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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

von allen Kanzeln der Bamberger und Würzburger Diöcese die Aufmerksamkeit des gläubigen fränkischen Volkes gelenkt wurde. Es war das hundertjährige Jubiläum der Einweihung der berühmtesten und größten Wallfahrtskirche von Franken, der den vierzehn heiligen Nothhelfern geweihten Kirche von Frankenthal, oder wie sie im Munde des Volks kurzweg bezeichnet wird, der Kirche von Vierzehnheiligen.

Aus dem ersten Zuge von Bamberg thalaufwärts waren Hunderte von Menschen, Städter wie Landleute, in Staffelstein ausgestiegen, zu gleicher Zeit war thalabwärts von Lichtenfels und Kulmbach ein Zug angelangt, der ebenso viele Ankömmlinge entlud. Welcher Weg nach Vierzehnheiligen führe, darnach brauchte man an diesem Sonntagsmorgen nicht zu fragen, man durfte nur der Menschenmasse nachgehen, welche sich um das Städtchen Staffelstein herum ameisenartig auf der Straße entfaltete und hinzog und den Pfad bezeichnete, welcher zu einer auf einem grünen Hügelvorsprung liegenden Kirche aufwärts führte. Dieselbe erhebt sich ziemlich frei auf dem sanft abgerundeten Hügelplateau; im Rücken, rechts und links umschirmen sie die bewaldeten Höhenzüge des Jura, der hier an seinem Abfall in die Mainebene weiche Wellenlinien annimmt. Imposant steigt die dunkelgelbe Sandsteinfront aus dem Buschgrün, das die Hügelzugänge bedeckt, empor und zwei schlanke, spitze Thürme ragen hoch in den grau und drohend angehauchten Septemberhimmel auf. Die Straße war von zwei-, dreifachen Menschencolonnen bedeckt, auch von Fuhrwerk, das eine schlimme Passage hatte, denn die ganze Straße voraus bis an den Kirchenhügel hinan war fast ein einziger Wallfahrtszug, der die ganze Breite der Straße einnahm. Mit den im Winde wehenden rothen, grünen, weißen, gemalten und gestickten Kirchenfahnen, mit Lichtern, Gebetbüchern und Rosenkränzen in der Hand, zogen Männer und Weiber, die Letzteren in Mehrzahl, und in der farbenglühenden, malerischen Tracht des katholischen Frankens dahin, unter Anführung eines älteren Mannes, der die Verse laut vorsagte, alle die uralten Wallfahrtslieder singend. Wenn dann, um schneller durchzukommen, die Städter oder die glücklichen Equipagenbesitzer zwischen die frommen Waller sich durchzwängen wollten, dann wurden mitten unter den andächtigen Gesängen laute Schimpfworte, ja selbst Flüche laut, bis die Kühnen von ihrem Streben abließen und dann die Scheltreden und Fluchworte der frommen Wallfahrer wieder in heiligen Gesängen fortgesetzt wurden. An der Straße standen Bäume und Kreuze, diese mit dem gekreuzigten Heiland, jene mit hölzernen Tafeln bedeckt, welche in etwas unvollkommener Malkunst die Erscheinung des Christuskindes zwischen zwei brennenden Kerzen und in der Umgebung von gleichfalls nackten Kindlein darstellten. Um diese Stätten der religiösen Verehrung lagen Landleute in dichten Gruppen, sie bedeckten weit und breit die Felder und Wiesen, sie versperrten die Straße, die Einen knieeten im Gebete vor den Gnadenbildern, die Andern erfrischten sich aus den mitgebrachten Eß- und Trinkvorräthen und nur Schritt für Schritt kam man vorwärts die Anhöhe zur Kirche hinan. Ein Blick in das Thal war ein Schauen auf eines der herrlichsten Stücke deutscher Erde und zeigte von der Straße, die rechts von Lichtenfels heraufführte, dieselben Menschenmassen – dasselbe Bild – die farbigen Kirchenfahnen, die weißen Chorhemden der Priester, die rothen Röcke und Kopftücher der Frauen, die brennenden Kerzen – und so kam es im bunten Menschenknäuel weiter diesseit und jenseit des Maines von den Bergen weit in der Runde und aus den Thälern und Gründen zugeströmt – es waren Tausende und Tausende,

„Als ob die Menschheit auf der Wand’rung wäre.“

Von unten herauf ertönten die Gesänge, schmetterten die Trompeten, von den Thürmen von Vierzehnheiligen herab läuteten die Glocken und die Nachbarkirchen von Staffelstein und Lichtenfels und zuletzt noch die Glocken von dem gegenüberliegenden Banz stimmten ein und von dem Mainthale herauf gellte der schrille Laut der Locomotive wie ein Spottruf dazwischen.

