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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Ja.“

„Noch einmal tausend? Es sind dann fünf!“

„Zum Kukuk, ja!“

Eine athemlose Stille folgte, in welcher Gotthold nur das Geräusch der Karten hörte, die Redebas abzog, und abermals Lärm und Geschrei, wie es ihn vorhin aus seinen Träumen geweckt, nur diesmal so laut, daß selbst der trunkene Pfaffe aus seiner Ecke auftaumelte. Gotthold trat an den Tisch. Sein erster Blick fiel in Brandow’s Gesicht, das ganz bleich war; aber die dünnen Lippen waren fest aufeinandergepreßt und in den harten, kalten Augen blitzte sogar ein unheimliches Lächeln auf, als er jetzt, gegen den Herzutretenden gewandt, rief:

„Sie haben mich schön gerupft, Gotthold; aber noch ist es nicht aller Tage Abend.“

„Aber dieses!“ rief Redebas, die Karten auf den Tisch legend und eine Notiz in seiner Brieftasche machend; „ich danke!“

„Was heißt das?“ fragte Brandow.

„Daß ich nicht mehr spielen will,“ erwiderte Redebas mit lautem Gelächter, die Brieftasche schließend und sich schwerfällig erhebend.

„Ich meinte immer, der Verlierer könne das Spiel aufheben, nicht der Gewinner.“

„Wenn der Gewinner seiner Sache nicht sicher ist, – o ja!“

„Ich erbitte mir eine Erklärung!“ rief Brandow, den Tisch auf die Seite stoßend.

„Aber Brandow! – sei doch vernünftig!“ riefen Otto und Gustav von Plüggen durcheinander.

„Seid Ihr wieder associirt?“ schleuderte ihnen Brandow mit Hohnlachen entgegen, und dann vor Redebas tretend: „ich erbitte mir eine Erklärung, auf der Stelle!“

Der Riese war einen Schritt zurückgewichen: „Oho,“ schrie er, „willst Du so, komm’ an!“

„Aber lieber Brandow!“ sagte der Assessor, beschwichtigend dazwischen tretend.

„Bitte, Herr Assessor,“ rief Brandow, ihn auf die Seite schiebend, „ich weiß, was ich zu thun habe.“

„Und ich weiß es auch!“ schrie Redebas, das Fenster aufreißend und dann mit seiner Löwenstimme über den stillen Hof: „Anspannen! August, anspannen!“ rufend.

Eine wüste Scene folgte, in der Alle so durcheinander rasten, daß Gotthold nur hier und da ein einzelnes Wort verstehen konnte. Am meisten tobte Hans Redebas, aber, wie es schien, ebenso aus Angst als aus Zorn, während Brandow verhältnißmäßig ruhig blieb und ganz offenbar beflissen war, den Assessor, welcher sich immer wieder hineinmischte, von den drei Andern zu sondern, zu denen sich nun auch der Pastor gesellte und durch alle möglichen Zeichen die Absicht an den Tag legte, eine Rede zu halten, es auch wirklich ein paar Mal bis zu dem Ansatz: „Meine vielgeliebten Freunde!“ brachte.

Die drei Wagen, welche die geduldigen Kutscher schon längst bereit gehalten haben mochten, waren vorgefahren. Der Streit hatte sich aus der Stube auf den Flur, vom Flur vor die Hausthür bis an den Schlag des Wagens fortgesponnen.

„Es wird sich finden, es wird sich finden!“ schrie Hans Redebas unaufhörlich; „sitzt Du, Pastor? dann in dreier Teufel Namen fort! – Es wird sich finden!“ brüllte er noch einmal aus dem Wagenfenster heraus, als die gewaltigen dänischen Pferde bereits, mächtig ausholend, davontrabten, der nördlichen Ausfahrt zu, von welcher der kürzere, bei der Dunkelheit allerdings kaum fahrbare Weg durch den Wald nach Dahlitz ging.

Inzwischen waren Otto und Gustav von Plüggen zuletzt noch unter einander in Streit gerathen. Gustav, der keine Laternen an seinem Wagen hatte, erklärte, über die Haide fahren zu müssen, während Otto, der Laternen hatte, Redebas folgen wollte. Gustav hatte sich heute bereits so lange mit seinem Senior vertragen, daß er diese Weigerung für eine grimmige Beleidigung nehmen zu müssen glaubte. Er habe keine Heubündel vor dem Kopfe, und wolle sich nicht im Walde an den Bäumen den Schädel einrennen. Dann möge er sich doch das Stroh anstecken, das er im Kopfe habe, und sich damit nach Hause leuchten, replicirte Otto.

So fuhren sie von dannen, der Eine hierhin, der Andere dorthin.

„Das ist dumm,“ sagte Brandow, dem Wagen Gustav von Plüggen’s nachschauend.

