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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

versündige ich mich etwa mit diesem vernünftigen Rathe an dem jungen Mädchen? Sie kommt zu mir, um Hoffnung zu kaufen, und ihr wird das von mir, was sie wünscht; ich verspreche ihr nicht den Besitz des Geliebten, sondern ich prophezeie ihr nur im Allgemeinen reiches Lebensglück, falls sie verständig handle und ach von thörichten und übereilten Schritten fern halte. Und habe ich nicht ein Recht, ihr dies zu versprechen? Ich sehe wahrlich nicht ein, wie in diesem meinen Thun etwas Unmoralisches liege!“

Sie schwieg, um an dem Ausdrucke meines Gesichts zu prüfen, welchen Eindruck ihre Vertheidigungsrede auf mich gemacht; doch schien sie wenig befriedigt von ihrer Wahrnehmung, denn noch ehe ich meinen Empfindungen Ausdruck gegeben, sagte sie: „Ich sehe, daß ich Sie nicht überzeugt habe.“

„Gewiß nicht!“ antwortete ich. „Ich bewundere wahrlich den Verstand, mit dem Sie verfahren, und glaube gern, daß Ihr Herz zu edel ist, um durch Ihre Prophezeiungen thörichte Wünsche und tadelnswerthe Hoffnungen bei Denen zu nähren, die Ihren – Rath in Anspruch nehmen; aber gestehen Sie sich nicht selbst ein, daß die Art und Weise, wie Sie denselben ertheilen, darauf berechnet ist, zu täuschen, indem Sie nach Manier des Charlatans mit einer angeblich geheimen Kunst prunken, da Ihre Weissagung doch nichts als das Product des gesunden Menschenverstandes ist?“

„Giebt es einen Kaufmann,“ fragte sie dagegen, „giebt es einen Arzt, der frei ist von – Charlatanerie? Ja, ich möchte fast fragen, welcher Stand ist das überhaupt? Und andererseits, wenn der Bauer den Uhrmacher oder den Telegraphisten für einen Schwarzkünstler hält, weil er ihr Thun nicht begreift und ihnen geheime Wunderkräfte zuschreibt, sind sie deshalb Charlatans?“

Ich war mir augenblicklich nicht klar darüber, wie ich diese Spitzfindigkeiten, deren Werthlosigkeit ich doch zu empfinden glaubte, zu widerlegen vermöchte, während mir zugleich meine Theilnahme für die schwergeprüfte Frau, für die mein Herz vor Jahren feurig geschlagen, verbot, sie durch meine Bedenken zu beunruhigen und auf’s Neue zu erregen, nachdem sie vielleicht mühsam die Einwendungen des eignen Herzens zur Ruhe gebracht. Deshalb brach ich, zumal ihre Mittheilungen über den Tod ihres mir nahestehenden Gatten mich tief ergriffen hatten, die Unterredung, die für beide Theile peinlich zu werden begann, ab und kehrte, nachdem ich versprochen, ihrer Aufforderung, sie bald zu besuchen, in den nächsten Tagen nachzukommen, nach Hause zurück, um meiner Mutter das seltsame Abenteuer, das ich erlebt, mitzutheilen.

Am folgenden Tage lag ich im Fieber; doch siegte meine gute Constitution schnell über den leichten Rückfall in die Krankheit, und nach Verlauf einer Woche ging ich auf’s Neue zu Frau v. Krey, um mein ihr gegebenes Versprechen zu erfüllen. Die Zwischenzeit hatte mir Muße gewährt, über mein zukünftiges Verhalten ihr gegenüber nachzudenken. Ich war entschlossen, die Erneuerung des streitigen Punktes zu vermeiden, im Uebrigen ihr in jeder Beziehung meinen Rath und, so weit es meine beschränkten Mittel mir gestatteten, meine Hülfe anzubieten. Als ich ihr gemeldet worden, kam sie mir bis zur Thür entgegen, reichte mir ihre Rechte und sagte mit sichtlicher Freude: „Wie brav ist es, daß Sie wiederkommen, da wir doch im Widerspruch mit unseren Anschauungen geschieden sind! Nun weiß ich doch, daß ich noch Ihre Achtung besitze: Sie wissen nicht, wie bang ich gewartet habe, ob auch Sie die Wittwe des Jugendfreundes aus der Liste Ihrer Bekanntschaften streichen würden.“

Ich nahm Platz, entschuldigte mein Ausbleiben durch mein Unwohlsein und versicherte, daß mein erster Ausgang seit jenem Tage, wo ich sie gesehen, mich zu ihr geführt habe. Sie wiederholte den Ausdruck ihrer Freude, und ihr Gesicht zeigte zum ersten Male hierbei nicht jenen Zug fast trotzigen Schmerzes, der mir jüngst einen so tiefen Eindruck gemacht hatte. Dann fragte sie nach meiner Wunde, meinen Erlebnissen im Felde, und ich mußte ihr viel erzählen. Als ich geendet, lenkte sich das Gespräch auf ihre letzten Tage in Köln, und die Zeit verrann mir bei der geistreichen Frau so schnell, daß ich, als ich nach der Uhr gesehen, erschreckt aufsprang und um Verzeihung für die lange Dauer meines Besuches bat.

