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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

schönen Anblick es gewährt“, Vater von drei, Großvater von neun und Aeltervater von siebenundzwanzig „Societätsrekruten“ zu sein.

Dennoch – traurig, aber wahr! – gab es mehr als ein Mitglied der Gesellschaft, das „gar keinen Rekruten zu seiner eigenen Befreiung anzuwerben im Stande war“, und es erhob sich die andere Anfrage, ob sothanes von Mißgeschick verfolgtes Mitglied verbunden sei, bis an das Ende aller Dinge, das heißt Zeit seines Lebens, allmonatlich seinen Ducaten beizusteuern? Der hohe Orden fühlte ein menschliches Rühren; er entschied: „wer ein ganzes Jahr sich vergeblich bemühet, einen Rekruten auf seinen Namen zu engagiren, der soll nach Erlegung des zwölften und letzten Ducatens von allen Abgaben frei sein und nichtsdestoweniger aller Ehren und Vortheile der löblichen Societät genießen.“

Noch waren aber mancherlei fernere Bedenken zu entkräften. So wollte ein vorlautes Mitglied aus Frankfurt, vielleicht jener obengedachte Jude, ohne Umstände erfahren: Wie denn die einlaufenden Gelder zum Nutzen der Mitglieder eigentlich verwandt werden sollten? Allein auch zur Begegnung so frecher Neugier waren die hohen Oberen gerüstet. Sie hatten ein ganzes Register schöner und fördersamer Dinge und Unternehmungen in Bereitschaft, mit denen der Orden nicht säumen werde, die Welt zu segnen. So sollte eine große Lotterie in’s Leben gerufen werden mit höchst „considerablen“ Gewinnsten, doch wollte man die Capitalsumme selbst nicht den Gewinnern auszahlen, sondern nur zeitlebens pro Jahr mit fünf Procent verzinsen. Außerdem wurde „Unterstützung mit convenabler Tafel, Kleidung und Wohnung für solche Ordensmitglieder“ beabsichtigt, „welche in fatale Umstände verfallen sind, wofern die Noth dieses erfordert, als worüber der Aelteste der Societät (der erlauchte Reichsgraf von Wied-Neuwied) zu erkennen hat.“ Endlich trug man sich mit dem verdienstlichen Plane, „wohleingerichtete Freischulen zum Besten der Jugend beiderlei Geschlechtes und aller Religionen zu gründen.“

Was konnte man von dem Orden mehr noch verlangen? Schade nur, daß diesem zur Verwirklichung seiner menschenfreundlichen Projecte keine Zeit vergönnt war. Bereits gingen seine Tage zur Neige. Das Ducatensammeln und Ducatenverschicken war mittlerweile zu einer derartigen Ausdehnung gediehen, daß es den Staatsregierungen nicht verborgen bleiben konnte, die diese Steuer „zum Besten der hohen Oberen“ nicht länger gestatten wollten. Und so mußte die so sinnreich erdachte und wohlthätige Ducatengenossenschaft des Reichsgrafen Franz Karl Ludwig von Wied-Neuwied schon Anfangs des Jahres 1748 ihr junges Leben beschließen. Unter Anderem hatte das königlich preußische Hof- und Kammergericht zu Berlin am 8. December 1747 das nachstehende Rescript gegen die Gesellschaft erlassen:

„Nachdem Seine königliche Majestät in Preußen etc. etc. durch eine allergnädigste Cabinetsordre vom Ersten des Monats geordnet: daß die im Reiche entstandene sogenannte Ducatensocietät, durch welche und deren Einrichtung das Publicum unter dem Scheine eines zu hoffenden considerablen Profites sehr dupirt und hinter das Licht geführt worden, in deren Landen nachdrücklichst verboten werden solle, damit Niemand bei solcher sich einlassen, oder einigen Theil daran nehmen möge: Als wird hierdurch nicht nur das Publicum in Seiner Majestät Landen vor dieser gefährlichen Societät gewarnt, sondern auch männiglichen bei namhafter und arbitrairer Geldstrafe untersaget, an mehrerwähnter Societät den geringsten Theil, er sei direct oder indirect, zu nehmen, bei solcher etwas einzusetzen, oder selbige auf einige Weise zu favorisiren; allermaßen auch dem Officio Fisci aufgegeben worden, darauf genau zu vigiliren und bei vorkommenden Contraventionsfällen sein Amt zu beobachten.“

Daß einer seiner eigenen Officiere der geniale Erfinder des tollen Schwindels gewesen, hat Friedrich der Große offenbar nicht gewußt, sonst würde das Kammergericht schwerlich behaupten, daß die in der gutpreußischen Stadt und Festung Wesel geborne Gaunerei „im Reiche“ aufgekommen sei. Auch finden wir keine Spur davon, daß die Urheberschaft seiner Löblichen Ducatensocietät dem Grafen in seiner militärischen Laufbahn geschadet habe. Derselbe starb 1765 als königlich preußischer Generallieutenant, jedenfalls im unbehelligten Genusse der goldenen Früchte einer Speculation, die in der Gründer-Aera unserer Tage Figur gemacht haben würde.

