Seite:Die Gartenlaube (1872) 717.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 44.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Was die Schwalbe sang.


Von Friedrich Spielhagen.


(Fortsetzung.)


21.


Es war vielleicht zehn Uhr, aber, obgleich man im Hochsommer sich befand, und der Mond bereits aufgegangen sein mußte, so dunkel, wie es nur eine mondlose Herbstnacht sein konnte. Und herbstlich kalt wehte der Wind über die Roggenstoppeln, und herbstlich kalt schlug ihnen der Regen in’s Gesicht, welcher eben wieder mit erneuter Heftigkeit einsetzte.

„Knöpfen Sie sich fest zu,“ sagte Gotthold zu seinem Gefährten, der unbehaglich in seinem Sitz hin- und herrückte. „Sie schienen vorher sehr erhitzt.“

„Weil ich den ganzen Abend zugeknöpft gewesen bin,“ erwiderte der Assessor, „ich meine im wirklichen Sinne, wegen der Zehntausend, die ich seitdem in der Brusttasche trage; in figürlichem hätte ich es wohl etwas mehr sein können; trotzdem aber, – ich bitte Sie, lieber Freund, erklären Sie mir Brandow’s räthselhaftes Betragen! Er hat mir ja geradezu den Stuhl vor die Thür gesetzt! Und weshalb? ich verstehe es nicht! nachdem wir den ganzen Abend auf das Cordialste miteinander verkehrt! nachdem wir, so zu sagen, Hand und Handschuh gewesen! Und Alles zwischen uns in bester Ordnung! die ganze große Summe baar bezahlt bei Heller und Pfennig, was freilich das größte Räthsel ist! Und von Wollnow will er das Geld haben! Hat Wollnow mich mystificirt? Und warum? Ich sehe in dem Allen so wenig Licht, wie ich hier meine Hand vor den Augen sehen kann. Abscheuliche Dunkelheit!“

„Der Mond ist schon seit einer Stunde auf,“ sagte Hinrich Scheel.

„Und darum habt Ihr auch wohl keine Laternen am Wagen?“

„Herr von Plüggen hat auch keine gehabt.“

„Und dann dachtet Ihr, daß uns Eure Pfeife hinreichend Licht geben würde, nicht wahr?“

„Ich brauche nicht zu rauchen, Herr!“

„Dann laßt es lieber; ich kann nicht sagen, daß ich den Duft Eures Knasters sehr goutirte.“

„Unser Einer kann keinen feinen Tabak rauchen, wie die feinen Herren,“ sagte Hinrich Scheel, die Pfeife ausklopfend, daß die Funken durch die Nacht dahinstoben, und sie in die Brusttasche steckend.

„Ist das nicht derselbe Kerl, der uns heute Nachmittag fuhr?“ fragte der Assessor leise.

„Derselbe,“ erwiderte Gotthold, „und ich möchte Ihnen zu derselben Vorsicht rathen, deren wir uns auf der Herfahrt bedienten.“

Aber der Assessor war nicht in der Stimmung, Gotthold’s Rathe zu folgen. Der Rausch, welchen die Scene mit Brandow nur für kurze Zeit unterbrochen, stellte sich in der sausenden kalten Nachtluft mit doppelter Starre wieder ein. Er fing an, auf Brandow zu schelten, dem er im Curatorium immer das Wort geredet, der ohne ihn bereits vor einem Jahre von Dollan hätte abziehen müssen, der ihm in jeder Beziehung zu großem Danke verpflichtet sei, und von dem er nun so mit schnödem Undank belohnt werde. Aber mit seiner Freundschaft, mit seiner Protection sei es jetzt zu Ende. Er habe den saubern Herrn noch immer in der Hand. Die Pacht müsse, so wie so, erneuert werden. Nun habe Brandow freilich bezahlt, aber welche Gewähr der Sicherheit sei bei einem Manne, der in einer so precären Lage sich noch eine Spielschuld von fünftausend Thalern auf den Hals lade? Er brauche dem Curatorium nur diese Mittheilung zu machen, und Brandow sei geliefert. Ob Brandow glaube, das Curatorium dadurch zu beruhigen, daß er ihm den Brownlock vorreite? Brownlock hin, Brownlock her! Noch habe Brandow nicht gesiegt, und man nehme es etwas streng auf dem Rennplatze. Noch im vorigen Jahre habe man den jungen Klebenitz ausgeschlossen – Majoratsherr, wie er sei – weil bekannt geworden, daß er eine Spielschuld vierundzwanzig Stunden zu spät bezahlt. Es sei doch sehr fraglich, ob Redebas die Fünftausend, die er eben dem Brandow abgenommen, bis morgen Mittag in seinem Secretär liegen haben werde.

Es war ganz vergeblich gewesen, daß Gotthold den Redseligen zu unterbrechen suchte; und er war deshalb nicht unzufrieden, als jener, nachdem er noch ein paar unzusammenhängende Worte gelallt, plötzlich schwieg und, in seine Ecke zurückgelehnt, seinen Rausch verschlafen zu wollen schien. Gotthold legte ihm noch seine eigene Decke über die Kniee, schlug ihm den Kragen des Ueberziehers in die Höhe, und überließ sich, in die Dunkelheit hineinstarrend, seinen Betrachtungen. Auch ihm war Brandow’s Betragen unbegreiflich. Was konnte ihn bewogen haben, den Assessor in dieser Weise zu beleidigen, einen Mann, dessen Gunst sich zu erhalten er jede Veranlassung hatte? War auch er betrunken gewesen? aber diese Trunkenheit mußte sehr plötzlich über ihn gekommen sein, und hatte jedenfalls eine seltsame Miene angenommen – die Miene des Hasses, der sich in kalte Höflichkeit

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_717.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)