geschäft vorzunehmen. Zu den regelmäßigen Arbeiten des Thieres gehört das Putzen der Flatterhaut. Es handelt sich dabei nicht alles um Reinigung, sondern, und mehr noch, um Einfettung und Geschmeidigmachung dieses so wichtigen Gebildes. Jedes einzelne Feld der Flatterhaut wird mittelst der Schnauzenspitze am allen Theilen gedehnt und ausgeweitet und jede einzelne Talgdrüse dadurch theilweise entleert, die Haut sodann aber innen und außen mit der Zunge beleckt und geglättet. Hierauf pflegt das Thier einen Flügel nach dem andern noch zu voller Breite zu entfalten, gleichsam um sich zu überzeugen, daß kein Theil übersehen wurde. Nach vollendeter Arbeit hüllt es sich ein wie vorher. Hat es ein natürliches Bedürfniß zu befriedigen, so entfaltet es beide Flügel, hebt sich mit dem Kopfe nach vorn und oben, greift mit beiden Daumenkrallen, den einzigen, welche die zum Gerüst für die Flughaut, umgebildete Hand besitzt, nach dem Zweige oder Drahte, an welchem es bisher hing, läßt mit dem Fuße los, fällt dadurch mit dem Hintertheile nach unten und kann sich nunmehr entleeren, ohne sich zu beschmutzen oder zu benässen. Unmittelbar darauf greift es mit den Füßen nach oben und nimmt sobald es sich festgehängt, die frühere Stellung wieder an.

Gegen Sonnenuntergang, meist noch etwas später, erwachen die Flughunde aus ihrem Tagschlafe, lockern die bis dahin eng abgeschlossene Umhüllung ein wenig, spitzen und bewegen die Ohren, putzen noch einige Zeit lang an der Flughaut herum und recken und dehnen sich. Jetzt regen sich auch Hunger und Durst. Humpelnden Ganges, halb kriechend, halb kletternd, bewegen sie sich vorwärts, mit Daumen- und Fußklauen überall nach Halt suchend und mit bemerklichem Geschick solchen auch findend, bis sie in entsprechende Nähe des Futter- und Trinkgefäßes gelangt sind. Am liebsten ist es ihnen, wenn sie, ohne ihre gewöhnliche Stellung aufzugeben, fressen, und trinken können. Sie genießen alle Arten von Obst, am liebsten Datteln, Apfelsinen, Kirschen und Birnen, minder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_526.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)