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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

ausgestatteten Zimmers, das mir fast wie ein kleiner Tempel vorkommen will, und schaut hinaus in die weite herrliche Mosellandschaft, wenn die dunkelblauen Berge im fernen Abendfeuer leuchten und glühen …. die rothen und goldenen Wolken der hier untergehenden Sonne bilden ja zugleich die Aurora der aufgehenden für die andere Hälfte unserer Erde. Den gewöhnlichen Wunsch „Langes Leben!“ können wir der guten verehrten Frau allerdings nicht widmen, weil sie bereits ein so hohes Alter erreicht hat, wie es nur wenig begünstigten Menschen hienieden zu Theil wird – wohl aber ein sanftes Scheiden und – denn …

Das Grab ist nur die dunkle Pforte,
Die in das lichte Jenseits führt –

ein seliges Erwachen.

Metz, September 1872.

Adolf Ebeling.




Brutus.[1]


In den dreißiger Jahren, erzählte meine alte Nachbarin, bewohnten wir in Frankfurt ein altes, aber schönes und besonders stattliches Haus am Main, in der Straße, welche noch jetzt „An der Windmühle“ heißt, obwohl von einer solchen nicht die Spur mehr zu sehen ist. In der Fronte ruhte ein bis zum Dache hinaufgehender Erker auf zwei mächtigen Säulen, zwischen denen sich, in einer tiefen Nische liegend, der Eingang befand. An der hinteren Seite war das Haus durch eine Art von überdachter Brücke mit einem kleinen Hintergebäude verbunden, und Schnörkeleien und Schnitzereien kunstvoller Art bewiesen, daß besonders dieser Theil des Baues noch ein echtes Stück des mittelalterlichen Frankfurts sei. Leider ist das Ganze jetzt abgebrochen und an seine Stelle ein moderner Palast gebaut. Wie dieser, so lag auch das alte Haus mitten im Garten, dessen prächtige Bäume mir damals kaum jünger zu sein schienen als jetzt. Wir waren reich, und da mein Mann sowohl wie ich es liebte, Gäste bei uns zu sehen, so fehlte es kaum jemals an solchen, zumal das weitverzweigte Geschäft die vielseitigste Verbindungen mit sich brachte.

Eines Morgens, es war am 3. April 1833, ließ sich Professor N. aus Würzburg bei mir melden, und nachdem ich mich einige Zeit mit ihm unterhalten hatte, lud ich ihn zu Tische ein, wie das nach der Sitte unseres Hauses selbstverständlich war. Allein N. lehnte ab, weil er in Begleitung eines Collegen gekommen sei, an dessen Gesellschaft er sich gebunden fühle. Da ich nun versicherte, daß es mir ein Vergnügen sein würde, beide Herren bei mir zu sehen, so ward die Einladung angenommen.

Zur bestimmten Zeit erschienen die beiden Gäste, von denen der Eine uns als Professor Schönlein vorgestellt wurde. Es war derselbe, der später als Leibarzt des Königs von Preußen berühmt geworden ist. Damals war er ein noch junger Mann von zwar kräftigem Körperbau, aber ohne die Wohlbeleibtheit der späteren Jahre. Außer den beiden Würzburgern war noch ein Hausfreund, Herr van Oeren, zu Tisch, sonst nur mein Mann und meine zwei Kinder. Aber wir unterhielten uns vortrefflich in diesem kleinen Kreise; B. war ein ausgezeichneter Wirth, die Fremden lebendig und anregend, so daß in Folge dessen die Sitzung sich ungewöhnlich lange hinzog und manche Flasche geleert wurde. Nach Tisch, beim Kaffee, stand ich mit Schönlein eine Weile auf dem Balcon, der sich um den Erker herumzog. Es war Anfang April, die ersten Blüthen sproßten, und ich sprach von dem tiefen Frieden, der über die heitere, sonnige Landschaft ausgebreitet war.

„Ja, Frieden!“ sagte Schönlein, „wer weiß, wann diese Blüthen reifen!“

„Wie meinen Sie, Herr Professor?“

Er antwortete nicht, und sein Auge blitzte ernst über die Stadt hinüber, welche sich links von uns in einem Bogen um das Stromufer hinzog.

Ich schwieg ebenfalls, bis er sich meiner Gegenwart zu erinnern schien. Er fuhr sich durch’s Haar, schaute umher, und wie sein Auge auf mich fiel, frug er lächelnd:

„Haben Sie Muth, Madame?“

„Wie so?“ entgegnete ich, denn ich wußte nicht, was diese Frage, die mir außer allem Zusammenhang schien mit dem, was wir vorhin besprochen, bedeuten sollte.