Die berühmte Wallfahrtskirche liegt von allen Seiten frei, nur wenige Häuser sind in der Nähe; der Façade gegenüber rechts und links zwei große Wirthshäuser, die bei einem Wallfahrtsort nie fehlen dürfen. Rechts und links der Seitenschiffe stehen hölzerne Arcaden, an welche Krambuden angebaut sind, und entsprechend der architektonischen Linie des Chors erhebt sich hinter demselben in einem Halbkreise ein zweistöckiges Gebäude, in dem Schnörkelstile des vorigen Jahrhunderts erbaut, die sogenannte Probstei. Dasselbe trägt über der Thür ein kolossales in Stein gehauenes Wappen, das des ehedem in der Nähe gelegenen, seit 1803 säcularisirten Cistercienserklosters Langheim, einst des reichsten in der ganzen Umgegend. Früher war dieses Haus das Absteigequartier der geistlichen Herren von Langheim; nun wohnen der Superior, vier Patres und sechs Fratres des Ordens vom heiligen Franciscus darin, denen die Seelsorge für die Kirche übergeben ist.

An der Stelle der jetzigen Kirche stand vormals ein einsamer Meierhof, welcher ebenfalls dem Kloster Langheim gehörte. Die Mönche unterhielten dort eine große Schäferei. Zu einer Zeit, wo die Heiligenverehrung in Deutschland ihren Höhepunkt erreicht hatte, vielleicht hundert Jahre bevor der kühne Augustinermönch mit seinen Thesen den Donnerkeil in dieses verwerfliche Treiben hineingeworfen, vernahm eines Abends am Quatemberfreitage im September ein junger Klosterschäfer, Namens Hermann Leicht, als er eben seine Herde nach Hause treiben wollte, die Stimme eines weinenden Kindes. Er sah sich um, erblickte auch wirklich ein kleines nacktes Kind auf dem Acker sitzen, das aber in demselben Momente verschwunden war. Als er auf seinem Heimwege nochmals den Blick nach jener Stelle zurückwandte, sah er es wieder zwischen zwei brennenden Kerzen sitzen, aber als er sich nähern wollte, sah er die Stelle leer und weder das Kind noch die brennenden Lichter. Im Kloster erzählte er einem Mönche von dieser gar seltsamen Erscheinung, und dieser rieth ihm, falls dieselbe sich wiederholen sollte, stracks auf sie loszugehen und sie getrost anzusprechen. Am Vorabend des Festes Peter und Paul sah derselbe Schäfer die ihm bekannte Stelle und deren Umgebung von einem himmlischen Glanze erfüllt, auch das Kind wieder, aber diesmal war es nicht allein, sondern von vierzehn andern Kindern umgeben. Muthig näherte sich ihm der Klosterhirt, wie ihm geheißen worden, mit der Frage, was seines Begehrs sei. Da antwortete mit feiner Stimme das Kind: „Ich bin das Christkind und diese hier sind die vierzehn heiligen Nothhelfer. Wir begehren hier eine Capelle zur Ruhe. Sei Du unser Diener, so wollen wir auch Deine Diener sein.“ Darauf waren die fünfzehn Erscheinungen weg – in die Wolken entrückt.

Auch noch eine vierte Erscheinung hatte „der gottbegnadete Jüngling“: Am Sonntag darauf sah er an derselben Stelle zwei brennende Kerzen aus dem Himmel niederfallen und nicht er allein, sondern auch ein anderer, allerdings sehr glaubwürdiger Zeuge, nämlich eine alte Frau, wollte dieses neue Wunder geschaut haben. Getreulich stattete er von jeder neuen Erscheinung den Herren im Kloster Langheim Bericht ab; aber diese sträubten sich anfangs lange, den Worten des Hirten Glauben zu schenken, indem sie die Erscheinungen für Wirkungen seiner erregten Phantasie etc. hielten. Vielleicht handelten sie schlangenklug nur nach dem Grundsatze, daß man Das, was man im Geheimen bezwecken und erreichen will, öffentlich bekämpfen und in Abrede stellen muß. Schließlich geschahen aber an der Stelle im Laufe der Zeit so viele Wunder und das durch die Verbreitung derselben erregte Volk verlangte so dringend nach einer Capelle, daß sie sich diesen Forderungen nicht länger entziehen konnten und ein Kirchlein auf der Hügelkuppe von Frankenthal erbauten, an derselben Stelle, wo die Erscheinungen wahrgenommen worden waren. Diese erste Capelle wurde von dem urkatholischen Vorfahren einer jetzt streng protestantischen Familie, von dem Bamberger Fürstbischof Anton von Rotenhan am Georgitage 1448 „zur Ehre der allerseligsten Jungfrau und der vierzehn heiligen Nothhelfer“ geweiht.

An den übrigen zahlreichen Wallfahrtsorten wurde nur je ein Heiliger verehrt, hier aber konnte man gleich eine Gesammtandacht für vierzehn Heilige verrichten, und Jedem und Jeder derselben wohnt eine besondere Kraft inne. Sanct Georg besiegt die Glaubenszweifel, bewahrt die Thiere vor Seuchen und beschützt auch die Sitten. Blasius hilft bei Halsleiden, Erasmus bei Unterleibsbeschwerden, Pantaleon wird als Patron der Aerzte und der Kranken angerufen, Vitus protegirt die Jugend und die Mönche. Christophorus errettet von Wasser, Feuer und Pest, und ebenso ist Jedem der übrigen Heiligen, Dionysius, Cyriacus, Achatius, Eustachius und dem heiligen Abt Aegidius, in dieser Rangordnung sein besonderes Departement menschlicher Unzulänglichkeit und Leiden zugewiesen. Die heilige Margaretha ist Helferin der Wöchnerinnen und Barbara Patronin in Sterbensnöthen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_682.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)