Seite:Die Gartenlaube (1876) 800.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


ausgesetzt war, gegen den es sich durch die Vorhut des Fürsten Baratowski gesichert glaubte?

Waldemar raffte seine ganze Fassung zusammen. „Woher haben Sie die Nachrichten? Sind sie zuverlässig, nicht blos Gerüchte?“

„Der Haushofmeister Pawlick brachte sie mir,“ erklärte der Administrator. „Er ist drüben –“

„Bei Ihnen? Und Ihnen bringt er die Nachrichten, während er weiß, daß ich hier seit Stunden auf seine Rückkehr harre? Weshalb kommt er nicht in’s Schloß?“

Frank’s Auge suchte wieder den Boden. „Er wagte es nicht – die Frau Fürstin, die junge Gräfin hätten am Fenster sein können; sie müssen doch erst vorbereitet werden – Pawlick ist nicht allein, Herr Nordeck.“

„Was ist geschehen?“ brach Waldemar ahnend aus. „Mein Bruder –“

„Fürst Baratowski ist gefallen,“ sagte der Administrator leise. „Pawlick bringt die Leiche.“ –

Waldemar schwieg. Er legte nur einige Secunden lang die Hand über die Augen, dann raffte er sich gewaltsam auf und eilte hinüber nach dem Gutshofe, Frank ihm nach. Drüben im Hause des Letzteren trat ihnen Pawlick entgegen. Er blickte scheu zu seinem Herrn auf, den er, der treu ergebene Diener der Fürstin, als Feind zu betrachten gewohnt war, aber der Ausdruck Nordeck’s zeigte ihm, was ihm schon der heutige Morgen gezeigt hatte, daß es nur noch der Bruder seines jungen Gebieters sei, der jetzt vor ihm stand, und da brach die Fassung des alten Mannes zusammen.

„Unsere Fürstin!“ jammerte er, „sie wird es nicht überleben und Gräfin Wanda auch nicht.“

„Sie haben den Fürsten also nicht mehr erreicht?“ fragte Waldemar.

„Doch,“ berichtete Pawlick mit halb gebrochener Stimme. „Ich holte ihn noch rechtzeitig ein und überbrachte ihm die Warnung. Er wollte nicht darauf hören, wollte trotzalledem den Uebergang versuchen; er meinte, das Waldesdickicht werde ihn schützen. Ich bat; ich lag auf den Knieen vor ihm und fragte ihn, ob er sich denn von den Grenzposten niederschießen lassen wolle, wie ein gehetztes Wild. Das half endlich. Er willigte ein, zu warten bis zum Abende. Wir überlegten eben, ob wir die Einkehr in die Försterei wagen dürften, da begegnete uns –“

„Wer? Eine Patrouille?“

„Nein, der Pächter von Janowo. Von dem war kein Verrath zu besorgen; er hat von jeher zu uns gehalten. Er hatte Vorspanndienste bei den Truppen leisten müssen und kam nun zurück von der Grenze. Bei der Gelegenheit hatte er gehört, was man sich dort erzählte, drüben bei W. sei es heute zum Kampfe gekommen, und der sei noch jetzt nicht entschieden, das Morynski’sche Corps wehre sich verzweifelt gegen einen Ueberfall. Da war es aus mit der Vernunft und Besinnung unseres jungen Fürsten; er hatte nur den einen Gedanken noch, nach W. hinüber zu kommen und sich mit in den Kampf zu werfen. Wir konnten ihn nicht halten – er hörte auf Keinen mehr. Eine halbe Stunde war er fort, da hörten wir Schüsse fallen, erst zwei rasch hintereinander, dann ein halbes Dutzend auf einmal, und dann –“ der alte Mann konnte nicht weiter reden; die Stimme versagte ihm, und ein heißer Thränenstrom stürzte aus seinen Augen.

„Ich habe die Leiche mitgebracht,“ sagte er nach einer Pause. „Der Herr Rittmeister, der gestern hier im Schlosse war, hat es mir ausgewirkt von denen da drüben. Mit dem Todten konnten sie ja doch nichts mehr anfangen. Aber ich wagte nicht, sogleich mit ihm in’s Schloß zu kommen. Wir haben ihn einstweilen dort niedergelegt.“

