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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

daß bei uns in Nußdorf ein neuer Jagdgehülf’ angestellt worden ist, daß ich ihn aber nicht kenn’ und nicht gesehen hab’, denn als Holzknecht kommt man nicht gern zusamm’ mit den Jägern, geht ihnen lieber aus dem Weg. Auf Das hin hat er mich nimmer ausgelassen, der alte Herr, hab’ ihm fest versprechen müssen, daß ich ihn auf dem Rückweg aufsuch’, und da hat er mir nachher den Brief mitgegeben, hat mir die Zech’ ’zahlt und hat mir viel versprochen, wenn ich Den find’, dem der Brief gehört. Hab’ viel bei uns herinn’ herumgefragt in die Berg’ und gesucht, aber Alles umsonst. Ich will’s gesteh’n,“ fuhr der Flößer-Franzl fort und blinzelte den Jäger pfiffig von der Seite an, „anfangs hab’ ich auf Euch stark Verdacht gehabt – der Bart hätt’ mich nicht irr’ gemacht, den habt Ihr Euch halt steh’n lassen – aber Ihr heißt ja Max Hellmann und nicht Karl Steiner. So ist der Brief alleweil in der Joppen stecken ’blieben, ich hab’ alle Hoffnung schon auf’geben, und wenn ich manchmal einen Pfropfen für meinen Stutzen gebraucht hab’, hab’ ich halt ein Stück ’runtergerissen. So, da habt Ihr jetzt die ganze G’schicht’. Kennt Ihr vielleicht das alte Mannerl, weil Ihr gar so viel Antheil nehmt?“ bemerkte der junge Bursche noch.

„Es ist mein Vater!“ rief der Jäger schmerzlich berührt und legte beide Hände über die Augen.

Tiefe Stille herrschte in dem Stübchen. Keiner der Anwesenden sagte ein Wort, und die Neugierde, die zuerst auf allen Mienen zu lesen war, hatte sich rasch in den Ausdruck aufrichtigen Mitleids verwandelt. Aller Groll und Haß gegen den Jäger war verschwunden, und als er nun die Hände vom Gesichte zog und alle die bestürzten und wahrhaft theilnehmenden Blicke auf sich gerichtet sah, ging auch ihm das Herz auf. Er streckte der Wirths-Resei und dem prächtigen Burschen an seiner Seite herzlich die Hand entgegen und sagte bewegt: „Ich fühle, daß ich hier unter guten Menschen bin, und Ihr sollt meine Geschichte hören.“




5.


„Mein Vater,“ hub der Jäger nach kurzer Pause an, „besitzt in der That bei Passau ein großes Hammerwerk mit Fabrik, und ich denke nur mit Wehmuth an die erste glückliche Zeit meiner Kindheit. Mein Vater war ein rastlos thätiger, braver Mann, meine Mutter die beste liebreichste Frau, und ich genoß mit meinem um ein Jahr jüngern Bruder und einer ältern Schwester eine sorgfältige Erziehung. Wir liebten uns als Geschwister und theilten uns auch gleichmäßig in die Liebe der Eltern, bis ein unglücklicher Vorfall plötzlich das stille Glück und den Frieden in der Familie zerstörte. Durch die Unachtsamkeit eines Dienstmädchens stürzte mein Bruder Konrad aus dem Fenster und nur die aufopferndste sorgsamste Pflege konnte das schwer verletzte Kind am Leben erhalten; aber nur zu bald zeigten sich die traurigen Folgen des Sturzes an einem verkrümmten Rückgrat, das ein Jahr später sich zum vollständigen Höcker ausbildete. Alle Sorge und Liebe der Eltern häufte sich von da an auf das unglückliche Kind, und ich und meine Schwester traten gänzlich in den Hintergrund. Jeder Wunsch des jüngern Bruders mußte uns Befehl sein; wir mußten unser liebstes Spielzeug ihm zur Zerstörung überlassen, uns allen seinen kindischen Einfällen fügen, und es wurde streng geahndet, wenn wir uns dessen einmal weigerten. Die Eltern thaten, was sie ihm an den Augen absahen, und hatten bald nicht mehr den Muth, ihm irgend etwas abzuschlagen. Es konnte nicht fehlen, daß Konrad durch solche übergroße blinde Liebe im höchsten Grade eigenwillig und launenhaft, mit der Zeit aber boshaft, starrsinnig und gegen mich und Marie recht lieblos wurde.

War es bei dem Vater mehr das Mitleid mit dem armen verkrüppelten Knaben, daß er ihn für seine Unarten nicht strafen wollte, so suchte die Mutter durch verdoppelte Zärtlichkeit und übertriebene Nachsicht ihn für die erlittenen Schmerzen zu entschädigen.

