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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

schwunghaftesten Stellen auszog, die geeignet waren, das Volk zu begeistern. Sie lernte dieselben dann auswendig und trug sie in ihrem flamländisch-französischen Accent mit Emphase vor. Denn wie die Cabarrus, die feine Aristokratin, wie Manon Roland, die geistreiche Bürgerstochter, war auch Lambertine, das Kind des Volkes, eine Clubrednerin und stand, was zündende Beredsamkeit betrifft, nicht hinter diesen vornehmen Vorbildern zurück, welche die Bildung der Salons genossen hatten. Konnte sie doch in die Wagschale volksthümlicher Geltung auch ihren Ehrendegen werfen. Gewiß lauschte man mit besonderer Andacht einer Rednerin, welche sich durch heldenmüthige Thaten ausgezeichnet hatte. Und da sie überdies mit natürlicher Beredsamkeit begabt war und besonders die zündenden Stichwörter und patriotischen Gemeinplätze mit hinreißendem Schwunge in die Menge zu schleudern wußte, so verfehlte sie nie, Enthusiasmus zu erregen.

Camille Desmoulins theilt uns eine Rede mit, welche Lambertine im Club der Cordeliers gehalten hat und in welcher sie zur Subscription aufforderte, um der Nationalversammlung auf dem Platze der zerstörten Bastille einen Palast zu erbauen. Bei ihrem Erscheinen verglich man sie mit der Königin von Saba – und das gab ihr willkommenen Anlaß, an den Salomonischen Tempel anzuknüpfen und eine Fülle biblischer Weisheit zu entwickeln, in welche sie mythische Anspielungen aus den Pindarischen Gesängen verwebte.

„Frankreich wartet nur auf das erste Zeichen,“ rief sie aus; „ruft die besten Werkmeister und Künstler herbei! Fällt die Cedern des Libanon, die Tannen des Berges Ida! O, wenn jemals die Steine sich von selbst bewegen könnten – es geschähe nicht, um die Mauern von Theben, sondern um den Tempel der Freiheit zu bauen. Um das Gebäude zu verschönern, zu bereichern, müssen wir alles Gold und alle Edelsteine auf dem Altare des Vaterlandes niederlegen, und ich will Allen mit meinem Beispiele vorangehen. Ihr wißt, daß die Franzosen zum Götzendienste geneigt sind, wie die Inder; das Volk bedarf der äußeren Zeichen, denen es Anbetung weiht. Wendet seine Blicke ab von dem Pavillon der Flora, von den Säulenreihen des Louvre! Zeigt ihm eine Basilika, prächtiger als diejenige des heiligen Petrus in Rom oder des heiligen Paulus in London, den wahrhaftigen Tempel des Ewigen, den einzigen, der seiner würdig ist, denjenigen, in welchem das Evangelium der Menschenrechte verkündet werden wird.“

Diejenigen, welche in der schönen Lütticherin nur eine ungebildete Straßendirne sehen wollen, müssen diesen Proben ihrer Beredsamkeit gegenüber die Waffen strecken. Ihr Verkehr mit geistreichen Männern, unter denen auch der Abbé Sieyes genannt wird, konnte nicht ohne Einfluß auf sie bleiben; ihre glühende Phantasie nahm kühne Bilder aus dem biblischen und heidnischen Alterthum mit Vorliebe auf. Doch heimischer als in den Clubs fühlte sich ihr wildes Naturell mitten in stürmischen Volksbewegungen. So sehen wir sie im Palais royal, als der Zug nach Versailles, unter den geheimen Auspicien des Herzogs von Orleans, sich vorbereitete; sie gab der Volksmenge, den Frauen der Halle die Losung; sie entzündete die Gemüther gegen die Contrerevolution, welche von der Königin und ihren Officieren dort ausgebrütet wurde; sie wandte sich nicht blos an die rohen Instincte der Menge, welche nur Brod verlangte, sie gab den gährenden Elementen eine politische Richtung. Und bei dem unheimlichen Zuge selbst stand sie auf einer Kanone, mit aufgelöstem Haar, das Gewehr auf der Schulter, den Säbel im Gürtel, mit Worten und Geberden das Volk anregend. Gleichzeitige Dichter verglichen sie mit einer Penthesilea, welche sich muthig in Gefahr und Kampf stürzt, mit einer Priesterin der Druiden, mit einer neuen Pythia, die Alles mit dem göttlichen Feuer entflammt, welches ihre eigene Brust beseelt. Wie weit sie an den gräßlichen Auftritten in Versailles selbst sich betheiligt hat, darüber fehlt der nähere Aufschluß; keineswegs gewinnt ihr Bild an anziehender Beleuchtung, wenn man sie in der Gesellschaft der rohen Megären und jenes Scharfrichters außer Dienst, des Kopfabschneiders Jourdan, erblickt. Da indeß ihre Aussagen bei der Untersuchung über diese Vorgänge für hervorragende Persönlichkeiten compromittirend werden konnten, so schickte man sie als revolutionäre Agentin mit einem Secretair des Jacobinerclubs nach Lüttich. Es galt hier einen Aufstand zu erregen, aber der Plan scheiterte, und die Théroigne fiel in die Gewalt der Oesterreicher, die sie nach der Festung Kufstein in Tirol brachten, wo sie mehrere Monate in strenger Haft gehalten wurde. Dann erst verhörte man sie, und die Antworten, die sie gab, erregten die Aufmerksamkeit des Kaisers Leopold, der gewiß auch von ihrer Schönheit hatte sprechen hören. Er ließ sie zu sich kommen und gab ihr nach längerer Unterredung die Freiheit wieder, unter der Bedingung, daß ihr Fuß nie mehr den österreichischen Boden betreten solle. Als ein Opfer der österreichischen Tyrannei hatte sie, nach Paris zurückgekehrt, erneuerte Ansprüche auf die Gunst des Volkes und auf den Namen einer Patriotin, und sie machte diese Ansprüche mit gewohnter Beredsamkeit geltend. Oft sah man sie in der Begleitung von Danton und Camille Desmoulins, und sie selbst begründete in ihrem Hause einen Club, der eine Art Filiale der Cordeliers war.

