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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


immer. Nur sollen sie ihn nicht tödten, nur das nicht, denn wenn sie ihn tödten …“

Sie unterbrach sich und die Hand auf ihres Vaters Arm legend sagte sie, nach Athem ringend:

„Komm, führ’ mich zu jener Bank dort! Ich halte mich nicht mehr aufrecht; dort will ich Dir Alles sagen.“

Der Fürst führte sie zu der nächsten unter einer der Platanen angebrachten Gartenbank. So niederschmetternd, so all sein innerstes Gefühl empörend auch das Geständniß seines Kindes auf ihn gewirkt haben mußte – er sah doch in diesem Augenblicke wie ein gutmüthiger Mann nichts als das tiefe Leid des Weibes, wie ein bekümmerter Vater nichts als die Verzweiflung eines Kindes – und so führte er sie, zärtlich ihre Gestalt umschlingend, und ohne ein Wort weiteren Vorwurfes zu sprechen.

Als sie sich gesetzt hatten, legte Elisabeth, sich vornüberbeugend, ihre beiden Arme auf das Knie ihres Vaters, und die Hände zusammengefaltet auf den Boden niederblickend, sagte sie:

„Vater, Du wirst mich begreifen, Du wirst mit mir fühlen können. Man darf diesen Mann nicht ermorden, oder ich bin unselig für immer. Wenn man ihn rettet, wenn er verschwindet, wenn er dann wie versunken und verschollen für mich ist in der mir fernen fremden Welt, dann werde ich ihn vergessen; ich werde es über mich gewinnen, Tag für Tag weniger an ihn zu denken, ich werde mir mit jedem Tage klarer und lauter sagen, welche Thörin ich war, mich von dem eigenthümlichen Zauber umgarnen zu lassen, den dieser fremde Mensch mit seinen wunderlichen Reden auf mich ausübte, ich werde genesen von solch einer Leidenschaft – ich werde es. Obwohl mein Herz mir zuschreit: ‚nein, nein, Du wirst es niemals, niemals,‘ so bin ich doch überzeugt, daß meine Vernunft mir beistehen und daß sie siegen wird – meine Vernunft und mein Wille, den ich doch auch habe.“

Der Fürst legte sanft seine Hand auf ihren Scheitel.

„Ich glaube es Dir, Elisabeth,“ sagte er seufzend. „Denn Deinen Willen – ja, den hast Du.“

„Aber, Vater,“ fuhr sie nun heftig und ihre Hände krampfhaft zusammenballend auf, „wenn sie ihn erschießen - wenn ich das erleben muß, wenn ich im Geiste sehen muß, wie er vor den Gewehren knieet, wie er in seinem Blute daliegt, wie er - o, mein Gott, mein Gott, das überwind’ ich nicht, das Bild werde ich nie aus meiner Seele los, über dem Bilde werde ich wahnsinnig, und wenn Du mich retten willst, so rette ihn!“

„Ich ihn retten? Aber um’s Himmelswillen, wie denkst Du Dir das? Wie kann ich ihn retten?“

„Wir müssen nach M. Nach M., sagst Du, hat man ihn geführt? Wir müssen dahin! Du mußt mit dem Präfecten oder in wessen Hand sein Schicksal liegt, reden; Du mußt für ihn zeugen, ihn losbitten auf irgend eine Art. Der Präfect ist kein Unmensch. Hat er doch auf Dein persönliches Einschreiten einmal den Meyer Jochmaring freigegeben, als sie diesen eingezogen hatten, weil sein Anerbe sich nicht zur Conscription gestellt.“

„Aber, mein Gott, was könnte ich dem Präfecten denn sagen?“

„Daß er gar kein Emissär sei, daß Du Dich mit Deinem fürstlichen Worte dafür verbürgtest.“

„Aber er ist es ja doch ohne allen Zweifel.“

„Es ist wahr, er ist es, o, wie fürchterlich ist es, lügen zu müssen – diesen Menschen gegenüber – aber, Vater, Vater, wenn Du Deine Tochter vom Untergange, und einen Menschen vom Tode retten kannst durch eine Lüge – wirst Du sie nicht sprechen?“

Der Fürst fuhr mit der Hand über seine Stirn.

„Das ist eine schreckliche Lage,“ sagte er. „Mag man noch so alt werden, es giebt Verhältnisse, in denen man sich hülflos wie ein Kind fühlt und einen Vater, einen Bruder fragen möchte. Ich wollte, ich könnte meinen Vater fragen, ob ich lügen darf.“

„O, um meinetwillen, Vater, um meinetwillen, um Deines verzweifelnden Kindes willen!“ jammerte Elisabeth.

