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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

erfuhr, war auch ihr Todesurtheil gesprochen. Ob und welche Kämpfe es gegeben, ob man Bitten, Drohungen oder Ueberredung angewendet, mag dahin gestellt bleiben; genug, die Familie siegte, der Graf trennte sich von seiner Gemahlin und diese erhielt zugleich mit der Nachricht, daß er seine Ehe für nichtig erkläre, das Anerbieten einer Entschädigung, wenn sie freiwillig zurücktrete. Beides kam von der Hand des Prälaten, Graf Ottfried hatte denn doch nicht die Stirn gehabt, sein Weib in solcher Weise zu beschimpfen.“

Benedict schwieg noch immer, nur in seinem Auge glühte es seltsam und unglückverheißend: was er auch empfinden mochte bei diesen Aufschlüssen über das Geschick seiner Mutter, Weichheit war diese Empfindung sicher nicht.

„Ich will Ihnen die ausführliche Beschreibung dessen, was nun folgte, ersparen,“ sagte Günther rascher, denn er mochte wohl fühlen, daß seine Erzählung einer Folter gleichkam. „Die Gräfin vertheidigte vergebens ihr und ihres Sohnes Recht, sie mußte jetzt das Vertrauen büßen, das sie einst in argloser Liebe dem Gatten entgegengetragen. Der Graf und der Prälat siegten, denn sie hatten den Buchstaben des Gesetzes für sich. Die einseitig protestantische Trauung ward nicht anerkannt, die ohne Einwilligung der Familie geschlossene, im Auslande vollzogene Ehe für nichtig erklärt, und der Spruch der Gerichte raubte der Mutter und ihrem Kinde Namen und Ehre. Ihr Bruder hatte bis zum letzten Augenblicke dafür gekämpft, jetzt schlug er das Einzige in die Schanze, was ihm noch übrig blieb, sein Leben. Er forderte den Grafen und dieser stellte sich ihm; aber die Hand des Arztes wußte nur schlecht mit Pistolen umzugehen, er fehlte.“

„Und Graf Rhaneck?“

„Der Graf – schoß den Bruder seines Weibes nieder!“

Es entstand eine Pause, aber Bernhard trat plötzlich auf den jungen Priester zu und legte, wie in erwachender Besorgniß, die Hand auf dessen Arm.

„Wischen Sie den Zug da weg von Ihrer Stirn, Bruno!“ sagte er ernst, „er verheißt immer nur Unglück oder Verbrechen. So, gerade so sah Ihr Vater aus, als Ihr Oheim von seiner Hand fiel. Dem geübten Schützen wäre es ein Leichtes gewesen, den Gegner nur zu verwunden; aber dieser Rhaneck’sche Zug stand auch auf seiner Stirn, und er forderte gebieterisch den Tod Dessen, der ihn öffentlich einen Schurken genannt. Hüten Sie sich vor dieser Ader Ihres Geschlechts; es ist das Einzige, was Sie von ihm ererbt haben, aber Sie kann auch Ihnen zum Verhängniß werden.“

Benedict fuhr langsam mit der Hand über die Stirn. „Fürchten Sie nichts! Sie soll sich gegen dies Geschlecht wenden, so wahr – so wahr ich meine Mutter an ihm zu rächen habe! Es hat auch ihren Tod auf dem Gewissen, nicht?“

„Sie überlebte den doppelten Schlag nicht lange. Das Kind wurde von dem Vater in Anspruch genommen. Er hatte jenem zwar Alles geraubt, worauf ihm die Geburt ein heiliges Recht gegeben; aber ihm ließ man nichtsdestoweniger das Recht, den Knaben seiner Heimath und dem Glauben, in dem er auf Wunsch der Mutter getauft war, zu entreißen, um ihn den Händen seines Bruders zu übergeben und endlich in’s Kloster zu stecken. Die Kirche forderte wohl diese Sühne für jene ‚Vereinigung‘, und die ‚Priesterweihe‘ sollte den letzten Rest des ‚Ketzerblutes‘ tilgen, das es gewagt hatte, sich mit dem Rhaneck’schen zu vermischen.“

„Sie sollen dies Blut kennen lernen! Noch Eins – was Sie mir sagten, ist nicht nur gehört, sondern verbürgt?“

„Ich stehe für jedes Wort ein, das ich gesprochen, wenn es sein muß, mit meinem Schwur.“

„So haben Sie Dank für Ihre Mittheilung. Mein Entschluß war vorher gefaßt, aber Sie nehmen ihm das Schwerste. Das Gefühl der Dankbarkeit machte mich immer noch feig den Beiden gegenüber; jetzt weiß ich, daß der Haß Recht behalten hat, der sich immer und immer in mir gegen sie aufbäumte, weiß, wer hier zu richten hat – ich gehe zum Prälaten.“


(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Als Singlehrer. Es war wenige Tage nach der Schlacht von Rézonville, als wir in einem elenden Dorfe auf der Straße bivouakirten. Das war eine traurige Nacht, vielleicht die traurigste im ganzen Feldzuge. Da lagen die Jungen vom Achtzehnten auf der von Schmutz und Regen überlaufenden Straße, stumm und düster vor sich hinstarrend. Kein Lied, kein Lachen, nicht einmal ein munteres Wort hörte man in der weiten Runde. Stumm hockten sie um die rothglühenden Feuer herum, die mit größter Mühe dem anhaltenden Regen gegenüber ihre Existenz fristeten.

