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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Bedingungen herbeizuführen, d. h. alles vorzeitige Ergrauen zu verhindern und zu heilen. Aber heute ist das nicht möglich. Ich kenne keine Behandlungsmethode, welche das bewirken könnte.

Es fragt sich daher in weiterer Folge: was kann geschehen, um die Unannehmlichkeiten der Erscheinung des vorzeitigen Ergrauens zu verhindern?

Die Praxis ist auf zwei Auswege gekommen: bei beschränkter Ausdehnung des Leidens werden die grauen Haare ausgezogen, bei größerer Verbreitung werden Färbemittel angewendet.

Ist das Ausziehen der grauen Haare nachtheilig? Kaiser Augustus besuchte einmal, wie ein alter Schriftsteller erzählt, seine Tochter in ihrem Boudoir; sie war bei der Toilette und eben im Begriff, sich die ersten grauen Haare mittelst einer kleinen Pincette ausziehen zu lassen; der Kaiser sah einige Momente ruhig zu, dann sagte er kopfschüttelnd: „Möchtest Du lieber kahl sein als grau?“ Zur Beruhigung aller Leidensgefährten jener Dame kann ich versichern: das Urtheil ihres Vaters ist glücklicher Weise nur in sehr beschränktem Maße begründet. Personen, die keine erbliche Anlage zum Ergrauen haben, zeigen oft schon im Anfang der zwanziger Jahre oder selbst noch früher an der Schläfe einige weiße Haare – es ist ganz unschädlich, diese auszuziehen, ihr Nachwuchs ist weiß und die allernächste Umgebung wird ebenfalls weiß, gleichviel ob man die früheren weißen Haare ausgezogen hat oder nicht; es entsteht auch daselbst keine Kahlheit, sondern nur eine geringe Verdünnung des Haares, die gar nicht auffällt und die jedenfalls viel weniger störend ist als das scharf von der Umgebung sich abhebende Weiß. Anders hingegen ist es bei größerer Ausbreitung des Ergrauens: hier wäre es geradezu eine Thorheit, alle grauen Haare ausziehen zu wollen; man müßte bald jedes dritte Haar entfernen, die allgemeine Zerrung der Kopfhaut würde die Bildungsstätte des ganzen Haarwuchses sehr angreifen, die noch vorhandenen dunkeln Haare würden gleichfalls und erheblich früher als sonst weiß werden und zugleich an ihrem Dickendurchmesser bedeutende Einbuße erfahren.

In solchen Fällen kommen die Färbemittel in Frage. Man verwendet als solche entweder pflanzliche Stoffe, welche hauptsächlich durch ihren Gehalt an Tannin (Gerbsäure, Gerbstoff) ein dunkleres Colorit erzeugen, oder metallische Körper (Silbersalpeter, Höllenstein).

Ich werde sehr oft gefragt, ob ich das Färben überhaupt widerrathe oder nicht. Meine principielle Antwort lautet stets: „Färben Sie nicht! Versuchen Sie durch Frische Ihres ganzen körperlichen und geistigen Seins den Eindruck des Grau zu verwischen; beweisen Sie, daß Sie nicht alt sind; beweisen Sie dem Beschauer, daß Ihr Körper elastisch ist und Ihr Gemüth froh bewegt.“ Wo dieser Rath befolgt werden konnte, hat die größere Energie, die größere Fürsorge für die Gesundheit dauernde Jugendlichkeit und frohe Stimmung erhalten; die jungen Männer und Frauen scheuten sich dann nicht, ihre grauen Haare zu zeigen, und war der erste Blick auf dieselben auch überraschend, so machte eine kurze Unterhaltung mit dem ergrauten Haupte einen um so angenehmeren, weil contrastirenden Eindruck. Also, wer es irgend über sich gewinnen kann, der färbe nicht!

Allein ich weiß sehr wohl, das geht nicht immer an. Es giebt Fälle, in denen das Aussehen des Gesichts (besonders der Teint) oder die Gesammtverhältnisse es außerordentlich wünschenswerth erscheinen lassen, daß das Grau verdeckt werde. In diesen Fällen rathe ich zum Färbemittel. Aber man mache sich dann auch von vornherein klar, daß das Färben alle drei bis sechs Wochen erneuert werden muß. Die Anwendung des Tannin oder des Silbersalpeter (Höllenstein) hat keinen ungünstigen Einfluß auf das Gesammtbefinden; der letztere greift die Kopfhaut auch nur dann an, wenn er selbst oder das neben ihm angewendete Waschmittel (in der Regel Ammoniak) zu concentrirt genommen wird, was sich vermeiden läßt. Bleimittel wende man zum Färben nicht an; Jahrhunderte hindurch waren sie hierfür am meisten beliebt, ich widerrathe sie, schon der allgemein verbreiteten Meinung wegen, daß auf diesem Wege Blei in das Innere des Körpers aufgenommen werde und seine nachtheiligen Wirkungen ausübe; die oben genannten Stoffe führen zum Ziele, es bedarf daher eines dritten bedenklichen nicht.