H. S.


Vineta.

Von E. Werner.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und Ueber-
setzungsrecht vorbehalten.

„Und ich würde das auch nun und nimmermehr dulden,“ brauste Leo auf. „Wenn das der Grund war, so bleibt Wanda in Rakowicz und setzt keinen Fuß nach Wilicza. Ich habe geglaubt, Waldemar’s einstige Neigung sei längst begraben und vergessen; ist sie es nicht – und sie kann es nicht sein, sonst wäre der Plan nicht gefaßt worden – so lasse ich Dich auch nicht einen Tag in seiner Nähe.“

„Sei ruhig!“ sagte Wanda, aber ihre eigene Stimme klang nichts weniger als ruhig. „Ich lasse mich nicht wieder als bloßes Werkzeug gebrauchen, wie damals in C. Einmal habe ich mit diesem Manne und seiner Liebe gespielt; zum zweiten Male thue ich es nicht. Er hat mich seine Verachtung fühlen lassen – ich weiß wie das lastet, und doch handelte es sich damals nur um die Laune eines unbesonnenen Kindes. Wenn er jetzt einen Plan, eine Berechnung entdeckte und ich müßte das eines Tages in seinen Augen lesen – eher sterben als das ertragen!“

Sie hatte sich von ihrer Heftigkeit so weit fortreißen lassen, daß sie ihre ganze Umgebung darüber vergaß. Hochaufgerichtet, mit glühenden Wangen und flammenden Augen schleuderte sie den Protest so leidenschaftlich heraus, daß der Graf sie befremdet und die Fürstin bestürzt anblickte. Leo dagegen, der dicht an ihrer Seite stand, wich zurück; er war bleich geworden, und in seinen Augen, die starr und fragend auf ihrem Antlitz hafteten, stand mehr als bloße Befremdung oder Bestürzung.

„Eher sterben!“ wiederholte er. „Liegt Dir so viel an Waldemar’s Achtung? Verstehst Du es so gut, in seinen Augen zu lesen? Das ist doch seltsam.“

Eine heiße Röthe ergoß sich urplötzlich über Wanda’s Gesicht, sie mochte es wohl selbst nicht wissen, denn sie warf dem jungen Fürsten einen Blick ungekünstelter Entrüstung zu und wollte ihm antworten, als ihr Vater dazwischen trat.

„Nur jetzt keine von Deinen Eifersuchtsscenen, Leo!“ sagte er ernst. „Willst Du uns den Abschied stören und Wanda noch in der letzten Minute beleidigen? Da Du jetzt auch darauf bestehst, so mag sie in Rakowicz bleiben; meine Schwester wird Euch in diesem Punkte nachgeben, aber nun kränke Wanda nicht länger mit einem solchen Verdachte! Die Zeit drängt – wir müssen Lebewohl sagen.“

Er zog die Tochter an sich, und jetzt im Augenblicke der Trennung brach wieder die ganze Zärtlichkeit des so ernsten, düsteren Mannes für sein einziges Kind hervor, das er mit tiefer schmerzlicher Bewegung in die Arme schloß. Die Fürstin dagegen wartete umsonst auf die Annäherung ihres Sohnes; er stand noch immer mit tiefverfinstertem Gesichte da, das Auge am Boden, und biß sich auf die Lippen, daß sie bluteten.

„Nun, Leo,“ mahnte die Mutter endlich, „willst Du mir nicht Lebewohl sagen?“

Er schreckte aus seinem Brüten empor. „Noch nicht, Mama! Ich folge dem Onkel erst später; er braucht mich für’s Erste nicht. Ich will noch einige Tage hier bleiben.“

„Leo!“ rief der Graf zürnend, während Wanda sich mit dem gleichen Ausdrucke aus seinen Armen emporrichtete, aber das schien den jungen Fürsten in seinem Trotze nur noch zu bestärken.

„Ich bleibe,“ beharrte er, „auf zwei oder drei Tage kann es unmöglich ankommen. Erst will ich Wanda selbst nach Rakowicz zurückgeleiten und die Gewißheit haben, daß sie dort bleibt, vor allen Dingen aber will ich Waldemar’s Ankunft abwarten und mir auf dem kürzesten Wege Klarheit verschaffen. Ich werde ihn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 709. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_709.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)