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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

bis zum sonoren Basse vertreten sind, lehrt die oberflächlichste Beobachtung, und Jedem ist es wohl schon begegnet, daß er durch die unerwartete Contraaltarie einer Hummel – ihren schmerzhaften Stich fürchtend – von seinem Ruheplatze verscheucht, oder durch das plötzlich intonirte Baßsolo einer großen Brummfliege, die sich in’s Zimmer verirrte, in der Arbeit gestört wurde.

Wichtiger ist, daß die meisten der fliegenden Insecten auch durch ihren Flügelschlag einen Ton zu erzeugen vermögen, der in der Regel von ihrem Stimmtone verschieden ist.

Wirkliche Stimmapparate sind eine gewöhnliche Erscheinung in der Ordnung der Fliegen (Zweiflügler), und zwar ist in den Luftlöchern (an denen die Luftröhren entspringen, durch welche sie athmen) ein bei den verschiedenen Familien dieser Ordnung verschieden gestaltetes Häutchen ausgespannt, welches bei lebhafter Athmung in’s Tönen geräth.

Bei den Stubenfliegen läßt die Stimme (nach Landois) die Töne h, e, b der sogenannten kleinen Octave hören, während der Flugton g ist. Bei den großen Brummfliegen bewegt sich die Stimme durch die Töne e, d, dis, cis, h und b; die Flügeltöne sind e und f. Die gemeinen Mücken geben, wenn sie an heiteren Abenden in den bekannten Schwärmen sich erlustigen, den Ton d1 oder e1, welcher zugleich als Lockton dient.

Bei sehr kleinen Fliegen und Mücken nimmt man keine Stimme wahr, obwohl man bei der Section ganz gleiche Stimmapparate vorfindet, als bei den größeren. Da unser Ohr bekanntlich nur für die Wahrnehmung einer begrenzten, wenn auch sehr umfangreichen Reihe von Tönen eingerichtet ist, so folgt hieraus, daß die Stimmtöne dieser kleinen Insecten wahrscheinlich zu hoch sind (das heißt von zu schnellen Schwingungen erzeugt werden), um unsere Hör-Nervenfasern noch zu erregen.

Die Immen (Hautflügler), zu denen die verschiedenen Bienen- und Wespenarten gehören, haben ebenfalls wirkliche Stimmorgane. Der Stimmton der Mooshummel ist h, ihr Flugton a. Die Stimme der Honigbiene hat die Töne a2, h2 und c3, während ihre Flugtöne gis2 und a2 sind. Noch höher ist die Stimme der Blüthenbiene, welche f3, als Flügelton aber nur a1 und g1 hat. Auch bei den Zirpen, welche in die Ordnung der Schnabelinsecten gehören, findet sich ein wirklicher, am Grunde des Hinterleibes angebrachter Stimmapparat, aber nur bei den Männchen. Die meisten Arten sind in Südeuropa heimisch, wo sie gewöhnlich auf Eschen leben. Die etwa einen Zoll lange Singzirpe oder Cicade war wegen ihrer weittönenden Stimme, die sie namentlich des Abends erklingen läßt, schon im Alterthume bekannt und beliebt.

Bei den Käfern nimmt man sowohl Ton und Stimme, als auch bloße Geräusche wahr. So hat z. B. der Maikäfer einen wirklichen Stimmapparat; man findet im Luftröhrenverschluß eine Zunge aufgehängt, welche beim Athmen durch die Luft in Schwingungen versetzt werden kann.

Bei den Uebrigen finden sich meist Apparate, welche, wie unsere Streichinstrumente, durch Reibung zum Tönen gebracht werden. So erzeugt z. B. der bekannte Bockkäfer (Holzbock) seinen halb zirpenden, halb schnarrenden Ton (besonders wenn er bei den langen Fühlern ergriffen wird), indem er den Kopf auf und ab bewegt und dadurch eine an der Vorderbrust befindliche scharfe Randkante an der Reibleiste des darunter liegenden Fortsatzes der Mittelbrust reibt. Bei vielen kleinen Bockkäfern gewahrt man, wenn sie ergriffen werden, ganz dieselben Bewegungen, ohne daß man einen Laut hört. Da die mikroskopische Untersuchung bei diesen denselben Tonapparat erkennen läßt, wie bei den großen, so muß auch hier geschlossen werden, daß unser Ohr die hohen Töne dieser kleinen Käfer nicht mehr aufzufassen im Stande ist.

Der bekannte schwarze, durch zwei gelbrothe Binden auf den Flügeldecken gezierte Todtengräber erzeugt einen abgesetzten schnarrenden Laut durch Reibung des fünften Hinterleibringes gegen die Hinterränder[WS 1] der beiden Flügeldecken. In ähnlicher Weise bringt der Schreiner oder Geiger (Lamia) den zirpenden Ton hervor, welchen er bei der Berührung von sich giebt, indem er den ersten Brustring am zweiten reibt.

Beim Mistkäfer trägt das Hüftbein des Hinterschenkels eine geriefelte Leiste, welche auf dem scharfen Rande des dritten Hinterleibringes gerieben wird, wodurch ein schnarrender Laut entsteht. In der Ordnung der Schmetterlinge trifft man nur wenige durch Reibung erzeugte Töne.

