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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

auch die Papiere, wenn wir dabei sagen müßten, daß wir sie nach Spitzbubenart unter den Gerichtssiegeln hervorgeholt haben? … Sie liegen einstweilen gut aufgehoben, bis sie eines Tages mit Eclat an das Licht treten werden. Selbst für Onkel Erich sind sie unerreichbar geworden durch die Siegel, die er auf die Thüren hat klecksen lassen. Und wir brauchen nicht mehr hineinzusehen – so gewiß ich athme, so gewiß weiß ich nun, daß wir hier geboren sind, daß wir in dem Hause unserer Eltern, auf unserm eigenen, ererbten Grund und Boden stehen!“ sagte sie feierlich. Hörst Du? Der Sturm sagt Amen dazu!“

Ja, das war ein Stoß, der den Boden unter unsern Füßen zittern machte, der die Glastür, die ich neulich im Schrecken nur zugeworfen und nicht geschlossen hatte, schmetternd aufstieß und im Nu den Schreibtisch mit Wasserfluthen überschüttete.

„Ha, ha, er sagt Amen dazu und will uns zeigen, wie wir’s machen müssen!“ lachte Dagobert und schloß die Thür wieder. „Er faßt diesen inhaltsvollen Schreibtisch nicht mit Handschuhen an, wie Du siehst – da heißt es ‚Gewalt wider Gewalt!‘ … Wenn es nach Deinem und Eckhof’s Sinn gehen soll, dann muß ich bei Onkel Erich um jeden Groschen betteln und Vorwürfe über meine Schulden hören, bis ich graue Haare habe, und Du wirst in der verhaßten Abhängigkeit eine alte Jungfer!“ –

„Die werde ich so wie so,“ sagte sie, während eine leichte Blässe ihr Gesicht überlief. „Ich würde mich nie anders als standesgemäß verheiraten – diese Hofgecken sind mir aber in den Tod zuwider. … Ich will auch nicht lieben, ich will nicht! … Ich habe ein ganz anderes Ziel – Aebtissin in einem Damenstift will ich werden – da kömmt Manche unter mein Scepter, die mich getreten hat … sie mögen sich hüten! … Uebrigens begreife ich Dich nicht, Dagobert,“ sagte sie nach einem tiefen Athemholen weiter. „Wir haben doch längst ausgemacht, daß die Sache erst im Januar, wenn Du hierher versetzt bist, zum Austrag kommen darf, daß wir unterdeß schweigen und so viel wie möglich Material sammeln wollen. Es wird mir schwer genug werden, allein hier auszuharren – kostet es mich doch jetzt schon die größte Ueberwindung, dem Onkel in die Augen zu sehen und nicht sagen zu dürfen: ‚Betrüger, der Du bist!‘ – mit der Fliedner verkehren zu müssen, die das friedfertigste und harmloseste Gesicht macht und uns systematisch bestehlen hilft – die boshafte Katze! Und ich habe sie wirklich gern gehabt! … Es geht fast über meine Kräfte, aber es hilft nichts, es muß sein! Eckhof hat Recht, wenn er uns unausgesetzt die möglichste Ruhe und Vorsicht predigt.“

Sie wischte mit ihrem Taschentuch die Nässe vom Tisch und drückte den aufgerüttelten Kasten wieder fest in seine Fugen.

Was sie nun trieben und erforschten, ich betheiligte mich nicht mehr daran. Ich hatte mich zwischen die Glasthür und den Schreibtisch geflüchtet und stand da als Schildwache. … Ich meinte, das Zittern des Bodens unter mir daure fort, aber es war in meinen Füßen. Nie in meinem ganzen Leben war mir so entsetzlich zu Muthe gewesen, als in dem Augenblick, wo es sich urplötzlich wie lebendige Klammern um mich gelegt hatte. Wäre ich in einen dunklen Abgrund gestoßen worden, ich hätte mich nicht mehr fürchten können, als vor diesem heißen Flüstern einer halberstickten Stimme, das ich zum Theil gar nicht verstand, und das mir doch das Blut in Wangen und Schläfen trieb. … Am liebsten hätte ich Alles hinter mir gelassen und wäre gelaufen, so weit mich meine Füße tragen konnten; allein die Furcht, daß der Schreibtisch schließlich doch noch erbrochen werden könne, hielt mich fest.

„Das ist unser Wappen, Kleine, sehen Sie sich’s an,“ sagte Charlotte endlich wieder heraustretend zu mir. Sie hielt mir einen Siegelring mit einem geschnittenen Stein hin. „Papa hat zwar nie Ringe getragen, wie heute Ihre Hoheit versicherte, trotzalledem existirt dieser und ist augenscheinlich oft als Petschaft benutzt worden – er lag auf Papas Schreibzeug; ich nehme ihn mit, als das Einzige, was ich mir vorläufig aneigne.“ Sie ließ den Ring in ihre Tasche gleiten.

Ich war erlöst. Wir gingen hinab, und der Schrank wurde wieder an seine Stelle gerückt.