Zum Schluß gebe ich für diejenigen Leser und Leserinnen, welche Zahlen nicht scheuen,[1] eine hierhergehörige Tabelle eines dreitägigen Haarausfalls; die betreffende junge Dame (siebenundzwanzig Jahre alt) leidet seit vier Jahren an vorzeitigem Ergrauen, das sie von ihrem Vater ererbt hat; daneben stelle ich die bereits im früheren Aufsatz ausführlicher gegebene Tabelle ihrer Mutter, einer sechszigjährigen Dame. Die eingeklammerten Zahlen bezeichnen den Procentsatz der betreffenden Hauptzahl.

  A. Dame von 27
Jahren; vorzeitiges
Ergrauen mäßigen
 Grades.
   B. Dame von 60
   Jahren (Mutter der
   Dame A); Ergrauen
   des Haares, bei sonst
   kräftigem Haarwuchs.
1. Gesammtausfall von 3
1. Tagen
 258  451
Darunter zwischen 1–2 Zoll  031 (12)[TAB 1]  038 (8)
Darunter zwi 2–6 Z  083 (32)  153 (34)
Darunter zwüber 6 Z  144 (56)  260 (58)
2. Es hatten unter den Haaren
2. des Gesammtausfalls
1. eine deutliche Spitze
 227 (88)[TAB 2]  205 (45)
Darunter zwischen 1–2 Zoll  030 (97)[TAB 3]  020 (53)
Darunter zwi 2–6 Z  077 (93)  087 (57)
Darunter zwüber 6 Z  120 (83)  098 (38)
3. Der Gesammtausfall
3. enthielt: a) Starke Haare
 160 (62)  207 (46)
Darunter zwischen 1–2 Zoll  00  013 (6)
Darunter zwi 2–6 Z  027 (17)  036 (17)
Darunter zwüber 6 Z  133 (83)  158 (76)
3. b) Mittelstarke  034 (13)  109 (24)
Darunter zwischen ½–2 Zoll  002 (6)  016 (15)
Darunter zwi 2–6 Z  023 (67)  030 (27)
Darunter zwüber 6 Z  009 (27)  063 (58)
3. c) Feine  063 (25)  135 (30)
Darunter zwischen ½–2 Zoll  029 (46)  009 (7)
Darunter zwi 2–6 Z  033 (52)  091 (68)
Darunter zwüber 6 Z  001 (2)  035 (25)
  1. Das heißt 12 % vom Gesammtausfall (258).
  2. D  88 % vom Gesammtausfall (258).
  3. D  97 % von den gesammten Haaren zwischen 1–2 Zoll (31).

Zur Erläuterung dieser Tabelle hebe ich nur folgende Punkte hervor: die Procentverhältnisse der Länge der einzelnen Haare sind bei Mutter und Tochter fast ganz gleich, obwohl bei der Mutter der Gesammtausfall erheblich größer ist; die junge Dame hat das vorzeitige Ergrauen von ihrem Vater ererbt, aber die Gesammtbeschaffenheit des Haares (auch die blonde Farbe) von ihrer Mutter.

Die günstige Einwirkung des jugendlichen Alters auf die Haarbildung zeigt sich in der Erhaltung der deutlichen Spitzen des einzelnen Haares, diese dauert um so länger aus, je kräftiger die ursprüngliche Bildung; in der Jugend haben die Gewebe eine größere Elasticität, im Alter werden sie spröde: bei der jungen Dame hatten 88 % des gesammten Ausfalls ihre Spitzen behalten, bei der älteren nur 45 %, und wählt man zum Vergleich die langen Haare (über 6 Zoll), welche die meiste Gelegenheit hatten, ihre natürliche Beschaffenheit angegriffen zu sehen, so ist die Differenz noch größer; die Zahlen lauten dann 83 und 38.

Ueber die Verhältnisse des Ergrauens giebt folgende kleine Tabelle Auskunft:

  A. Tochter.    B. Mutter.
Summe der Haare mit vollständig
     übersichtlichem Entwickelungsgang   
258 437
a. Ganz weiß 003 (1,2) 138 (31)
Darunter von 1–2 Zoll 002 009
Darunter v 2–6 Z 001 043
Darunterüber 6 Z 00 086
b. Wurzel allein weiß 004 034
Darunter von 2–6 Zoll 00 003
Darunterüber 6 Z 004 031
c. Spitze allein weiß 00 007
d. Andere Verfärbung 00 007

  1. Zu meiner Freude habe ich aus vielfachen Zuschriften ersehen, daß gerade die sonst überschlagenen Zahlen vielen Lesern und Leserinnen meiner früheren Aufsätze sehr erwünscht gewesen sind. Es geben die Zahlen in einem wissenschaftlichen Aufsatze ein Maß, das jeder Leser versteht und das er auch zur eigenen Controle der Angaben des Verfassers benutzen kann.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_376.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)