Unter den mit Reibungsinstrumenten versehenen Musikanten der Insectenwelt sind namentlich hervorragend die zur Ordnung der Geradflügler gehörenden Grillen (die man übrigens richtiger Gryllen schreibt) und die Heuschrecken; doch herrscht über diese im gewöhnlichen Leben so viel Unklarheit, daß wir es für angemessen halten, die hauptsächlichsten Vertreter dieser Ordnung erst in Bezug auf ihre sonstigen Kennzeichen kurz zu beschreiben.

Die Grillen haben lange, borstenförmige Fühler, dreigliedrige Füße und verlängerte hintere Springbeine. Die Feldgrille ist dunkelbraun, mit dunkelrothem Innenrande der Hinterschenkel und findet sich, sehr verbreitet, auf Feldern in Erdlöchern. Das Männchen giebt einen lauten zirpenden Ton von sich. Das Heimchen ist kleiner, einfach gelbbraun. Es ist bekannt, daß dasselbe meist in Häusern, hauptsächlich an warmen Stellen lebt und durch sein Zirpen oft sehr lästig wird; es macht sich aber durch Vertilgen der Schaben nützlich. Die Maulwurfsgrille oder der Riedwurm (auch Wiere genannt) hat keine hinteren Springfüße, aber breite, zum Graben eingerichtete Vorderfüße und lebt auf Feldern in Erdlöchern.

Die Grashüpfer oder Laubheuschrecken (Locustiden) haben lange borstenförmige Fühler, viergliedrige Füße und lange hintere Springbeine mit dicken Schenkeln. Der grüne Grashüpfer ist grasgrün mit gelbem Bauch. Er lebt auf Feldern, im Gesträuch und auf Bäumen und hat einen lauten Zirpton.

Die Heuschrecken (Acridien) haben kurze, cylindrische Fühler, dreigliedrige Füße und zum Springen eingerichtete längere Hinterbeine. Berüchtigt unter ihnen ist die in Vorderasien und dem ganzen nördlichen Afrika lebende Wander- oder Zugheuschrecke durch den ungeheueren Schaden, den sie bei ihren in dichten riesigen Schwärmen erfolgenden Wanderungen allen Gewächsen zufügt. Sie wird bis 2½ Zoll lang, hat kürzere Hinterfüße, dunkle, über den ganzen grünen Leib zerstreute Punkte und einen erhabenen Kamm auf der Brust. Auch nach Frankreich und Deutschland ist diese Plage zuweilen gekommen. Eine nur 1½ Zoll lange Art, schmutzig grün mit braun gefleckten Decken, findet sich auch überall in Deutschland, aber meist nur einzeln.

Bei allen diesen Insecten sind nur die Männchen musikalisch; die Weibchen sind stumm.

Was nun die Instrumente betrifft, deren sie sich zur Tonerregung bedienen, so sind dieselben gewöhnlich an den Flügeldecken und an den Hinterschenkeln zu finden. Bei den Feldgrillen, Heimchen und Maulwurfsgrillen tragen die Flügel eine mit kleinen Stegen besetzte Ader, welche wie ein Geigenbogen auf einer vorstehenden Ader des darunter liegenden Flügels gerieben wird.

Bei den Grashüpfern findet sich am Grunde des einen Flügels ein Apparat, der sich mit einem Tambourin vergleichen läßt, das mit einer geriefelten Ader des andern Flügels gegeigt wird.

Die Wanderheuschrecken haben an der Innenseite der Hinterschenkel neunzig bis hundert feine Zähne, welche sie wie einen Geigenbogen reibend über eine hervorragende Ader der Flügeldecke hin und her bewegen und dadurch einen sirrenden, aber ziemlich sonoren Ton hervorbringen. –

Dies sind die hauptsächlichsten musicirenden Insecten und ihre Instrumente, mittelst welcher sie zu ihrem Theil, wenn auch in bescheidener Weise, bei der großen Symphonie der Natur mitwirken.




Blätter und Blüthen.


Titel- und Ordenhandel. Die erträglichsten Geschäfte, seit Adam’s und Eva’s Zeiten, werden mit der Eitelkeit der Menschen gemacht, und keine Eitelkeit ist so schlimm, ja gefährlich, als die der Männer. Das weibliche Geschlecht, auf welchem der Vorwurf der Eitelkeit vorzugsweise lastet, tummelt sie auf dem Gebiet der Mode aus und schädigt damit nur den häuslichen Geldbeutel und oft noch mehr den guten Geschmack. Die weibliche Eitelkeit haftet am Aeußern, will wenigstens im Dienst der Schönheit stehen und frißt selten in die Tiefe bis zum Kern des Charakters hinein; auch hängt sie so innig mit den Blüthenjahren des Weibes zusammen, daß sie in der Regel mit diesen leise vergeht. Die männliche Eitelkeit dagegen sitzt gleich von Haus aus tiefer und wirkt um so gefährlicher, je ernster der Beruf des von ihr angegangenen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Hinterräder
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_699.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)