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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

jener allen türkischen und arabischen Frauen eigenen Neugierde. Ich lobte die Aussicht, und somit war das Eis gebrochen. Sie stürmten an uns heran und überhäuften uns mit Fragen. Die Eine wollte wissen, ob meine fliegenden Aermel neumodisch seien, die Andere, zu was mein Lorgnon gehöre, eine Dritte, ob ich in Paris gewesen, und die erwähnte Schöne bedauerte mich, weil mich mein Gatte so unverschleiert ausgehen lasse. Als ich fragte, was daran zu bedauern wäre, erklärte sie mir, daß dies ein Beweis seiner Gleichgültigkeit sei, und sie setzte hinzu, sie müßte sterben, wenn ihr Pascha sie nicht einschlösse, wenn er sie unverschleiert ausgehen ließe, da sie daraus ersehen würde, daß ihm nicht viel an ihr gelegen sei.

Eine harte Arbeit war es, den neugierigen Damen auseinanderzusetzen, was für Dienste ein Lorgnon leistet. Ich meinte es recht hübsch erklärt zu haben, da brachen sie aber Alle in Beileidsbezeigungen aus, die meiner vermeinten Blindheit galten. Ich erklärte ihnen den Zweck des Lorgnons von Neuem, worauf sie recht kluge Gesichter machten, die mich erkennen ließen, daß sie meine Kurzsichtigkeit für Affectation hielten.

Sie reichten uns die Blumen, die sie in Haar und Gürtel trugen; die Backfische verfertigten einige ‚Fullehs‘ für uns. Es sind dies Jasminblüthen, die in gewissen Mustern auf Strohhalmen angefädelt werden. Zuletzt wurde uns der beste Mokka in reizenden, mit Diamanten bespickten goldenen Schalen gereicht, und dann nahmen wir Abschied von diesen liebenswürdigen Damen, nachdem wir das Versprechen hatten abgeben müssen, recht bald wiederzukommen.

Wer weiß, ob ich Ihnen nicht auch über den zweiten Besuch Bericht erstatte! Wir werden ja sehen.

Die Ihrige
Ch. v. M.“

Unterdessen hatte der Nil die Höhe erreicht, die den Durchstich des Canals in Altkairo erfordert, um zu verhindern, daß der Fluß den an der Mündung des Canals errichteten Damm, der um die Zeit des Nilsteigens aufgeworfen wird, nicht von selbst durchbreche und Verheerungen aller Art anrichte.

Die Vorbereitungen für das Fest waren schon getroffen. Auf der rechten Seite des Canals, etwa zwölf Meter oberhalb des Dammes, standen die Zelte der Regierung, und links, also diesen gegenüber, waren all die Feuerwerke aufgestellt, mit denen man dieses ägyptische Nationalfest zu feiern pflegt.

Gegen neun Uhr wurde die erste Rakete losgelassen.

In den Zelten der Regierung, die mit wahrer orientalischer Pracht ausgestattet waren, befand sich eine zahlreiche Versammlung eleganter Damen und uniformirter Herren. Zuweilen flammte plötzlich ein bengalisches Feuer auf, das mehr als ein schönes syrianisches Antlitz, mehr als ein classisches griechisches Profil hell erleuchtete, um gleich wieder Alles in geheimnißvollem Halbdunkel erscheinen zu lassen.

Schön war es, wenn dieses rothe Feuer auf die auf dem gegenüberliegenden Plane stehende Menschenmenge fiel, auf die zahllosen herrlichen dunklen Gesichter, auf die farbenreichen malerischen Trachten dieses so schönen Volkes.

Unter uns lag der Damm des Canals. Nach der Seite hin, wo der Nil sich gegen denselben bricht, waren hohe Palmenwedel aufgestellt; auf dem Damme selbst befand sich eine fröhliche Schaar Aegypter und Araber, die sich in der ihnen angeborenen harmlosen Weise unterhielten. Einer ging im Kreise herum und schenkte den Umherliegenden Kaffee aus, während eine Art Gaukler ihnen jenen Tanz vortanzte, der hier zu Lande so viel Gefallen findet. Der Tänzer hält ein langes Rohr über das Haupt und dann über die rechte oder linke Schulter, hebt ein Bein in die Höhe und schaut mit so viel Wohlgefallen um sich her, als habe er ein äußerst schweres Kunststück vollbracht. Dabei nicken die Zuschauer einander zu, und Jeder ist fest überzeugt, daß nur ein Diener Allahs so Etwas zu Stande bringen kann. Auf der andern Seite des Dammes standen in einer langen Reihe Arbeiter, die mit der Hacke unermüdlich die Erde des Dammes weglösten, während eine große Anzahl kleiner Knaben diese Erde in Körben wegschaffte.

Bei dieser Gelegenheit hat es sich wieder einmal erwiesen, wie muthig Fatalisten sind.

