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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

von Colloredo-Mansfeld von Seiten des Fürsten von Löwenstein, und der Graf von Saer auf der meinigen, versuchten, besonders der Erstere, die Sache auszugleichen; es gelang ihnen endlich uns zu versöhnen. Da der Fürst von Löwenstein genöthigt war, sich sogleich nach München zu begeben, so wünschte er, daß ich ihm dahin folge, um allen zweideutigen Gerüchten zum Nachtheil des Einen sowohl als des Anderen auszuweichen, welche die plötzliche Abreise von Einem allein hätte veranlassen können, und da es übrigens mein Weg war, um nach Frankreich zu gehen, so zögerte ich nicht, es ihm zu versprechen; jedoch ich wurde in Wien durch unvorhergesehene Hindernisse von einer Woche zur anderen zurückgehalten. Deshalb geschah es, daß der Graf Ferdinand von Colloredo, ohne die geringste Herausforderung von meiner Seite, als er mir an einem öffentlichen Orte allein begegnete, während er von zwei seiner Freunde begleitet war, sich erlaubte die niedrigsten und beleidigendsten Aeußerungen gegen mich zu thun. Obgleich ich eine so gemeine Sprache durchaus nicht gewohnt war, so suchte ich doch dem Herrn von Colloredo in Ausdrücken, die den seinigen ziemlich gemäß waren, zu antworten, und den anderen Morgen ließ ich ihm ankündigen, daß ich von ihm die Genugthuung verlangte, die ein Mann von Ehre in solchem Falle schuldig ist. Wie sehr aber hatte ich mich geirrt, indem ich den Grafen von Colloredo für einen solchen ansah! Er antwortete mir, daß er mir gar keine Genugthuung geben könne, bis ich meine vorhergegangene Sache mit dem Fürsten von Löwenstein erledigt habe; da er aber selbst fühlte, wie albern dieser Vorwand war, da er selbst als Secundant des Fürsten dazu beigetragen hatte, daß wir uns versöhnten, so setzte er hinzu, der Fürst von Löwenstein habe ihm mehrmals geschrieben, er habe außerordentlich bedauert, sich mit mir versöhnt zu haben, indem er meinen Bitten nachgegeben, aber daß er dennoch die Sache nicht für beendet ansehe.

Durch eine so gehässige Verleumdung außer mir gerathend, zögerte ich nicht mehr, dem Grafen von Colloredo öffentlich den für solche Gelegenheit einzig passenden Titel zu geben, und da er seine Abneigung gegen die Waffen nicht überwinden konnte, so beschloß ich andere Argumente anzuwenden. Unterdessen sagte man mir, daß er nach seinen Gütern abreise; ich folgte ihm sogleich zu Pferde, und erreichte ihn in der Vorstadt von Mariahilf; er befand sich in seinem Wagen, escortirt von zwei Freunden; ich redete ihn an, indem ich ihn fragte, ob er sich einbilde, abzureisen, ohne mein gerechtes Verlangen befriedigt zu haben, aber als ich sah, daß er auf seiner Verneinung bestand, ließ ich ihn meine Replik auf seinen Schultern fühlen. Wüthend sich so behandelt zu sehen, ließ er seinen Wagen halten, und nachdem er tausend Beleidigungen über mich ausgeschüttet, nahm er endlich den Ausweg seinen Weg fortzusetzen, indem er zugleich erklärte, daß ich ihn niemals dahin bringen würde, meine Herausforderung anzunehmen. Ich wartete noch einige Tage in Wien, um zu sehen, was sein Muth ihm vorschreiben würde, aber umsonst – ich reiste also nach Augsburg ab, in der Absicht, vom Fürsten Löwenstein mir Aufklärung zu verschaffen, der sehr erstaunt über Alles, was er vernahm, nicht verfehlte, obgleich er sehr befreundet mit Herrn von Colloredo ist, mir sogleich die folgende Erklärung zu geben, von der ich das Original besitze und von der ich die Uebersetzung gebe:

‚Auf Verlangen des Herrn Grafen Hermann von Pückler bezeuge ich durch dieses von mir eigenhändig geschriebene Blatt, daß er mich aufgesucht hat, um sich mit mir auf Pistolen zu schießen, infolge in Wien vorgefallener Gespräche, die glauben machen wollten, als wenn ich unsere alte Streitsache für mich noch nicht für ganz beendigt ansehe. Ich erkläre ihm, daß ich diesen Augenblick außer Stande bin, da ich in der Festung gefangen und mich dem Commandanten gegenüber auf mein Ehrenwort verpflichtet habe, während meiner Gefangenschaft keinen Zweikampf anzunehmen. Sobald diese Hindernisse gehoben sind, werde ich immer dem Herrn Grafen von Pückler zu Diensten stehen, wenn er darauf beharrt, aber ich erkläre nichtsdestoweniger, daß ich, was mich betrifft, jenen Streit für gänzlich beendet ansehe, da er seiner Zeit von unseren Secundanten nach allen Gesetzen der Ehre beigelegt und dies anerkannt worden, so daß es die Pflicht der Secundanten ist, jede nachtheilige Erzählung in Betreff dieser Sache zurückzuweisen.

Unterzeichnet: Constantin, Fürst von Löwenstein-Wertheim.