„Aber Sie stören mich ja nicht,“ erwiderte sie, „denn es ist jetzt nicht gerade die Zeit, wo meine geschäftlichen Constitutionen stattfinden; bleiben Sie noch einen Augenblick, und ich erzähle Ihnen ein kleines Abenteuer, das ich vor drei bis vier Tagen gehabt.“

Ich nahm wieder Platz und sie begann:

„Es war um die Visitenstunde Nachmittags, als meine alte Dienerin, die mich schon als Kind gepflegt und auch in der Zeit der höchsten Bedrängniß in treuer Anhänglichkeit nicht verlassen hat, mir einen Rittergutsbesitzer Bärwald meldete, der die ‚Wahrsagerin‘ zu sprechen wünschte. Ich ging, nachdem die Lampe angezündet, aus dem Kinderzimmer hier herein und fand einen etwas sonderbaren Herrn vor, der, wie es schien, von einem stattlichen Diner kam, so daß ich in einem Anfluge von Besorgniß die Thür zum Nebenzimmer nicht schloß, um nöthigen Falles rufen zu können. Aber meine Aengstlichkeit war unbegründet, denn mein Anblick, den sich der gute Pommer wohl ganz anders vorgestellt hatte, verblüffte ihn dermaßen, daß er selbst gänzlich außer Fassung gerieth und kaum im Stande war, seinen Wünschen in zusammenhängenden Worten Ausdruck zu geben. Doch verstand ich so viel, daß er, der seit mehreren Jahren die Residenz nicht besucht, auf seinem einige Meilen von Stolpe gelegenen Gute in der Zeitung meine Annonce gelesen und, da seine Vorfahren stets viel von Prophezeiungen gehalten, sich entschlossen habe, hierher zu reisen, um sich von mir Auskunft über den günstigen oder ungünstigen Erfolg eines für ihn außerordentlich wichtigen Unternehmens zu holen. Ich gerieth in die peinlichste Verlegenheit. Dieser einfache, aber offenbar keineswegs natürlichen Scharfsinnes entbehrende Mann verlangte keine allgemein gehaltene Prophezeiung, sondern eine kurze und bestimmte Antwort auf eine Frage, die er mitzutheilen sich auf’s Sorgsamste hütete. ‚Denn,‘ sagte er, ‚sind Sie eine richtige Prophetin, so wissen Sie die Frage, um die es sich handelt, auch ohne daß ich sie Ihnen sage.‘

In meinem Herzen gab ich ihm, der an Einsicht so viele vornehme Größen der Residenz übertraf, vollkommen Recht, und da ich es nicht über mich gewinnen konnte, auf’s Gerathewohl hin ihm ein Ja oder Nein zu antworten, das ihn möglicher Weise für die Zeit seines Lebens unglücklich machen konnte, so war ich nahe daran, aus der Rolle zu fallen und auf die Gefahr hin, von ihm verspottet zu werden, meine Unkenntniß der Zukunft einzugestehen, als mir mein altes Talent zur Hülfe kam, und ich, während ich anscheinend seine Hand studirte, folgende Betrachtungen anstellte. Dieser Mann, der etwa vierzig Jahre zählt und, abgesehen von einer gewissen ländlichen Schwerfälligkeit und dem Mangel großstädtischer Tournüre, in Nichts den wohlhabenden und gebildeten Menschen vermissen läßt, der die Gegenstände, die in seinem Gesichtskreise liegen, klar und scharfsinnig beurtheilt, wird niemals so thöricht sein, die ungewohnte Reise in die Hauptstadt zu unternehmen, um sich über Angelegenheiten, die seinen landwirthschaftlichen Beruf oder ein industrielles Unternehmen betreffen, wahrsagen zu lassen. Denn über Pläne, die auf ersteren Bezug haben, zu urtheilen, ist er selbst Mannes genug, und auf letzteren läßt er sich, wenn er nicht fähig ist, ihre Rentabilität selbst zu prüfen, nicht ein: dazu ist er zu klug. Es handelt sich mithin bei Herrn Bärwald nicht um ein Geschäft, sondern um eine Familienangelegenheit wichtigster Art. Ist er aber verheirathet oder nicht? Er trägt keinen Trauring; aber dies Zeichen kann trügerisch sein, selbst bei einem pommerschen Gutsbesitzer. Aber er ist scheu und unbeholfen mir gegenüber; er hat also wenig oder keinen Umgang mit Damen. Der Anhängsel an seinem Ueberzieher ist abgerissen, ein kleines Stückchen ragt über den Kragen heraus. Das kann freilich erst heute im Hôtel geschehen sein, so daß die Frau es noch nicht hat repariren können. Das Stückchen Chemisette, das die Weste blicken läßt, ist fein und kostbar, aber nicht weißgebleicht; es ist kein Zweifel: seinem Hause mangelt die Hausfrau. Er besitzt etwas Embonpoint, liebt also die Bequemlichkeit; nichts desto weniger sitzt er kerzengerade mir gegenüber auf dem Stuhle, ohne sich anzulehnen: Herr Bärwald ist also nie verheirathet gewesen, denn verheirathete Männer lassen sich meist in diesem Punkte den Damen gegenüber gehen, Herr Bärwald ist Junggeselle.

Diese Gedanken gingen mir im Fluge durch den Kopf; ich überlegte weiter. Will er einen Neffen adoptiren, eine Schwester, Cousine oder verwittwete Schwägerin in’s Haus nehmen? will er heirathen? Herr Bärwald hat sich heute, obwohl es nicht regnet, einen feingeschnitzten Regenschirm gekauft, denn die kleine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_219.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)