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verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

„Ich habe Ihnen Ihr Töchterchen wiedergebracht,“ sagte sie. „Herr Doctor, Sie müssen schon erlauben, daß auch die ‚Unwissenschaftlichen‘ im Vorderhause ein wenig herummeißeln und bilden dürfen an der kleinen wilden Hummel von der Haide.“

Er dankte ihr herzlich für ihr Anerbieten und gab ihr unumschränkte Vollmacht. Dabei rieb er sich plötzlich besinnend die Stirn. „Da fällt mir eben ein, – ach ja, ich bin manchmal ein wenig vergessen –, ich habe ja gestern auch auf einige Augenblicke die Prinzessin Margarethe gesprochen; ich erwähnte beiläufig Deine Ankunft, mein Kind, und sie sprach lebhaft den Wunsch aus, Dich nächste Woche zu sehen. Sie hat Deine Mama gekannt, als sie noch Hofdame am Hofe zu L. war.“ –

„Sie Glückliche!“ rief Charlotte. „Einen altadeligen Namen, einen hochberühmten Vater und eine Mutter, die Hofdame gewesen ist – wahrhaftig, die Götter haben ihr Füllhorn über Sie ausgeschüttet! Und das erscheint Ihnen wohl gar nicht einmal wünschenswerth?“

„Nein – ich fürchte mich vor der Prinzessin!“ versetzte ich scheu und ängstlich und drückte mich neben Ilse.

„Fürchte Dich nicht, Lorchen; Du wirst sie sofort liebgewinnen,“ tröstete mich mein Vater; Charlotte aber zog die prächtigen, schöngeschwungenen Brauen zusammen.

„Haideblümchen, seien Sie nicht kindisch!“ schalt sie. „Die Prinzessin ist sehr liebenswürdig. Sie ist die Schwester der Prinzessin Sidonie, von der wir eben noch gesprochen haben, und die Tante des jungen Herzogs. Sie macht die Honneurs an seinem Hofe, denn er ist noch nicht verheirathet, und soll ganz besonders lieb und gut gegen die kleinen, schüchternen und – nehmen Sie mir’s nicht übel – ein wenig albernen jungen Mädchen sein, die sich vor der ersten Vorstellung bei Hofe fürchten. … Also beruhigen Sie sich, Kleine!“

Sie drehte mich an den Schultern hin und her.

„Wollen Sie der Prinzessin Ihr Töchterlein so vorstellen?“ fragte sie meinen Vater und zeigte mit einem wahren Koboldlächeln ihre perlmutterweißen Zähne.

Er sah sie unsicher und verständnißlos an.

„Nun, ich meine, in diesem vorsündfluthlichen Costüm?“

„Hören Sie ’mal, Fräulein,“ fiel Ilse scharf ein, „in dem Kleide da hat meine arme Frau um den gnädigen Herrn getrauert. Dazumal war sie auch noch stolz und vornehm, und das Kleid ist ihr gut genug gewesen, und da wird es ja wohl der Frau Prinzessin auch nicht schaden, wenn sie die Kleine drin ansieht.“

Charlotte lachte ihr in’s Gesicht. „Vor wie viel Jahren war das, gute Frau Ilse?“

Jetzt ging auch meinem Vater ein Licht auf. Er strich sich mit der Hand über die Stirn. „Hm, darum handelt sich’s? … Ja, ja, Sie haben Recht, Fräulein Claudius, so ist Lorchen nicht ganz präsentabel. Ich erinnere mich – meine verstorbene Frau hatte einen exquisiten Geschmack und ist ja auch später noch viel mit mir zu Hofe gegangen. Liebe Ilse, drunten im Erdgeschoß, unter meinen Effecten müssen noch zwei Koffer voll Toilettengegenstände sein – nach dem schmerzlichen Ereigniß hat sie die damalige Wirthschafterin gepackt –“

„Daß Gott erbarm, das sind jetzt über die vierzehn Jahr her!“ rief Ilse die Hände zusammenschlagend. „Und das Alles ist nicht einmal aufgemacht und gelüftet worden?“

Er schüttelte den Kopf.

„Ach, Sie arme Creatur!“ jubelte Charlotte förmlich auf und schlang den Arm um mich. „Da muß ich retten, sonst hat die Residenz ein Gaudium, wie noch nie! … Ich werde für Alles sorgen, Herr Doctor!“

„So – und wer bezahlt’s denn?“ fragte Ilse trocken.

Mein Vater machte ein sehr verdutztes Gesicht und sah seltsam ängstlich drein – er schlang die Finger ineinander und ließ sie in den Gelenken krachen.

Charlotte bemerkte das sehr wohl. „Ich spreche sofort mit dem Onkel,“ sagte sie.

„Der kann der Kleinen auch kein anderes Geld geben, als ihr selber gehört,“ fiel Ilse beharrlich ein, „und da haben wir ja gleich die Bescheerung; da fliegt das bischen Vermögen für Lappen und Firlefanz in alle vier Winde, ehe wir es uns versehen.“

„Nun meinetwegen, behalten Sie Ihr Geld in der Tasche!“ rief Charlotte ärgerlich. „Ich gebe ihr meine neueste Toilette, die der Schneider erst gestern gebracht hat. … In dem Aufzug lasse ich die Kleine nicht an den Hof – dazu habe ich sie schon viel zu lieb!“

Ich neigte den Kopf seitwärts und küßte verstohlen die volle, weiße Hand, die meine Schulter umschloß. Ilse sah diese Bewegung; sie schüttelte den Kopf, und ein niegesehener, wehmüthig bitterer Zug stahl sich in ihr Gesicht. Ich glaube, sie bereute heute schon zum zweiten Mal tief, mich in das Haus der „vernünftigen Leute“ gebracht zu haben.

