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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Füßen wegziehen, um stete, innere Unruhe, schwärmerische Gereiztheit, Unmuth über geträumte Verkennung und krankhaften Trübsinn dafür zu ernten, wollen Sie diese bedauernswerthen Gemüthszustände, die ich bei Ihnen alle nach meiner Menschenkenntniß befürchte, nicht gegen gesunden, heitern und zufriedenen Sinn umtauschen, so thun Sie sich ein für alle Mal mit jugendlicher, besonnener Seelenstärke Gewalt an, und denken Sie einfach und kerngesund so: – Jetzt gehe ich auf die Universität, und da will ich einmal ein ganzer Jurist werden. Was ich gründlich Schönes in Kunst und Wissenschaft erhaschen kann, will ich mit begeistertem Ernste mir aneignen; nicht nur flüchtig daran nippen, nein, gründlich will ich an dieser Quelle trinken. Aber die edle Jurisprudenz, die geiststärkende und verstandschärfende, die soll mein kräftig, täglich Brod werden, wenn’s mir auch gar oft sauer schmecken wird. – Drängt mich dann die Poesie, so will ich auch ihr mich freudig hingeben, aber nur wenig, und dann aber ernst, mit tiefem Fleiß. – Ob der liebe Gott dann mit den Jahren, und wenn ich einmal die Welt kennen lerne, wie sie ist, mein poetisches Talent in solchem Maße reifen läßt, ob ich dereinst so als vates begnadigt werde, um in der Welt die unendlich ernste und opfervolle Mission des Dichters auf meinem Schultern zu nehmen – das Alles will ich getrost dem lieben Gott überlassen. Einstweilen will ich mir den sicheren Boden für mein zukünftiges Leben gründen – und soll ich wirklich in zehn bis fünfzehn Jahren ein wirklicher Dichter sein, so kann ich getrost mein heiliges Sängeramt ausüben, denn die Kunst braucht dann bei mir nicht nach Brod zu gehen, weil ich mir meinen Unterhalt gesichert habe. –

Sehen Sie, so denken Sie jetzt und immerdar! – Und im Momente, wo Sie aufhören, so zu denken, und vielleicht andern, phantastischen Rathschlägen Gehör geben, in diesem Augenblick haben Sie den Grundstein Ihres Lebensglückes zerschlagen. Das glauben Sie Ihrem es mit Ihnen ernstlich gut meinenden

O. Freiherrn von Redwitz.

Schmölz, 29. September 1856.“




Der deutschen Nordmark Ehrenwacht.


In der Entwickelung der Geschichte giebt es keine unvermittelten Uebergänge, keine jähen Sprünge. Jede Zeit, auch die größte, hat ihre Vorbedingung

Siegesdenkmal auf den Düppeler Höhen.
Nach einer Photographie.

in einer früheren. So müssen wir auch, wenn wir die Wurzeln suchen, aus welchen die Großthaten der letzten beiden Jahre erwuchsen, über die Ereignisse des Jahres 1866 zurückgehen bis in die Tage jener Kämpfe, welche die Wiedervereinigung des verlorenen Bruderstammes von Schleswig-Holstein mit dem deutschen Mutterlande im Jahre 1864 zur Folge hatten. Düppel und Alsen sind die großen Namen, an welche die stolzesten Erinnerungen jener Zeit sich knüpfen. Und so mag es denn auch zeitgemäß sein, heute, da wir uns der Errungenschaften des letzten französischen Krieges erfreuen, uns einmal wieder zurückzuwenden zu der Bedeutung dieser beiden Namen, zumal sie neuerdings gelegentlich der Enthüllung zweier Erinnerungsmale wieder häufiger genannt worden sind.

Prinz Friedrich Karl, so erzählt der schleswig-holsteinische Geschichtsschreiber Graf von Baudissin dieses Ereigniß, hielt am Abende des 17. April auf dem Schlosse zu Gravenstein einen Kriegsrath ab, in welchem beschlossen wurde, am folgenden Tage die Schanzen Nr. 1 bis 6 zu stürmen, denn die übrigen vier hatten noch zu wenig gelitten und wurden als unangreifbar angesehen. Um halb drei Uhr Morgens sollten die Sturmcolonnen sich in den Laufgräben und Parallelen aufstellen, von drei bis zehn Uhr die Batterien gegen die Schanzen ein Schnellfeuer unterhalten, und dann die Sturmcolonnen, ohne einen Schuß zu feuern, hervorbrechen und mit dem Bajonnet angreifen. Weil kein Bataillon auf die Ehre verzichten wollte, sich an dem Waffentanze zu betheiligen, im Ganzen aber nur sechsundvierzig Compagnien zur Verwendung gelangen konnten, mußte das Loos darüber entscheiden, welche Truppentheile vorläufig in Reserve stehen bleiben sollten. Die nach Ausfall solchen Loosens zum ersten Vorrücken bestimmten, in sechs Colonnen getheilten und mit Pionnieren, Artilleristen und Siegesfahnenträgern versehenen Truppentheile rückten neuntausend Mann stark in stiller, dunkler Nacht in die Laufgräben und Parallelen ein. Sie hatten am Tage vorher das Abendmahl empfangen. Da mag denn wohl Vielen das Herz lauter geschlagen haben, und mancher feuchte Blick wird nach der theuren Heimath und den lieben Angehörigen gerichtet worden sein! Zu dem furchtbaren Ernst dessen, was bevorstand, kam aber noch die peinliche Aufgabe, viele bange Stunden ausharren zu müssen, bevor es zum Angriff ging. Um zehn Uhr Vormittags gab Prinz Friedrich Karl das Zeichen zum Angriff. Um diese Zeit war bemerkt worden, daß einige dänische Regimenter nach Sonderburg zurückgingen, was darin seinen Grund hatte, daß der dänische General du Plat, welcher bei Tagesanbruch wohl einen Ueberfall erwartet hatte, diesen aufgegeben wähnte, als Stunde um Stunde verlief, ohne daß die Belagerer sich regten.

Das verhängnißvolle Zeichen war also gegeben, und während die Musikbanden in Parallele Nr. 2 den von Friedrich dem Großen componirten Marsch aufspielten, brachen die sechs Sturmcolonnen mit donnerndem Hurrah hervor und legten den zwischen drei- und vierhundert Schritt betragenden Zwischenraum

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_728.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)