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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

er es so weit kommen lasse, sich auf der letzten Alternative zu befinden, besonders wenn er Unrecht habe, wie denn wohl gewöhnlich der Fall sein müsse, sobald ein Geringer den Höhern zu beleidigen wagte.“ Ohngeachtet dieses scheinbaren Gefühls von Billigkeit weiß ich, daß er oft nach vollkommen entgegengesetzten Principien gehandelt hat, und in der Stimmung das Leben eines Menschen nicht sehr hoch angeschlagen haben würde, aber wie gesagt, dieser junge Mann hängt gänzlich vom Augenblick ab; das letzte Buch, das er liest, die letzte Unterredung, die letzte Begebenheit, vielleicht nur der Gewinnst oder Verlust im Spiel, macht ihn muthig oder furchtsam, hart oder mild, klug oder dumm.

Diese außerordentliche, von jedem fremden Eindruck beherrschte Weichlichkeit des Geistes und Körpers ist sein charakteristischer und sein Hauptfehler; er ist daher keiner anhaltenden Unternehmung fähig, obgleich er bald diese, bald jene mit der größten Leidenschaft ergreift, aber immer halb vollendet liegen läßt, um einer neuen Caprice nachzujagen; er wünscht beständig, sobald er aber seinen Wunsch erreicht hat, scheint ihm die Sache nicht mehr wünschenswerth.

Ein zweiter Fehler, oder vielmehr eine beklagenswerthe Disposition, die ihn selbst sehr unglücklich und für Andere langweilig macht, ist der unaufhörliche Widerspruch, den auf der einen Seite eine weitgetriebene Eitelkeit, und auf der andern noch weiter getriebenes Mißtrauen zu sich selbst in seinem unruhigen Gemüth erregt. Dies ist die Ursache, daß er selten etwas à propos sagt oder thut; er war zum Beispiel, da ich ihn noch genauer kannte, ebenso liederlich als schwärmerisch, aber beide Eigenschaften wurden stets verkehrt angebracht; so lange er auf der Schule und Universität war, machten ihm die Wissenschaften Langeweile, als er aber Officier wurde, fing er an zu studiren, lernte aber von seinem Fach nie mehr, als höchstens nöthig ist, um auf die Wache ziehen zu können; jetzt ist er auf Reisen gegangen und hat damit angefangen, sich anderthalb Jahre in Wien niederzulassen. Es fehlt ihm nicht an Verstand, aber er zeigt ihn gewiß nur da, wo es besser wäre, ihn zurückzuhalten, ist er aber nöthig, so verliert er ihn durch das Mißtrauen in seine eigenen Kräfte, welches der entscheidende Augenblick meistentheils in ihm zu erwecken pflegt. Er ist satirisch und greift gern an, oft nicht ohne Erfolg, erhält er aber eine treffende Antwort, so vergeht ihm gewöhnlich die Sprache und erst nach einer Viertelstunde fällt ihm ein, was er hätte erwidern sollen; er hat, um mich mit dem Abbé Voisenon auszudrücken, ein Schwert zum Angreifen, aber keinen Schild zur Vertheidigung.

Man kann sich denken, wie schmerzhaft solche Scenen für seine Eitelkeit sein müssen, die jede Rolle unnütz und nicht der Mühe werth hält, die nicht unter die ersten gehört, während sein Mißtrauen die daraus entstehende Blödigkeit und die wenige Lebhaftigkeit seines Verstandes, die seltsam mit der Leidenschaftlichkeit seines Temperaments und seines übrigen Charakters contrastirt, ihn oft unter den letzten zurückläßt. So ziehen ihn Menschen von großer Liebenswürdigkeit im Umgang durch eben jene Eigenschaften, die ihm fehlen, ebenso sehr an, als sie ihm imponiren, obgleich er ihnen vielleicht an wahrem Verstande nicht weit nachsteht; in der Unterhaltung mit ihnen scheint ihm Alles, was sie äußern, so vortrefflich, und Alles, was er selbst beitragen könnte, so unwürdig, neben dem ihrigen zu figuriren, daß er, aus Furcht etwas Unbedeutendes zu sagen, lieber gar nichts sagt, und weil er sich nicht traut, so viel auf die Anderen Achtung giebt, daß er darüber sich selbst vergißt, und am Ende keiner zusammenhängenden Gedanken mehr fähig ist. Daher kommt es, daß solche Leute ihn oft weniger vortheilhaft beurtheilen, als er verdient, denn au bout du compte mögen unsere Pedanten der Jugend noch so sehr das Schweigen anrathen, ein junger Mensch, der dasitzt, ohne den Mund aufzuthun, wird immer wenigstens für sehr untergeordnet gehalten werden; Leute, die er zu übersehen glaubt, bringen aus verschiedenen Gründen oft dieselbe Wirkung auf ihn hervor, nämlich, daß er ebenfalls schweigt, weil er mehr beim einsamen Nachdenken als im Gespräch mit ihnen zu gewinnen glaubt, welches ihm Langeweile verursacht. Er muß sehr bekannt sein, um ganz unbefangen zu sprechen, und es giebt viele Menschen, mit denen er nie aus den Grenzen des Fremdseins heraustreten kann, und denen er folglich nie in seiner wahren Natürlichkeit erscheinen wird. Alle diese Gründe vereinigen sich, ihm die Gesellschaft überhaupt größtentheils zuwider und langweilig, und die gewöhnlichen Unterredungen derselben unerträglich zu machen, weil er sich zum Reden verbunden fühlt, ohne hoffen zu können, weder selbst etwas Interessantes zu sagen, noch irgend einen Nutzen oder Vergnügen aus dem ebenso eitlen Geschwätz der Anderen zu ziehen, und überdies gewiß ist, sich nicht nur unvortheilhafter, sondern wirklich anders zu zeigen, als er ist. Alles dieses leidet jedoch oft Ausnahmen, deren Grund man in den natürlichen Gegensätzen seines Charakters suchen muß.