Augsburg, den 23. September 1807.‘

Man hätte glauben sollen, der Graf Colloredo würde, indem er ein solches Dementi von seinem Freunde erhielt und sah, daß sein Vorwand gänzlich entkräftet war, sich nun beeilen, durch ein edleres Benehmen die Schande des vorhergehenden auszulöschen – jedoch konnte ich während drei Monaten keine Antwort auf die vielen Briefe von ihm erlangen, welche ich die Delicatesse hatte, über diesen Gegenstand nach Wien zu schreiben.

Erst gestern endlich erhielt ich in München einen Brief des Herrn von Colloredo, der seines Schreibers würdig war, und dessen frecher Inhalt mich gezwungen hat, nicht mehr die geringste Schonung für einen solchen Menschen zu haben. Sein wunderliches Schreiben ist nichts als ein Gewebe von Beleidigungen und unverschämten Lügen. Unter Anderem erröthet er nicht zu behaupten, daß ich dem Grafen von Colloredo und dem Grafen von Saer[1] mein Wort gegeben hätte, Wien in vierundzwanzig Stunden zu verlassen!! Eine Behauptung, die in der That Denjenigen zu albern erscheinen muß, die mich kennen, als daß ich es nöthig finde, sie zu beantworten. Er endet damit, auf’s Neue zu erklären, daß nichts in der Welt ihn dazu bewegen könne, sich mit mir zu schlagen, daß er meine Polissonnerien, wie er komischer Weise den Peitschenhieb nennt, den er mich zwang ihm zu geben, nur verachte, und um so mehr, da er, unversehens von hinten angegriffen, die Beleidigung nur im Rücken empfangen habe. Obgleich es unmöglich ist, einen solchen Feind von einer andern Seite anzugreifen, so glaube ich doch, daß, da ich ihn erst schlug, nachdem ich seine Antwort hatte, man mir nicht vorwerfen kann, ihn unversehens oder als Verräther, wie er sich ausdrückt, angegriffen zu haben. Uebrigens ist der Graf von Colloredo, der, wie es scheint, sich vorstellt, daß ein Peitschenhieb nur von Bedeutung ist, wenn er dem Gesicht applicirt wird, das vollkommene Seitenstück des Gascogners, der, als er sich in demselben Falle befand, seinem Freunde, der ihn zur Rache aufforderte, erwiderte: ‚Mein Lieber, man sieht, daß Du den wahren Muth nicht kennst; ich habe mir das Gesetz gemacht, mich nie um etwas zu bekümmern, das hinter mir vorgeht.‘

München, den 26. December 1807.

Hermann, Graf von Pückler.“ 

Hatte ich nicht Recht zu sagen, die Begebenheit sei einzig in ihrer Art? So unangenehm sie immer für den Graf Pückler bleibt, so glaube ich doch, daß man sein Benehmen dabei diesmal billigen muß. Sonderbar ist es allerdings, daß beständig nur ihm dergleichen Dinge begegnen. Der Grund aber liegt in seinem seltsamen Charakter, der dem Menschenbeobachter, welchem kein Gegenstand, der ihn in der Kenntniß des menschlichen Herzens weiter bringen kann, zu gering scheint, manche merkwürdige Eigenheit darbietet! Ich wenigstens muß gestehen, daß die durch öftere Nachahmung verkrüppelte, durch Erziehung und Umstände irre geleitete und mit sich selbst in Widerspruch gebrachte Originalität dieses Menschen mich immer lebhaft interessirt hat. Oft konnte ich in einem Tage die Wirkungen der entgegengesetztesten Eigenschaften an ihm bemerken; bald hitzig, bald phlegmatisch, hörte ich von ihm Aeußerungen des verdorbensten Charakters, und sah Züge eines edlen Herzens, Wallungen der Weisheit und der reinsten Natürlichkeit, die den Augenblick darauf der geschmacklosesten Unnatur und den Handlungen des größten Thoren Platz machten. Wie Frau von Genlis vom Ritter Olgier sagt, fand ich ihn immer zur warmen Verehrung der Tugend gestimmt, aber das Laster gefiel und besiegte ihn, wenn es seine Verdrehung unter einer originellen geistvollen Form verbarg.

Stets muthig gegen seines Gleichen, oft tollkühn in einzelnen Wagestücken, habe ich ihn zuweilen furchtsam gegen Geringere gesehen, wo er sich kaum mit Anstand tant bien que mal aus der Affaire zog; er selbst gestand diesen Umstand, indem er hinzusetzte, „daß er nicht gewiß sei, die Kraft zu haben, einen wehrlosen Menschen mit kaltem Blute, blos weil es das Phantom der conventionellen Ehre heische, todt zu stechen, wenn er sich auch selbst entehrender Schimpfwörter gegen ihn bedienen sollte; um daher diesen äußersten Fall zu vermeiden, leide er lieber geduldig, daß ein solcher Mensch die schuldige Achtung gegen ihn etwas aus den Augen setze, und ziehe sich zurück, ehe

  1. Weit davon entfernt, das Zeugniß des Grafen von Saer, meines Freundes und Landsmannes, zu fürchten, appellire ich im Gegentheil öffentlich an ihn, damit er bestätige, daß Alles, was ich berichte, mit der strengsten Wahrheit übereinstimmt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_694.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)