„Der Eine kommt hinüber, der Andere nicht,“ sagte Hinrich Scheel.

„Man weiß, daß Du der beste Fahrer bist.“

„Ein Unglück kann dem Besten passiren.“

„Du willst es also?“

„Es scheint, daß Sie nicht wollen.“

Brandow antwortete nicht gleich. Er hatte sich die Sache doch leichter gedacht; aber er brauchte ja nicht gleich den Hals zu brechen, blos Arm und Bein!

Er warf einen scheuen Blick durch das Fenster; das Licht fiel gerade voll in Gotthold’s ernstes, schönes Gesicht. Brandow knirschte mit den Zähnen. Nein! es war nicht genug! er mußte sein Leben haben; der verfluchte Schleicher hatte es nicht besser verdient; und wo war das Verbrechen? ein Unglück konnte dem Besten passiren!

Auf einmal fuhr er zusammen. Daran hatte er vorher nicht recht gedacht. Er hatte durch seinen Streit mit den Spielgenossen glücklich verhindert, daß die ganze Gesellschaft, wie schon oft, zur Nacht oder doch bis an den hellen Morgen blieb, und hatte so Gotthold den schicklichen Vorwand geraubt, ebenfalls zu bleiben, wenn er anders diese Absicht hatte – und davon war Brandow nach dem, was er vorhin belauscht, fest überzeugt. Er hatte auch, indem er den Assessor geflissentlich vom Streite fern hielt, es diesem unmöglich gemacht, mit den Andern zugleich aufzubrechen – an Einladungen hatte es nicht gefehlt, und so wäre ihm die Beute entwischt, da Gotthold ohne den Assessor nicht wohl hätte zurückbleiben können. Aber nun – welches Mittel, die Beiden zu trennen? Blieb der Assessor – und er schien nicht an Aufbruch zu denken – so blieb auch Gotthold, hatte Gotthold wenigstens den schicklichsten Vorwand zu bleiben; und zwang er den Assessor zu gehen –

Abermals streiften seine düstern Blicke die Beiden in dem Zimmer. Sie standen noch auf derselben Stelle – der Assessor unter lebhaften Gesticulationen auf Gotthold einsprechend; dieser, nach seiner Miene und Geberde zu schließen, nur unwillig zuhörend.

„Ich habe sie ja Beide hergefahren, so kann ich sie auch Beide zurückfahren,“ sagte Hinrich Scheel, die Asche in seiner Pfeife feststopfend.

Beide! der Eine, ja! aber was hatte ihm der Andere gethan? nichts! gar nichts! und daß er ihm heute die zehntausend Thaler abgenommen –

„Es ist nur schade um das schöne Geld, wenn uns ja im Moore ein Unglück passiren sollte,“ sagte Hinrich, die Pfeife ausklopfend; „ich will den Wagen immer zurecht machen, und die Vordermähren von Jochen Klüt nehmen, um unsere Blässen wäre es doch schade.“

Und Hinrich Scheel ging langsamen Schrittes davon. Brandow’s Blicke verfolgten die untersetzte schwarze Gestalt; er wollte ihn zurückrufen, wollte ihm zurufen, er sollte nicht anspannen; aber es kam nur ein seltsam heiserer, würgender Ton aus der Kehle; die Zunge klebte ihm am Gaumen; er taumelte, als er den Fuß hob, wie ein Betrunkener und mußte sich an den Stamm einer der alten Linden festhalten, durch deren dichtes Gezweig jetzt eben ein heftiger Windstoß sauste. Der Regen, der wieder zu fallen begann, schlug ihm in das Gesicht, das seltsam brannte, trotzdem es ihn vom Wirbel bis zur Zehe durchschauerte.

Da! was war das? das Geräusch des Wagens, den Hinrich aus dem Schuppen schob. Noch war es Zeit! aber er hatte ja nichts gesagt, gar nichts; was konnte er dafür, wenn dem Hinrich in der Nacht auf der Haide ein Unglück passirte!

Gotthold und der Assessor waren im Zimmer geblieben; der Assessor bemühte sich, Gotthold umständlich zu beweisen, daß Brandow entschieden in seinem Rechte gewesen sei, als er verlangte, daß weiter gespielt werde, aber er habe Unrecht daran gethan, seinen Wunsch in dieser peremptorischen Weise auszusprechen. Denn schließlich habe er doch nicht vergessen dürfen, daß er der Wirth war, und als solcher auch eine Tactlosigkeit seiner Gäste in den Kauf nehmen mußte.

Den letzten Theil seiner langen Rede hatte der Assessor im Ton der Belehrung schon halb gegen Brandow gerichtet, der eben in das Zimmer gekommen war und, zu dem Schenktisch tretend, ein paar Gläser hinuntergestürzt hatte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 704. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_704.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)