Er wies nach den gegenüberliegenden Zimmer. Waldemar gab ihm und dem Administrator einen Wink zurückzubleiben und trat allein in das bezeichnete Gemach. Grau und trübe fiel das schon im Schwinden begriffene Tageslicht herein und auf die leblos hingestreckte Gestalt des jungen Fürsten. Schweigend stand der Bruder an der Leiche. Das schöne Antlitz, das er so strahlend von Leben und Glück gesehen hatte, war jetzt starr und kalt; die flammenden dunklen Augen waren geschlossen, und die Brust, die so hoch aufschwoll von Freiheits- und Zukunftsträumen, trug jetzt die Todeswunde. Was das heiße, wilde Blut des Jünglings verbrochen, das hatte auch das Blut gesühnt, das aus der zerschossenen Brust quoll; es röthete in unheimlich dunklen Flecken die Kleidung. Noch vor wenig Stunden stürmten in dieser nun entseelten Hülle alle Leidenschaften der Jugend, Haß und Liebe, Eifersucht und Rachegedanken, Verzweiflung über die eigene nicht gewollte That mit ihren entsetzlichen Folgen – jetzt war das Alles vorbei, erstarrt in der eisigen Ruhe des Todes. Nur Eines stand noch auf dem stillen bleichen Antlitz, stand so fest darin ausgeprägt, als sei es eingegraben für ewig, jener Zug bitteren Schmerzes, der um die Lippen des Sohnes zuckte, als seine Mutter ihm das letzte Lebewohl verweigerte, als sie ihn ohne ein Wort der Verzeihung, des Abschiedes von ihrer verschlossenen Thür gehen ließ. Alles Andere sank mit dem Leben zusammen. Dieses Weh hatte der Fürst Baratowski mit hinübergenommen in den Todeskampf, in den letzten Schimmer des Bewußtseins – selbst der Schleier des Grabes vermochte es nicht zu decken.

Waldemar verließ das Gemach, stumm und düster, wie er es betreten hatte, aber als er den draußen Harrenden entgegentrat, sahen sie es doch, daß er den Bruder geliebt hatte.

„Bringt die Leiche hinüber in’s Schloß!“ befahl er. „Ich gehe voraus – zu meiner Mutter.“

(Fortsetzung folgt.)




Die Kunst im Culturkampf.


Lange bevor in Deutschland die große Bewegung, welche wir heute unter dem Namen des Culturkampfes begreifen, zu einer Staatsangelegenheit wurde und gleichsam die längstersehnte Sanction durch die Regierung erhielt, hatte Wilhelm von Kaulbach mit seinem großen Tendenzbilde „Peter Arbues“ den alten, stets glimmenden Brand neu angefacht und damit zum ersten Male wieder von einer alten Gerechtsame der Kunst ausgiebigen Gebrauch gemacht. Sein zur historischen Satire hinneigender Sinn und seine aufgeklärte Weltanschauung ließen ihn auch ferner, nachdem er den großen Schlag geführt, nicht ruhen, und mit unermüdlicher Erbitterung hat er bis zu seines Lebens Ende ein fliegendes Blatt um das andere unter die Menschen geworfen, eine ganze Sammlung gezeichneter Kernsprüche von einschneidender Ironie, welche einmal einem späteren Geschichtsschreiber als die belehrendste Illustration zu der Bewegung unserer Tage erscheinen werden. Sie flogen wie Pfeile in das Lager der Feinde, und keiner verfehlte sein Ziel; die feindliche Stellung der Parteien zu einander wurde verschärft, und als endlich der Kampf offen losbrach, dessen allerdings nicht nahem Ende wir heute getrost entgegensehen, konnte sich Kaulbach sagen, daß er nicht unter den Letzten von Denen gewesen sei, welche diesen wohlthätigen, wenn auch schmerzhaften Proceß, der uns über kurz oder lang doch einmal bevorstand, hatten heraufbeschwören helfen.

Seit Kaulbach’s Vorgang klingt in der Production der deutscher Kunst da und dort, bald verhüllt, bald offen hervortretend, dieselbe Tendenz an, und auch das Sculpturwerk, welches wir heute den Lesern der „Gartenlaube“ vorführen, gehört, allerdings in erhöhter und idealer Fassung seiner Absicht, demselben Gebiete an. Dieser Faun mit dem Mephistophelesblicke hält sich die edle Maske des Zeus vor das eigene Schelmengesicht, auf daß die aufblickende Menschheit ihn für den gerechten und milden Weltenlenker selber halten möge. Die Anwendung auf die gegenwärtigen Verhältnisse liegt nahe genug und bedarf keiner Ausführung. Mit bitterer Deutlichkeit aber hatte sie der Bildhauer, Professor Christian Roth in München, in dem Entwurfe zu einem Monumentalwerke, dessen oberste Bekrönung diese Faunsgestalt bildete, nahegelegt.

Als die Bewohner der baierischen Hauptstadt eines schönen Tages in den Kunstverein kamen, fanden sie da den Entwurf zu einem Brunnen, der die eine Hälfte der Besucher höchlich ergötzte, die andere leidenschaftlich ärgerte, ob der aufgewendeten Kunst aber sich jedem Tadel entzog. Vor einem Wasserbecken erhob

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_800.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)