Still und fügsam nahm meine Schwester die Strafen hin, die oft nur Konrad für irgend einen schlimmen Streich gebührten, ich aber, von Natur rasch und hitzig, ertrug es nicht so geduldig, wenn ich zum Sündenbock für den verzogenen Liebling gemacht wurde, der bald die ganze Familie nach Herzenslust quälte und tyrannisirte. Die ungerechte Bevorzugung erweckte in meiner Seele Groll und Bitterkeit, ich konnte es nicht ertragen, daß ich nicht mehr den gleichen Platz im Herzen der Eltern einnahm, und nur die sanfte Marie hielt mich schon damals von manchem heftigen Ausbruche den Eltern gegenüber ab. Zuletzt verhärtete sich auch mein Gemüth aus Mangel an Liebe und glücklich pries ich die Zeit, als ich im sechszehnten Jahre von Hause fortkam, um in einer größern Stadt die Handlung zu erlernen. Die Nachrichten, die ich während meiner Abwesenheit vom elterlichen Hause durch Marie empfing, lauteten nicht erfreulich. Das alte traurige Verhältniß verschlimmerte sich aber noch, da wir nach kurzer Krankheit unsere Mutter verloren, die vor ihrem Scheiden dem Vater einzig nur die Sorge um Konrad auf die Seele gebunden hatte. Ich sollte die Wirkung davon bald verspüren. Als ich nach drei Jahren zurückkehrte und voll froher Hoffnung in’s Vaterhaus eilte – ich hatte mich ja so gut gehalten und brachte die besten Zeugnisse mit –, wie schnürte es mir die Brust zusammen bei der kalten gleichgültigen Begrüßung des alternden Vaters! Wie mit eisiger Rinde aber legte es sich um mein warmes Herz, als Konrad mir seine feuchte magere Hand mit heuchlerischem Grinsen entgegenstreckte, denn es konnte mir nicht entgehen, mit welch feindseligen und tückischen Blicken er zu dem gesunden schlankgewachsenen Bruder hinaufschaute. Er war jetzt womöglich noch mehr verwachsen und verkrümmt, hatte sich aber geistig auffallend entwickelt und führte schon seit einem Jahre die sämmtlichen Geschäftsbücher mit musterhafter Pünktlichkeit. Ich selbst kam mir unter den Meinen vor wie ein Eindringling. Ich fühlte mich überall überflüssig und all’ mein Bemühen, das Vertrauen meines Vaters zu gewinnen und das, was ich gelernt, zum Vortheil des Hauses zu verwerthen, war vergebens. Konrad, der inzwischen zu seinen schlimmen Eigenschaften auch noch die der Heuchelei und Lüge gefügt, hatte den schwachen alten Mann ganz gegen mich eingenommen, und während er selbst sich dem Vater immer unentbehrlicher zu machen und seinen Schwächen zu schmeicheln verstand, versäumte er keine Gelegenheit, mich bei ihm anzuschwärzen und alle meine Handlungen in falschem Lichte darzustellen.

Unter solchen Umständen trieb es mich bald wieder fort und leicht war mein Abschied, als ich ein paar Meilen von unserer Besitzung in einer Glashütte einen Comptoirposten erhielt. Mit Eifer und Liebe versah ich zwei Jahre lang mein Berufsgeschäft, und es wurde mir von Seite meines Principals manche Begünstigung zu Theil. Dazu gehörte auch, daß ich mit einem meiner Collegen, an den mich die innigste Freundschaft fesselte, auf die Jagd gehen durfte, denn zu dem großen Hüttenwerk gehörten ausgedehnte Waldungen. Die ersten glücklichen Erfolge machten mich bald zum leidenschaftlichen Jäger. Ich schaffte mir einen guten Hund an, ging nun am liebsten allein auf die Pürsch und war selig, konnte ich herumstreifen in dem großen wildreichen Walde und mich ungestört meinem Lieblingsvergnügen überlassen. Aber ich bin einmal zum Unglück bestimmt, und auch das sollte zu meinem Verderben führen!“ rief der junge Mann schmerzlich aus und es schien, als wollte er jene Vorgänge noch einmal an seinem Geiste vorüberziehen lassen, denn längere Zeit saß er stumm, die Stirn in die Hand gestützt.

Niemand unterbrach das Schweigen, und Jedes wartete um so begieriger auf die Fortsetzung der Erzählung, als ganz sicher ein Jagdabenteuer zu erwarten stand. Der Alte rückte mit seinem Holzblock näher heran, auch der kleine Glaasei streckte seinen struppigen Kopf weiter und neugieriger aus seinem Heulager durch das Loch in der Decke hervor. Der Flößer-Franzl und die Wirths-Resei aber ließen trotz aller gespannten Aufmerksamkeit den günstigen Augenblick nicht vorübergehen, ohne einander fröhlich zuzunicken.

„Jeden freien Tag,“ fuhr der Jäger fort, „benutzte ich zur Jagd, und einmal, es war an einem Feiertag, war ich wieder allein und streifte weiter als sonst in’s Gehölz, ohne zum Schuß zu kommen. Der Abend nahte wieder und ich wollte eben auf eine Lichtung heraustreten, da sehe ich einen prächtigen Sechsender sich dort äßen. Ich hatte den besten Wind, konnte mich aber nicht näher anpürschen. Auf meinen Schuß ging er wohl flüchtig, ich bemerkte jedoch, daß er stark schweißte, setzte sogleich meinen Waldmann auf die Fährte und war gewiß, ihn bald in irgend einem Dickicht wieder zu finden. Weiter und weiter führten mich mein Hund und mein Jagdeifer in den Forst, da schlug mein Waldmann plötzlich an und der Hirsch brach vor mir durch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_318.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)