Was fehlte ihnen denn, diesen strammen Burschen? Hatten sie nicht gesiegt? Ja, aber im Magen saß Einer, den ihr Alle kennt, oder nein – nicht kennt, es ist Meister Hunger. Wo ist der Soldat, den ein solcher Angriff nicht stutzig macht oder nicht aus der guten Laune bringt?

Ich lehnte an einem Eckposten, sah ziemlich griesgrämig vor mich hin und dachte – dachte an die so oft verleumdete Bohnensuppe in der Garnison. „Himmel, tausend Franzosen für einen einzigen Löffel voll!“ fluchte ich vor mich hin, als ein schwarzhaariger Franzosenjunge an mir vorüberschlüpfen wollte. „He, Junge, wohin?“

Zitternd stand er still und begann nach einem Augenblicke, fast mit weinerlicher Stimme:

„Allzumal getrunken, allzumal geküßt,
Allzumal ’s Madel an’s Herz fest geschließt (geschlossen).“

Alles brach plötzlich in’s größte Gelächter aus, Alles drängte sich um den Kleinen. Man forderte ihn von allen Seiten auf, weiter zu singen. Doch er schwieg beharrlich. Der arme Junge konnte sonst kein Wort Deutsch. Ich suchte mein bischen Französisch zusammen und examinirte ihn nun. Da erzählte er mir schluchzend, daß ihn ein preußischer Reitersoldat mit blauer Uniform und hohen Stiefeln das Liedchen gelehrt habe, und weil ich ihn so rauh angerufen, wollte er mir doch eine deutsche Antwort geben.

Am andern Tage rückten wir in’s Quartier. Ich und sechszehn Cameraden, wir bekamen eine mit Stroh belegte Stube angewiesen. In dem Hause war Niemand als ein altes, ziemlich boshaftes Mütterchen mit einem etwa vierzehn Jahre alten Mädchen, wahrscheinlich ihrer Enkelin. Mein Erstes, was ich in dem trocknen Quartiere zu thun wußte, war, dem etwas sehr scheuen Mädchen Singstunde zu ertheilen. Ich plagte mich manche liebe Stunde mit dem Dinge herum, bis ich ihm das Verschen:

Bald gras’ ich am Neckar,
Bald gras’ ich am Rhein,
Bald hab’ ich ein Schätzchen,
Bald hab’ ich auch keins –

eingeprägt hatte. Ich sagte ihr, wenn sie das Verschen singe, thue ihr kein Preuße etwas zu Leide.

Am Abend kam die Alte zu mir und bat mich ziemlich umständlich, sie doch auch etwas Deutsch zu lehren, da sie gern einen Soldaten, der sie geärgert habe, bei dem Hauptmann verklagen möchte. Ich lehrte sie nun:

„Ich bin ein altes Weib
Und kann schön tanzen,
Du mit dem Bettelsack,
Ich mit dem Ranzen.“

Kaum hatte sie es gelernt, als sie noch in der Nacht dem Herrn Hauptmann, der in einem Nachbarshause Quartier genommen hatte, auf den Leib rückte.

Der Hauptmann hatte einige Officiere zu sich geladen, die alle auch nicht in der besten Stimmung waren. Da drang die Alte ungestüm und aufgeregt in die Stube und rief, nachdem sie um Gehör gebeten hatte:

„Ich bin ein altes Weib
Und kann schön tanzen,
Du mit dem Bettelsack,
Ich mit dem Ranzen.“

Man denke sich das Gelächter. Doch wäre für mich die Sache am Ende kaum so glatt abgelaufen, wären wir nicht am andern Morgen im Eilmarsche weiter gezogen.

C. F.




Die Deutschen in Valparaiso. Chili’s Hauptseehandelsstadt bebeherbergt Fremde aller Zungen, darunter auch deutsche und französische, und darum schlug selbst bis an das ferne Gestade des stillen Oceans der Krieg der beiden Nationen in Europa seine Sturmwellen. Leider ist auch dort das Bild der französischen „Revanche“ für die Niederlagen daheim ein sehr unerquickliches, aber ebenso wenig erhebend ist die von der deutschen Vertretung geübte Nachgiebigkeit gegen das übermüthige Gebahren der Franzosen. Hören wir, was in einem unterm 8. Januar d. J. von acht deutschen Landsleuten (je zwei Herren Brandt und von der Burg, sowie die Herren Renken, Dancke, Linau und Rademacher) an die Redaction der Gartenlaube gerichteten Schreiben darüber mitgetheilt ist.

Am 11. December 1870 feierte der Chef eines dortigen Handelshauses, Herr Garbe, seine silberne Hochzeit. Zur Verherrlichung des Tages hatten dem Hause befreundete Schiffscapitäne ein Flaggenschiff hinter Herrn Garbe’s Waarenlager gelegt. Da aber am Abend vorher die Nachricht von der Schlacht bei Sedan in Valparaiso angekommen war, so erklärte der Befehlshaber des dort stationirten französischen Kriegsschiffes die deutschen Flaggen für Siegeszeichen und drang bei dem chilenischen Intendanten, dem höchsten Regierungsbeamten der Stadt, auf die sofortige Beseitigung derselben. Von diesem Anspruch wurde eiligst der deutsche Consul in Kenntniß gesetzt, der auch nichts Eiligeres zu thun hatte, als durch seinen Secretär Koch Herrn Garbe die schleunigste Entfernung der Flaggen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 234. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_234.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)