„Höre, Elisabeth,“ versetzte nach einer Pause der Fürst, „ich will Dir nachgeben, in so fern, als ich mit Dir nach M. fahre. Wir wollen mit dem Präfecten reden. Wir wollen sehen, was bei ihm auszurichten ist. Der Himmel wird uns die richtigen Worte auf die Zunge legen. Geradezu eine Unwahrheit mit meinem fürstlichen Worte bekräftigen – nein, das werde ich nicht können. Aber während wir fahren und rathschlagen, werden uns andere Gedanken kommen, andere Hülfsmittel einfallen.“

„O, ich danke, ich danke Dir,“ rief die Prinzessin aufspringend aus, „und nun laß’ uns eilen! Eile thut sicherlich noth. Laß’ uns in diesem Augenblicke fahren!“

„Ich bin’s zufrieden,“ entgegnete der Fürst und erhob sich nun auch; Elisabeth hing sich an seinen Arm, und Beide schritten eilig dem Schlosse zu.

Die Zurüstungen zu der Fahrt waren bald gemacht. Eine Viertelstunde später fuhren der Fürst und Elisabeth in einer etwas schwerfälligen, mit vier Pferden bespannten Reisekalesche aus dem Schloßhofe ab und in der Richtung nach der Präfecturstadt dahin.

(Fortsetzung folgt)[1]
  1. Zum ersten Male seit dem dreiundzwanzigjährigen Bestehen der Gartenlaube sehen wir uns in der unangenehmen Lage, eine Novelle nicht in dem Jahrgange, in dem sie begonnen, zum Abschlusse bringen zu können. Wir müssen leider die letzten Capitel der obigen Erzählung in den neuen Jahrgang hinüberlaufen lassen. Das kommende Quartal wird mithin in den Januar-Nummern zwei Erzählungen bringen, den ersten Abschnitt von Marlitt’s „Im Hause des Commerzienraths“ und Fortsetzung und Schluß von Levin Schücking’s „Der Doppelgänger“.
    Die Redaction. 


Das Schloß des todten Kaisers.
Von Michael Klapp.


Spätherbst 1855 war es und ein stürmischer Herbsttag. Im Hafen von Triest tanzten die hohen Wogen der blauen Adria um die geankerten Kauffahrer; ein rauher West spielte um die Masten und in den aufgehißten Flaggen der mancherlei Nationen, deren Hab und Gut da vor Anker lag. Weit und breit war vom Molo aus kein Fahrzeug zu entdecken, das hinausgefahren war, den Kampf mit dem Elemente aufzunehmen. Erst weit draußen, ungefähr eine Meile von Triest, außerhalb der schönen Rhede, suchte ein kühner Segler die Bahn des Meeres. Ein kleines, schmuckes Schiff war’s, nach Art der Fischerboote von Chiosa gebaut, mit gelbem Segel, das der Wind mit vollen Backen anblies, und fünf Männer standen muthig darauf. Der eine von ihnen, eine junge, schlanke Gestalt in der Blüthe der Jugend, in einen blautuchenen Oberrock gehüllt, der an den Aermeln breite Goldborten hatte, die runde Marinekappe tief in die Stirne gedrückt, stand abseits von den Anderen und schaute in die vor ihm ausgebreitete Unendlichkeit des Meeres hinaus.

„Hoheit, es ist Zeit Unterkunft zu suchen; wir haben schlechten Wind!“ mahnte nun ein Mann, der an den jungen Träumer ehrerbietigst herantrat.

„So?“ meinte dieser etwas erstaunt, „flüchten wir uns, wenn Sie meinen! Und wohin, lieber Graf?“

„Probiren wir es, drüben zu landen, in der Punta Grignagno, Hoheit!“

„Gut, darauf los, darauf los!“ sagte der junge Träumer, der nun wieder ganz der Gegenwart gewonnen war.

Eine halbe Stunde darauf landete die Gesellschaft nach nicht geringen Mühen in der kleinen, von Felsen umgebenen Bucht, die da, tief unter dem Dorfe Conlovello gelegen, Punta Grignagno heißt. Es war nur ein einsames Fleckchen Erde, das die vorspringende Landspitze darbot, kahl und von geringer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 864. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_864.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)