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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

und reiste mit dessen Meisterstück nach Washington. Vor dem „Juristischen Comité“ des Congresses entschuldigte sie ihre Petition in einer Rede, der ersten, die sie öffentlich – im Capitol – hielt. Man kann sich denken, welches Aufsehen dieser ungewöhnliche Vorfall machte. Die Galerien waren gedrängt voll. Ob sie wie Demosthenes redete, weiß ich nicht; allein es gelang ihr, einige Senatoren und Congreßleute zu interessiren. Als das Comité ungünstig über die Petition berichtete, sicherte sich Mrs. Woodhull den Beistand einiger einflußreicher Damen in New-York, unter ihnen die schon früher genannte Lady Stanton, Paulina Wright-Davis, Isabelle Beecher-Hooker, Susan B. Anthony und andere eifrige Advocatinnen der Frauenrechte, und deren vereinigtem Einflusse gelang es, einen Minoritätsbericht von der Commission zu erlangen, welcher vom General F. Butler von Massachusetts und dem Richter Loughridge von Iowa unterzeichnet war. Die Unterschrift Butler’s erlangt zu haben, war ein bedeutender Erfolg, denn derselbe ist ein sehr einflußreicher, wenn auch mehr gefürchteter als geachteter Mann, dessen Name im großen Bürgerkriege von den Südländern nur mit Verwünschungen genannt wurde, obwohl er ihnen im Felde als General niemals Schaden that. Wenn daher Mrs. Woodhull daraus große Hoffnung schöpfte, so war sie dazu vollkommen berechtigt.

Fußend auf dem nach ihrer Ansicht in der Verfassung begründeten Stimmrechte der Frauen und um die Aufmerksamkeit der letzteren mehr zu erwecken, kündigte sie sich als Candidat für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten an und schrieb zugleich eine Reihe von Artikeln über Politik und Finanzen, die im „New-York Herald“ erschienen und seitdem unter dem Titel „The Principles of Government“ („Die Grundsätze der Regierung“) in einem Bande erschienen sind. Ich habe die Artikel leider nicht gelesen und kann daher über ihren Werth nicht urtheilen. Da sie indessen eigentlich „Demosthenes“ zum Verfasser haben, der ein mit der Zeit fortgeschrittener Geist zu sein scheint, so können sie wohl nicht ganz verrückt sein.

Die „Victoria League“, eine geheime, gewissermaßen jakobinische Gesellschaft, als deren Präsident Commodore Vanderbilt vermuthet wird, hat die Candidatschaft der Mrs. Woodhull angenommen und sie förmlich als ihren Candidaten anerkannt.

Victoria ist jetzt vierunddreißig Jahre alt, und wenn auch keineswegs schön, so ist sie doch äußerlich eine mehr angenehme als unangenehme Erscheinung. Sie ist von mittlerer Größe, weder zu stark noch zu mager, leicht und elastisch in all’ ihren Bewegungen, wahrscheinlich in Folge ihrer körperlichen Uebungen. Sie kann reiten wie ein Indianer, klettern wie ein Turner, schwimmen, rudern, Billard spielen und tanzen und ist, was sich bei den Amerikanern nicht sehr häufig findet, eine sehr ausdauernde Fußgängerin.

Sieht man ihr Portrait von der linken Seite, so erblickt man ziemlich regelmäßige Linien eines römischen Gesichts; von der andern Seite gesehen erscheinen diese Linien unregelmäßiger. Das Gesicht von vorn gesehen ist ziemlich breit mit vorstehenden Backenknochen und nicht angenehmen Linien an der Nase. Sie hatte sehr volles dunkles Haar; da sie jedoch mit dem Frisiren desselben täglich zu viel Zeit verlor, hat sie es abgeschnitten und trägt es nun wie ein Mann. – Der Ausdruck ihres Gesichts ist ein sehr veränderlicher. Zu Zeiten sieht dasselbe stumpf, gewöhnlich und selbst unangenehm aus, während es manchmal wieder den Ausdruck annimmt, den man an Fanatikern bemerkt. Ich glaube, daß sie die Mimik ziemlich in ihrer Gewalt hat und ihre kurze theatralische Laufbahn nicht ganz ohne Nutzen für sie war. – In der Unterhaltung ist sie anfangs zerstreut und stockend, äußert sich aber fließender, wenn der Gegenstand sie erregt.

Ihre politischen Ansichten sind die eines radicalen Demokraten, und in socialer Hinsicht bekennt sie sich zu ähnlichen Grundsätzen, wie sie von John Stuart Mill[WS 1] und Elisabeth Lady Stanton gelehrt wurden, nämlich zu denen, die man gewöhnlich als die der „freien Liebe“ bezeichnet. Sie hat dieselben erst kürzlich, das heißt vor einigen Monaten, in einer Rede mit wunderbarer Deutlichkeit ausgesprochen, und die deutschen Blätter berichteten darüber mit Empörung. Sie erklärt die Ehe, wenn die beiderseitige Liebe aufhöre, für Prostitution und moralisch aufgelöst, und beansprucht das Recht, neue Verbindungen einzugehen, sobald sie das Herz schließt.