Noch hatte sie übrigens keinen Grund zur Besorgniß; noch mischte sich in das Dankgefühl, mit welchem ich Charlottens Hand küßte, nicht eine Spur von befriedigter Eitelkeit. Ich dachte nicht im Entferntesten daran, daß ich ohne die dicke Mullkrause, von der mich Charlotte kühn befreite, schöner aussehen könne – mein braunes Gesicht wurde wohl auch über einem so zarten Spitzenkragen, wie die junge Dame ihn trug, nicht um einen Schein weißer, und die kleinen Ohren, die sich bei dem leisesten inneren Angstgefühl stets so heiß rötheten, fuhren sicher ebenso lächerlich daraus empor wie aus den weißen Mullwogen. Aber auch das erwog ich nicht einmal in diesem Augenblick – ich dankte einzig und allein für die Liebe, die mir entgegengebracht wurde.

Charlotte verabschiedete sich von meinem Vater, ohne das gewünschte Buch mitzunehmen; meine Vorstellung bei Hofe schien hinter der festen weißen Stirn einen wahren Wirbel von Gedanken erregt zu haben. Sie versicherte mir drunten in der Halle nochmals, für Alles Sorge tragen zu wollen, ermahnte mich noch einmal ernstlich, meine „völlig unmotivirte Scheu und Aengstlichkeit“ zu besiegen, und eilte in das Vorderhaus zurück.

„Du ziehst die geborgten Sachen natürlich nicht an,“ sagte Ilse zu mir, während Charlotte jenseits des Teiches im Bosquet verschwand. „Deine selige Großmutter müßte sich ja in der Erde umdrehen. … O Herr Jesus, nun muß ich auch gar noch selbst Herrn Claudius bitten, daß er das Geld für den Firlefanz ’rausgiebt! … Sie werden eine schöne Putzdocke aus Dir machen in dem Hause da vorn!“

Als wir in das Wohnzimmer traten, wo das Stubenmädchen eben den Tisch deckte, kam uns auch der alte, freundliche Gärtner entgegen und sagte mir, daß er im Auftrag des Herrn Claudius in meinem Zimmer einen Blumentisch aufgestellt habe.

Mit Mühe suchte ich ein paar steife Worte des Dankes zusammen – ich wollte ja die Blumen des Herrn Claudius gar nicht haben; mochte er sie doch lieber verkaufen, der engherzige Zahlenonkel! … Ich ging auch durchaus nicht hinein, um sie anzusehen. Aber Nachmittags, in einer der heißesten und drangvollsten Stunden meines ganzen bisherigen Lebens, saß ich doch neben ihnen; denn sie beschatteten halb und halb meinen Schreibtisch. … Meinen Schreibtisch! Welche Ironie lag darin, mir einen Tisch hinzustellen, auf welchem ausschließlich geschrieben werden sollte! … Und nun saß ich doch d’ran und schwitzte vor Seelenangst und Mühe; denn ich sollte und mußte einen Brief schreiben – den ersten in meinem Leben. Ilse war unerbittlich gewesen. „Siehe Du nun auch, wie Du mit der eingerührten Geschichte fertig wirst; nicht einen Finger rühre ich darum!“ hatte sie mitleidslos und entschieden erklärt und mich mit meiner Riesenaufgabe allein gelassen.

„Liebe Tante! Ich habe Deinen Brief gelesen. Es thut mir in der Seele weh, daß Du Deine schöne Stimme verloren hast, und da meine liebe Großmutter gestorben ist, so schicke ich Dir das Geld,“ besagten die durcheinanderquirlenden, schwarzen Buchstaben auf dem weißen Papierblatt, das vor mir lag. Der Anfang war glücklich gefunden, und ich schlug die Augen auf nach weiterer Eingebung von außen.

Ein köstlicher Duft strömte mir zu; ja, da stand der Blumentisch; prachtvolle, blaßgelbe Theerosen hingen schwer herüber, und – o Himmel – um alle diese hochstrebenden blüthenbeschneiten Rosen-, Azaleen- und Camelienbäume legte sich drunten ringsum ein Kranz von blühenden Haidebüschen! Das hatte der alte Gärtner doch zu sinnig ausgedacht! … Ich warf die Feder hin und griff mit beiden Händen in die Blüthenrispen. … Da stieg es auf, das bienenumsummte Dach mit der Haidegarnitur unter jeder Ziegelreihe, und von den Eichenwipfeln schrieen die Elstern in den stillen Baumhof hinab. Die alte Föhre trug die ganze Last der glühenden Nachmittagssonne auf ihren struppigen Zweigen, und in dem roth- und lilafarbenen Haideteppich blinkten die gelben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1871, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_643.jpg&oldid=- (Version vom 1.3.2018)