Ich habe ihm gerathen zu schreiben; seine Briefe fand ich in der That seiner Unterhaltung vorzuziehen, und da ihm beim Schreiben, außer daß er keinen Nebenbuhler vor sich sieht, der ihn incommodirt, die Langsamkeit seiner Ideen kein Hinderniß entgegenstellt, so kann er wenigstens die geringen Eigenschaften, die er besitzt, frei machen, und ob er gleich der Welt kein Licht aufstecken wird, doch in dem Gefallen, das er an sich selbst findet, so lange seiner Eitelkeit schmeicheln, bis etwa ein Recensent sich die Mühe nimmt, ihn aus seinem geträumten Kartenpalast herauszuziehen.

Seit einiger Zeit pikirt er sich, Philosoph zu sein, und ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er wirklich damit angefangen hat, sich selbst zu bessern, wiewohl, aufrichtig gesagt, bis jetzt noch mit ziemlich schwachem Erfolg. Da er indeß die Tugend als die höchste sittliche Schönheit, die man um ihrer selbst willen lieben muß, wahrhaft anerkannt zu haben scheint, und wenigstens sie zu erreichen strebt, da er zur Kunst und den Wissenschaften mehr Liebe trägt als je, so ist es wohl noch möglich, daß, wenn er auf diesem Wege bleibt, er einst, von der Welt zurückgezogen, in der Gesellschaft einiger ausgesuchten gebildeten Freunde die ruhige Zufriedenheit findet, die ihn bis jetzt so weit geflohen hat.

Doch es ist Zeit, daß wir auf unser Thema zurückkommen, den Graf Pückler, der uns lange genug ennuyirt hat, seinem Schicksale überlassen, und die Sehenswürdigkeiten der Residenzstadt München in Augenschein nehmen.




 Meinem Erich![1]

Du kamst nach schmerzensbanger Nacht,
Der Tag ob Deiner Wiege graute,
Wie hat das Vaterherz gelacht,
Als den ersehnten Sohn er schaute; –
     Und nun nach langer Todesqual,
     Nach schlummerloser Nächte Pein
     Schlief bei dem ersten Morgenstrahl
     Mein liebes Kind für immer ein.

Es war ein kurzer, schöner Tag,
An Freuden reich und süßen Sorgen,
Der wie im Frührothschimmer lag
Hell zwischen jenen beiden Morgen:
     Des Lebens Ziel erschien mir klar,
     Leicht ward und fröhlich mein Gemüth,
     Das Glück der eig’nen Kindheit war
     In meinem Kind mir neu erblüht.

Nach schweren Müh’n auf ihn ein Blick,
Und neu belebt war Muth und Hoffen,
Was mir versagte das Geschick,
Für meinen Sohn lag Alles offen;
     Und wenn mein müder Arm erschlafft,
     Im Alter mir das Haupt ergraut,
     Ich hätte seiner frischen Kraft
     Mein Werk voll Zuversicht vertraut.

Vorbei – vorbei – der Traum verging,
Er war zu schön, um lang zu währen,
Und wie ich lachend Dich empfing,
Heut’ lass’ ich Dich mit blut’gen Zähren;
     Doch Dein verklärtes Antlitz scheint
     Ein Bild der sel’gen Himmelsruh’,
     Beim Kommen hattest Du geweint,
     Im Scheiden lächelst friedlich Du!

 Albert Traeger.

  1. Den „Dichter der Gartenlaube“ hat vor Kurzem ein großes Herzeleid getroffen, indem ihm unerwartet sein einziger Sohn durch den Tod entrissen wurde. In der Nacht vor dem Begräbnisse dichtete er obiges Lied, das er ursprünglich nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt hatte.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_695.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2021)