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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

vor den Augen gehabt und die breite Hutkrempe über der Stirn – er sah auf einmal gar so jung aus seinen feurig blauen Augen. … Ich kam mir entsetzlich einfältig vor, und ihm fiel es nicht ein, mir aus meiner unbeholfenen Verlegenheit zu helfen – er schwieg, während sie drinnen sangen.

„Dann wär’ mein Herz dein Zufluchtsort,
Gern theilt’ ich’s ja.“

„Wollten Sie mich sprechen?“ fragte er endlich halblaut, als die Sänger schwiegen.

„Ja, Herr Claudius, aber nicht hier.“

Er trat sogleich mit mir in den anstoßenden Salon und schloß beide Thüren.

Die Augen unverwandt auf ein glänzend polirtes Carreau in dem getäfelten Fußboden gerichtet, trug ich mein Anliegen vor, und es ging; ich fand die Worte und Ausdrücke wieder, die ich mir ausgedacht, ich schilderte ihm, wie heftig mein Vater den Besitz der Münzen wünsche, daß er nicht essen könne vor Aufregung; ich versicherte ihm, daß ich es durchaus nicht ertragen könne, ihn leiden zu sehen – durchaus nicht, und deshalb Rath schaffen und die Dreitausend haben müsse, um jeden Preis – dann sah ich zu ihm auf.

Er sah wieder genau so aus, als stünde er drunten im Schreibzimmer neben seinem dicken Folianten – das Bild des ruhigen Anhörens, der kühlsten Ueberlegung und Vorsicht.

„Ist das Ihr eigener Gedanke oder hat Herr von Sassen zuerst den Wunsch ausgesprochen, ein Capital aus Ihrem Vermögen zu entnehmen?“ fragte er – wie stach dieser gehaltene Ton häßlich ab von meiner warmen Beredsamkeit, und wie reizte er mich! … aber in die klarblickenden Augen hinein konnte ich doch weder geradezu lügen, noch eine Bemäntelung erfinden, wozu ich allerdings einen Augenblick die größte Lust verspürte.

„Mein Vater hat heute Mittag den Wunsch gegen Ilse ausgesprochen,“ versetzte ich zögernd.

„Und sie hat sich geweigert?“

Ich bejahte niedergeschlagen – ich wußte es, die Sache war bereits verloren.

„Haben Sie sich nicht selbst gesagt, Fräulein von Sassen, daß ich Ihnen die Summe dann noch viel weniger geben darf und werde?“ –

Vergessen war der Vorsatz, mich auf demüthiges Bitten zu verlegen und in Geduld auszuharren gegenüber dieser kaufmännischen Berechnung und Gelassenheit! … Ich fühlte, wie meine Wangen heiß wurden, „mein böses Herz überrumpelte mich“.

„Freilich habe ich mir das selbst gesagt,“ antwortete ich rasch, mit fliegendem Athem, – ich zeigte auf die Thürschwelle. „Da hab’ ich eben noch gestanden und mich vor Grauen geschüttelt. … Aber ich habe meinen Vater lieb und wollte ihm das schwere Opfer bringen.“

Er sagte nicht ein Wort, als ich für einen Moment verstummte – er war wirklich durch und durch von Stein, alle meine Vorstellungen waren wirkungslos abgeprallt – und da sollte man nicht zornig werden? … In meinen Füßen zuckte es fast unwiderstehlich, den Boden zu stampfen – ich wandte ihm heftig den Rücken und rief in ausbrechendem Groll über die Schulter zurück: „Ich will das Geld nun gar nicht! Lächerlich, daß ich um das, was mir meine liebe Großmutter doch geschenkt hat, bei Fremden betteln soll! … Aber das thue ich nicht, ganz gewiß nicht! … Ich werde Sie nie, nie wieder um Etwas bitten, und wenn es mir zehnmal gehört, und ich das Recht habe, darüber zu verfügen –“

„Nicht über einen Pfennig haben Sie in diesem Augenblick zu verfügen!“ fiel er ein, ohne alle Heftigkeit, aber mit großem Ernst und Nachdruck. „Und das will ich Ihnen sagen, wenn Sie das wilde Kind der Haide in so ungeberdiger Weise herauskehren, dann erreichen Sie bei mir nie Etwas. … Mögen Sie immerhin auf die Bäume klettern und durch den Fluß laufen, darin sollen Ihnen die Flügel nicht beschnitten werden – aber aus der Seele will ich das wilde Element scheiden.“

Also er umklammerte mich richtig mit seinen eisernen Fingern und ließ mich nicht eher wieder frei, als die zwei Leidensjahre um waren! … Gott, was für ein klägliches Zerrbild wollte er aus mir machen!