Man weiß, daß Mohamed seinen Gläubigen die Lehre der Vorherbestimmung einprägte. Der Mohamedaner verweilt mit der größten Gleichgültigkeit in Städten, wo eine Epidemie wüthet; er geht ohne Sorge und Befürchtungen ruhig wie immer seinen Geschäften nach und läßt sich nicht durch die Zukunft beunruhigen, da doch schon Alles vorausbestimmt ist. So schritten auch neulich die Araber unbekümmert an den Feuerrädern vorüber und wichen dem glühenden Sprühregen mit bewunderungswerther Ruhe aus. Selbst die Kinder, welche die Erde des Dammes fortschafften, von denen keines mehr als acht Jahre alt war, ließen sich durch einen auf sie herabfallenden Regen glühender Funken in ihrer Arbeit nicht stören.

Auf dem Flusse glitten zahllose kleinere und größere Boote hin, sämmtlich ausgeschmückt mit farbigen Fahnen und Lämpchen und besetzt von heiteren Menschen, die singend und spielend sich ihres Lebens freuten.

Dem Canal gegenüber ankerte ein großes, mit grellen Farben bemaltes und mit bunten Fähnchen und Laternen verziertes Schiff, auf dessen Verdeck ein viereckiges, mit rothen und gelben Draperien verhängtes Häuschen stand, um das ein kleiner Balcon lief. Es wird dieses Schiff vom Volke Aarus-en-Nil, das ist die Braut des Nil, genannt, und es soll einstens, als Aegypten noch nicht den Arabern gehörte, zur Beförderung der dem Flußgotte zum Opfer gebrachten Jungsfrau gedient haben.

Amr-Ibn-el-Asi, der Eroberer Aegyptens, schaffte diesen barbarischen Brauch als eine dem Gotte des Islam widrige Handlung ab, und seitdem begnügte sich der Aegypter mit dem bloßen Symbol der Braut des Nil, nämlich mit dem Schiffe.

Die Araber erzählen, daß der Nil in dem Jahre der Abschaffung des Menschenopfers zu steigen sich weigerte. Drei Monate waren schon seit der Nacht des Tropfens vergangen, und der Fluß hatte noch immer dieselbe Höhe, worüber das Volk außerordentlich bestürzt war, weil es meinte, es würde von der Hungersnoth heimgesucht werden. Da meldete Amr-Ibn-el-Asi dem Chalifen Omar in Medina, daß er das jährliche Menschenopfer abgeschafft und daß nun das Land vom größten Elende bedroht sei.

Der Fürst der Gläubigen lobte seinen Feldherrn für diese That und sandte ihm ein Schreiben mit der Weisung, dasselbe in den Nil zu werfen. Dieser Brief enthielt folgende Worte: „Von Abd-Allah-Omar, Fürst der Gläubigen, an den Nil von Aegypten! Fließest du aus eigenem Willen, dann fließe nicht; ist es aber Gott der Einzige, der Allmächtige, der dich fließen heißt, so bitten wir Gott, den Einzigen, Allmächtigen, er möge dich fließen lassen.“

Amr-Ibn-el-Asi leistete dem Befehl seines Fürsten Folge, und darauf hin soll der Nil in einer Nacht seine höchste Höhe erreicht haben.

Interessanter und schöner als die Feier des Vorabends ist das Fest der Eröffnung des Canals, vielleicht weil bei diesem die Sonne mit ihrer magischen Beleuchtung mitspielt. Es flatterten die bunten Fahnen so lustig; das Grün der Bäume auf Rodha leuchtete wie lauter Smaragden, die Menschen, die das Ufer des Canals bedeckten, prangten in einer so farbenreichen Tracht, daß jede auch noch so gut geschriebene Schilderung des Festes nur ein schwaches farbloses Schattenbild wäre.

Unter wiederholten Salven wurden die den Damm zierenden Palmenwedel in den Nil geworfen; gurgelnd leckte der verrätherische Fluß an dem nur noch einen Fuß breiten Damm, als habe er nicht übel Lust, denselben von selbst zu durchbrechen. Hierauf traten etwa zwanzig Arbeiter an den engen Erdstreifen hin, um denselben einzuhauen, die eine Hälfte im Trocknen, die andere im Wasser stehend. Von dem abfälligen Ufer des Canals stürzte sich ein Araber nach dem anderen in das Wasser, manche angekleidet, die meisten baar jeder Kleidung, schwimmenden Meerungeheuern gleich, die brüllend und keuchend ihr Opfer zu verlangen schienen. Furchtbar war das Getöse, als das gelbe, chocoladenartige Nilwasser die letzten Ueberreste des Dammes durchbrach und von dem Canale Besitz nahm.

Die Meeresungeheuer traten jetzt an’s Land und führten vor dem Zelte des Sultans von Zanzibar einen so tollen Tanz auf, daß man sie fürwahr für die wildesten Wilden halten konnte. Dies geschah nämlich, um dem Sultan die Goldstücke zu entlocken, welche die Vicekönige ihnen früher in den Canal hinabwarfen und die sie durch Tauchen erhaschten. Es war aber schon vor dem Beginn der Ceremonie eine beträchtliche Summe unter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 574. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_574.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)