Als die wohlberechtigten Erben des Freiherrn Lothar von Claudius, als die Seitensprossen des herzoglichen Hauses waren die Geschwister wieder aus dem dunklen Treppenschacht hervorgegangen, den Charlotte noch unter den Qualen banger Zweifel betreten hatte. Sonnenklar lag die Lösung des Räthsels da – auch für mich – wie war es Herrn Claudius möglich gewesen, mit reiner Stirn und so fester Stimme die Wahrheit zu verleugnen? Und trotzdem, mochte die Sache liegen, wie sie wollte – er hatte doch nicht gelogen! …



25.

Charlotte griff nach ihrem Shawl, aber sie ließ ihn erschreckt wieder sinken, lief an das Fenster und riß es auf.

„Was giebt’s, Herr Eckhof?“ rief sie hinaus.

Der alte Buchhalter rannte quer über den Kiesplatz nach dem Hause. Er war ohne Hut und sein sonst so beherrschtes Gesicht sah verstört aus – er war augenscheinlich tief alterirt.

„In Dorotheenthal ist ein Wolkenbruch niedergefallen!“ rief er athemlos herüber. „Mindestens vierzigtausend Thaler Verlust für die Firma Claudius! Alles ersäuft und verwüstet, was wir seit Jahren draußen mühsam angelegt und gepflegt haben! … Hören Sie den Nothschuß? … Auch Menschen sind in Gefahr!“

Dorotheenthal war eine Besitzung der Claudius, ein alterthümliches, einst adeliges Herrenhaus, das, sammt einem Dorf, sehr tief auf ziemlich enger Thalsohle lag. Die Firma stützte ihren Betrieb weit mehr noch auf die Ländereien in Dorotheenthal, als auf die Gärten zu K. Die Holzsämereien waren ganz auf diesen District verwiesen und besonders hatten kostbare Coniferen-Exemplare Dorotheenthal eine Art Ruf verschafft. Die einzelnen Blumengattungen waren hier ackerweise vertreten, und Ananas-, Orchideen- und Cactushäuser umkreisten in bedeutender Anzahl das Schlößchen. Einige kleine Seen und ein ziemlich reißender Fluß, der das Thal durchschnitt, erleichterten den kolossalen Betrieb ungemein; aber in diesem Augenblick war das hülfreiche Element zum teuflischen Feind geworden – die Seen waren übergetreten, und der Fluß hatte sich, einen Damm durchsprengend, mit ihnen vereint, wie Eckhof noch herüberrief, ehe er in der Halle verschwand.

„Welch ein Unglück!“ rief Charlotte mit todtenblassem Gesicht und schlug die Hände zusammen.

„Ah bah – was brauchst Du da zu erschrecken?“ sagte Dagobert achselzuckend. „Was sind vierzigtausend Thaler für Onkel Erich? Er kann’s verschmerzen – und schließlich, was geht’s uns an? Das ist seine Sache – unser Erbtheil schmälert es um keinen Pfennig! … Er wird freilich saure Gesichter machen, und die Wegzehrung, die er mir übermorgen mitgeben wird, mag schmal genug ausfallen. … Na meinetwegen – ich habe mir’s ja auch gefallen lassen müssen, wenn der Kram in Ordnung war.“

Die letzten Worte hörten wir kaum noch. Charlotte lief hinaus, und ich mit ihr. … Menschen waren in Gefahr? Wie das beängstigend klang! Ich wollte mehr wissen; ich hielt es nicht aus allein in der Karolinenlust. Chalotte hatte mir ihren Arm gereicht, und so rannten wir, unausgesetzt bestäubt vom Regen, über den schäumenden Fluß, durch die schwimmenden und triefenden Gärten nach dem Vorderhause.

Hie und da lief uns ein Gärtnergehilfe mit erschrecktem Gesicht über den Weg, und schon von ferne hörten wir über die Hofmauer her den Lärm durcheinander rufender und klagender Stimmen. Beinahe das ganze Arbeiterpersonal war im Hofe versammelt, als wir eintraten, und vor der Hausthür hielt Herrn Claudius’ Equipage. … Er selbst trat eben, in einen Regenmantel gehüllt und den Hut in der Hand, heraus auf die Thürschwelle. … Es war, als gehe von seinem vollkommen ruhigen Gesicht eine beschwichtigende Kraft aus – das Lärmen verstummte sofort. Er ertheilte einige Befehle; nicht die mindeste Hast oder Ueberstürzung beeinträchtigte seine langsam edlen Bewegungen – man sah, der blonde Kopf dort mit dem ernsten Ausdruck behauptete die Herrschaft in allen Lagen des Lebens.

Bei unserem Erscheinen traten die Leute zurück und ließen uns vorüber; ich hing noch an Charlottens Arm. Da sah uns Herr Claudius über den Hof kommen – schien es doch fast, als erschrecke er; wie ein Blitz fuhr ein Ausdruck des Zorns über seine unbedeckte Stirn; er zog die Brauen zusammen, und unter ihnen hervor traf mich ein langer, finster strafender Blick. … Ich schlug die Augen nieder und zog meinen Arm aus dem meiner Begleiterin.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_794.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)