„Nun – ich meine so! – Haben Sie Muth?“ wiederholte er.

„O – ich glaube! furchtsam bin ich nicht gerade.“

„Das ist gut für allerlei Eventualitäten im Leben.“

„Aber ich verstehe Sie nicht, Herr Professor! was meinen Sie eigentlich?“

„O, ich meine Nichts, aber nehmen wir ein Beispiel. Gesetzt den Fall, es bräche eine Revolution aus.“

„Hier in Frankfurt?“

„Nun – meinetwegen, ja!“

Ich lachte und behauptete: hier sei so Etwas unmöglich.

„Vielleicht haben Sie Recht,“ entgegnete Schönlein, „aber wir nehmen es ja auch nur an. Würden Sie sich fürchten?“

„Nein, ich glaube nicht,“ erwiderte ich, „denn meine conservativen Frankfurter mir als Revolutionäre zu denken – ganz unmöglich!“

Einen Moment erschien es mir, als wolle Schönlein den Mund aufthun, um noch mehr zu sagen, er schaute mich prüfend an, dann aber brach er von dem Thema ab, und in das Zimmer zurücktretend, sprachen wir von gleichgültigen Dingen.

Unsere Gäste wollten an demselben Abend nach Würzburg zurück; sie nahmen also Abschied, und mit ihnen verließ B. das Haus, so daß ich den Abend mit meinen Kindern allein blieb. Mir war das auch recht, denn im Allgemeinen hatten wir die Regel, entweder Mittags Gäste zu haben oder Abends, nicht beide Mal. Nur Herr van Oeren machte hiervon eine Ausnahme, indem er eben nicht als Gast, sondern als zu uns gehörig betrachtet wurde. Ihn erwartete ich mit meinem Manne zum Thee. Meine Kinder schliefen, es herrschte eine wohlthuende Stille um mich her, und ein interessantes Buch nahm mich ganz in Anspruch.

Plötzlich wurde so heftig an der Schelle gerissen, daß ich erschreckt in die Höhe fuhr. Gleich darauf stürzte van Oeren in mein Zimmer.

„Mein Gott, Madame!“ rief er, „hier sitzen Sie in aller Ruhe, und in der Stadt ist heller Aufruhr!“

„Wie? was sagen Sie?“

„Ja, ja! die Constablerwache und die Hauptwache sind gestürmt; das Volk drängt sich auf der Zeil zusammen, und bewaffnete Haufen ziehen durch die Straßen.“

„Mein Gott, wo mag mein Mann sein?“

„Ich weiß es nicht, ich suchte ihn auf seinem Bureau – er war nicht da. Nun eilte ich hierher, weil ich mir dachte, wie ahnungslos Sie hier sitzen – es schien mir nöthig, Sie zu benachrichtigen. Aber nun muß ich wieder fort!“

„Um Gotteswillen, Herr van Oeren! lassen Sie mich nicht so allein!“ bat ich.

„Noch brauchen Sie sich nicht zu fürchten. Ich hörte eben, wie man die zusammengelaufene Menge aufrief, sich der gerechten Sache anzuschließen, aber diese Menge schien mir wenig Lust zu haben – es zündete nicht.“

„So sind der Aufrührer nicht viele?“

„Noch nicht; aber man sprach von tausend Bauern, die in der Richtung von Bonames heranzögen. Man kann immer nicht wissen –“

„Ach, Herr van Oeren –“

„Da läutet es, hören Sie? Vielleicht ist es Sturm. Ich muß fort!“

„Nein, nein! erst müssen Sie mir sagen, was man denn will.“

„Das weiß Gott!“ entgegnete er, die Hand an der Thür. „Ich meinte, wir hätten es lange gut. Ich hörte von den Bundesbeschlüssen von Achtzehnhundertzweiunddreißig sprechen – dagegen empört man sich.“

„Vielleicht hat man Recht.“

„Ja, ja, aber was kann es nützen! Nun, ich werde mich erkundigen, Sie sollen Alles wissen – ich komme jedenfalls wieder. Nur Muth! Adieu! Adieu!“ und fort war er.

  1. Wir bemerken ausdrücklich, daß der Inhalt der obigen Schilderung kein erfundener, sondern ein durchweg wahrer ist.
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_676.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)