Da unser ganzer Staat auf die Familie, die Ehe, gegründet ist, so liegt es auf der Hand, daß eine radicale Aenderung im Staats- und gesellschaftlichen Leben stattfinden müßte, wenn je die Principien der Mrs. Woodhull zur allgemeinen Geltung kämen. Ich bin selbstverständlich weit entfernt, als ein Advocat dieser Theorien oder der Mrs. Woodhull auftreten zu wollen, die ich, was ihre Person anbetrifft, für einen Erz-Humbug halte, wie ihn eben nur die eigenthümlichen Verhältnisse Amerikas hervorbringen und dulden können; allein diese Theorien enthalten eine Saat, die im Laufe der Zeit ganz gewiß Früchte tragen wird, und insofern sind sie und deren Trägerin der Aufmerksamkeit denkender Menschen wohl würdig.

Obwohl Mrs. Woodhull sich nun stark mit Politik und Finanzwesen befaßt, so ist das nur eine Erweiterung ihrer Thätigkeit; ihr Verkehr mit der Geisterwelt dauert nach ihrer und Oberst Blood’s Behauptung fort. Demosthenes ist immer noch ihr Schutzgeist; allein sie will auch zwei Mal der Erscheinung Christi gewürdigt worden sein, wie das ja auch von unzähligen Heiligen der römischen Kirche in den von derselben bestätigten Legenden und Heiligsprechungsbullen behauptet wird. Zur heiligen Rosa von Lima kam Christus an einem Palmsonntag und verlobte sich mit ihr. Nähte die Heilige, so setzte sich Christus auf ihr Nähkissen und scherzte mit ihr. So steht’s in der Bulle des unfehlbaren Papstes.

Freilich ist Mrs. Woodhull keine Heilige und nicht einmal eine Gläubige; sie leugnet die Göttlichkeit Christi und hält ihn nur für einen Menschen, so hoch sie ihn auch verehrt. In die Kirche geht sie niemals. Wenn sie betet und mit der andern Welt in Verbindung treten will, dann steigt sie, wie schon gesagt, auf das Dach ihres Hauses.

Die Laufbahn dieser jedenfalls merkwürdigen Person ist noch nicht beendet. Die Furchtsameren ihres Geschlechtes selbst unter ihren Anhängern entsetzen sich darüber, daß sie den Muth hat, praktisch auszuführen, was sie lehrt, obwohl Andere behaupten, daß sie, abgesehen von ihrem eigenthümlichen Verhältniß mit Oberst Blood, ein Leben führt, was man gemeinhin ein streng moralisches nennt. Wir wollen diese Verfechterin der Frauenrechte und Prophetin der freien Liebe nicht aus dem Auge verlieren und den Lesern der Gartenlaube darüber berichten, wenn ihre Laufbahn in eine neue Phase tritt.

Corvin.




Cäsar und Stiefel.


Große Hunde zu besitzen, ist bekanntlich jetzt eine immer mehr verbreitete Liebhaberei oder Mode bei den Männern geworden, und zwar eine Mode, gegen die sich weniger einwenden läßt, als gegen die meisten Moden der Damen. Jedenfalls darf es kein Wunder nehmen, daß die Leonberger Hunde, welche von Herrn Essig „erfunden“ worden sind, nun auch in andern Orten als ihrer eigentlichen Heimath wachsen, und einem solchen Seitenzweig wollen wir uns jetzt widmen.

Cäsar und Stiefel, das sind die Namen der beiden Hunde, welche auf dem größeren Bilde und zwar genau in ihrem Größenverhältniß dargestellt sind, und da Gerechtigkeit über Alles geht, so soll die Besprechung ihrer auch das gleiche Verhältniß in Acht nehmen und mit dem Leonberger Cäsar beginnen. Brieflich hatte ich schon vom Besitzer Cäsar’s, dem Fabrikbesitzer H. Bergmann in Waldheim – einem Orte, der bekanntlich seinem Zuchthause eine nicht unbedeutende Berühmtheit verdankt – erfahren, daß Cäsar mit noch vielen andern Hunden den Hof seines Herrn bewohnte, bei einem Besuche von Herrn und Hund in Leipzig wurde später meine Fahrt nach Waldheim verabredet und endlich auch ausgeführt. Denn, wie ein selbst in seinem Ursprungslande, dem Königreich Sachsen, nicht einmal sehr bekanntes Sprüchwort sagt: „Wer Nichts riskirt, kommt nicht nach Waldheim.“ Ich riskirte denn die Fahrt. Welch prächtiger Anblick aber bot sich mir bei meiner Ankunft im Hofe des Herrn Bergmann!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_227.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)