Die royalistischen Witzblätter, an denen es in jener wild bewegten Zeit nicht fehlte, verfolgten die Théroigne von Mericourt in Wort und Bild mit bitterem Spotte; sie war eine Heldin ihrer Caricaturen und wurde mit derb cynischen Anspielungen nicht verschont. Namentlich Sulleau in seinem „Tageblatte“ machte die Lütticherin zum Ziele vergifteter Pfeile. Die persönliche Erbitterung hierüber und die wachsende Erhitzung der Zeit steigerten die Wildheit ihres Temperaments; offenbar schlummerten schon in ihr die Keime des Wahnsinns, der nicht lange darauf zum Ausbruche kam.

Neben den scheußlichen Megären der Revolution erscheint Théroigne als ihre wildschöne Furie; ja es schien, als ob sich die Rachelust, der Blutdurst jener Epoche in ihr verkörpert hätten; sie erschien selbst wie mit dem Schwerte der Nemesis gerüstet, um dann wieder für ihre eigenen blutigen Frevel dem Gottesgericht zu verfallen.

Unter bedrohlichen Anzeichen war der Morgen des 10. August emporgestiegen; Königthum und Volk, das letztere erbittet durch die Manifeste des Auslandes, standen sich drohender als je gegenüber. Um die Stimmung in den verschiedenen Stadtvierteln zu erkunden, hatten sich königliche Patrouillen gebildet. Mehrere derselben wurden vom Volke verhaftet und in die Section der Feuillants geführt. Das Schicksal wollte es, daß sich unter diesen der elegante und feurige Journalist Sulleau befand, und daß einer seiner Genossen ihn gerade beim Namen rief, als die Théroigne, die schon am frühen Morgen eines mit großen Ereignissen schwangeren Tages bei den Feuillants in ihrem Amazonencostüme Wache stand, gerade in der Nähe war. Sie hörte diesen Namen und stürzte auf Sulleau zu, ihn bei der Brust fassend. „Wie, Du bist Sulleau,“ rief sie aus, ihrer selbst nicht mehr mächtig, „Du bist es, der jeden Schimpf auf mich gehäuft hat?“ und sie erhob das Schwert; doch der kräftige und entschlossene Journalist riß sich gewaltsam von ihr los und setzte sich zur Wehr, indem er einem der Angreifenden die Waffe entriß. Im Handgemenge erlag er indes der Uebermacht und fiel mit mehreren seiner Genossen. Nach diesem Act der Rache kämpfte am 10. August Théroigne in den vordersten Reihen bei dem Sturme auf die Tuilerien und zeichnete sich durch ihre Bravour so aus, daß sie, obgleich ein Weib, mit einem militärischen Grade bekleidet wurde.

Sulleau hatte sie nur mit der Feder verwundet; ein Anderer war’s, der ihr Lebensglück zerstört, der sie in die verhängnißvolle Bahn getrieben hatte, wo sie durch unweiblichen Heldenmuth, durch mörderischen Fanatismus sich einen Namen machen sollte. Die romanhafte Sage, die sich an die Geschicke dieses merkwürdigen Weibes knüpft, berichtet, daß sie auch den Verführer, den Edelmann, der ihre Jugendliebe war, in Paris getroffen habe. Vergebens habe er ihre Vergebung angefleht; sie habe ihm den Fluch vorgehalten, der sich seit jener Jugendliebe an ihre Fersen geheftet, die Zerrüttung ihrer Familie, die Verbannung aus der Heimath, die Verwünschungen ihres Vaters, ihr verfehltes Leben, selbst den geraubten Glauben an den Himmel und seine Gerechtigkeit, und als sie ihn zum zweiten Mal getroffen, an einem der schrecklichen Septembertage, an denen die entfesselte Volksjustiz in grauenhaften Mordthaten schwelgte, als ein todgeweihtes Opfer in der Abtei, da habe sie selbst zum Schwerte gegriffen und ihn getödtet.

Dem doppelten Frevel folgte die Strafe auf dem Fuße nach.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_052.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2018)