„Wenn ich’s leide,“ sagte ich und warf den Kopf zurück. „Heinz hatte einmal einen Raben gefangen, und als er ihm die Flügel beschneiden wollte, da biß ihm der Vogel den Finger blutig –“

„Und so tapfer wollen Sie sich auch wehren, kleine Haidelerche?“ fragte er und sah lächelnd auf seine schlanken Finger herab. „Der böse Rabe hat eben nicht einsehen können, daß ihn Heinz zu seinem trauten Hausgenossen machen wollte. … Aber nun wollen wir weiter über die Geldangelegenheit reden. Mit Ihrem Vermögen darf ich so wenig willkürlich schalten und walten, wie Sie selbst, dagegen bin ich sehr gern bereit, Herrn von Sassen die nöthige Summe aus eigenen Mitteln vorzustrecken. … Sagten Sie nicht, der Verkäufer sei augenblicklich bei Ihrem Vater?“

Beschämt griff ich in die Tasche und reichte ihm das Medaillon hin.

„Ach, eine Kaisermünze aus der Zeit der Antonine! Ein schönes Exemplar!“ rief er. Er trat an das Fenster und betrachtete sie eine lange Zeit scharf prüfend von allen Seiten – wieder einmal, als ob er wirklich auch davon etwas verstünde.

„Kommen Sie,“ sagte er und öffnete das anstoßende Zimmer zur rechten Hand. Es hatte schwerseidene Draperien an den Wänden und war eben so düster, wie alle in dieser endlos langen Flucht liegenden. Einem der Fenster nahe stand ein Schrank von dunklem Schnitzwerk mit schweren, fein ciselirten Silberbeschlägen.

Herr Claudius schloß das wunderliche, altmodische Geräth auf und zog einen Kasten heraus – da lagen ganze Reihen solcher Medaillen, von denen mein Vater gesagt, daß sie wunderselten seien, wohlgeordnet auf dunklem Sammetgrunde. Er nahm eine derselben auf, legte sie auf seiner Handfläche neben die von mir gebrachte, verglich beide noch einmal prüfend, und hielt sie mir hin. Sie glichen sich, wie ein Ei dem anderen, nur sah die aus dem Kasten genommene bedeutend abgegriffener aus.

„Diese ist schöner,“ sagte ich und zeigte auf die Münze, die mein Vater so heiß ersehnte.

„Ja, das glaube ich Ihnen,“ versetzte er. „Mir aber gefällt sie nicht.“

In diesem Augenblick wurde die nach dem Speisesalon führende Thür aufgemacht, und als wir Beide uns umwandten, sahen wir Dagobert auf der Schwelle stehen. Herr Claudius faltete mißmuthig die Brauen, allein der junge Mann ließ sich dadurch nicht verscheuchen; er trat näher, und seine braunen Augen irrten erstaunt über die Münzenreihen hin.

„Himmel, welche Pracht!“ rief er überrascht. „Onkel, bist Du denn Sammler?“

„Ein wenig, wie Du siehst.“

„Und davon weiß die Welt kein Wort!“

„Ist es nöthig, daß die Welt meine kleinen Passionen kennt?“ – Wie stolz gelassen klang das!

„Nun, wenn auch das nicht,“ versetzte Dagobert. „aber in einer Zeit, wo fast die ganze Residenz sich mit wahrhaft fieberndem Interesse der Alterthumskunde zuwendet, ist diese Passivität geradezu unbegreiflich.“

„Meinst Du? … Ich will Dir sagen, daß ich selten an Etwas Genuß finde, das gerade als Modeartikel auf dem großen Markt liegt, und von Unberufenen zu ganz anderen Zwecken ausgebeutet wird, als sie die Wissenschaft verfolgt. … Auch bin ich sehr auf meiner Hut mit meinen kleinen Neigungen, ich bringe sie durchaus nicht in Concurrenz – sie wachsen uns unter fremdem Einfluß über den Kopf, und einer solchen ausgebildeten Leidenschaft ist dann Nichts unerreichbar, sie rührt an das Heiligste und nimmt die Mittel vom Altar, wenn es sein muß.“

„Nun, vor der Sünde schützen Dich denn doch die Ersparnisse Deiner Ahnen, Onkel!“ lachte Dagobert. Er schüttelte den Kopf „Unglaublich! Du interessirst Dich für Alterthümer und lässest eine kostbare Antikensammlung so und so viel Jahre im Keller verschimmeln, ohne sie zu berühren.“

Herr Claudius zuckte leichthin die Achseln. „Vielleicht beurtheilst Du das anders, wenn Dir das Testament meines Großvaters zu Gesicht käme. Nach seinem Wunsch sollten die Antiken begraben bleiben für alle Zeiten.“

„Ach so – da kann ja Herr von Sassen stolz sein – er hat mit seinen Bitten die unsinnigen Traditionen des Hauses über den Haufen geworfen –“

„Er weniger, als meine schließliche Ueberzeugung, daß weder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_714.jpg&oldid=- (Version vom 20.2.2019)