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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

No. 7.   1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.


Nachdruck und Dramatisirung verboten.
Uebersetzungsrecht vorbehalten.     
Irrende Sterne.
Novelle von Georg Horn.
(Fortsetzung.)


Acht Tage nach der Abreise Erich’s erhielt Doris den ersten Brief, den ihr der Minister des Auswärtigen zusandte. Daraus entnahm sie die Mittheilung, daß sich der Aufenthalt ihres Mannes wohl verlängern würde. Der Brief war für sie und Liddy voll Herzenssonnenschein, bot aber nicht den geringsten Anhalt, um zu muthmaßen, wo Erich war und was er trieb. Was sie als eine Pflicht hätte ehren müssen, empfand sie als ein Unrecht von seiner Seite. Diesen Gedanken entzog sie der Besuch der Geheimräthin, welche eine Conversation von Allem und Jedem anfing, unruhig und hastig, wie es sonst nicht ihre Art war, von Gegenstand zu Gegenstand springend. Mit ihrer Tochter begann sie, und ging nach einigen Worten über die theure Zeit, über aufgerissene Straßencanäle und die jüngste Hundesperre auf den nächsten Geheimrathsball und die letzte entsetzliche Mordthat über, worauf sie endlich bei dem Namen Lideman anlangte.

„In seinem Namen komme ich eigentlich. Sie wissen, liebe, reizende Frau, selbst am besten, daß Ihr gegenseitiger Verkehr etwas in’s Stocken gerathen ist, und der Präsident hat zu viel Tact – Sie verstehen mich – jetzt, wo Ihr Mann nicht hier ist, bei Ihnen zu erscheinen; man muß vor der Welt ungeheuer vorsichtig sein, und wenn etwas Böses dabei wäre, würde ich mich mit der Angelegenheit gar nicht befassen, aber – kurzum, wir haben nächstens eine Soirée champêtre.“

„Was hat aber die Soirée mit dem Präsidenten zu thun?“ fragte Doris mehr naiv, als von irgend einem Verdachte befangen.

Die Geheimräthin umging die directe Antwort.

„Die Damen kommen alle, die wir geladen, und nur solche, die Sie kennen – es ist eine ziemlich große Gesellschaft; Speisen – alles auf Eis. Und Sie müssen auch kommen.“

„Das wird nicht gehen, meine verehrte Frau Geheimräthin. Mein Mann ist nicht hier – wenn er hörte, daß ich eine gesellschaftliche Verpflichtung übernommen, während er bisher so streng darauf gehalten, daß von unserer Seite alle früheren gesellschaftlichen Verbindungen aufgelöst wurden – ich muß bedauern.

„Nein, Sie dürfen nicht bedauern. Ich gehe einmal nicht von hier weg, ohne die Zusage von Ihnen zu haben. Das habe ich Lideman hoch und heilig versprechen müssen.“

„Was kann er für ein Interesse dabei haben?“ fragte Doris weiter.

„Dasselbe, was alle Welt an Ihnen nimmt, an einer jungen, schönen, lebenslustigen Frau, die auf das Piedestal der Gesellschaft, die in den vollen Strom des Lebens gehört, nicht hierher in diese alte Baracke. Verzeihen Sie mir den etwas drastischen Ausdruck.“

Wie hätte Doris dieser Sprache nicht Gehör schenken sollen! Sie hätte über Nacht müssen eine Andere geworden sein. So würde denn die Geheimräthin die Zusage ihres Erscheinens in der Gesellschaft sofort erhalten haben – da kam die Verführerin mit der Mittheilung heraus, daß die Gesellschaft im Garten des Präsidenten stattfinden sollte.

„Nicht in seinem Stadtgarten,“ schaltete die Geheimräthin ein, „sondern in dem vor dem Thore; er hat ihn uns zur Verfügung gestellt. Wir hatten kein passendes Local, und man will jetzt ja nur im Freien, nur bei Windlichtern soupiren – kurz und gut: Sie kommen!“

Eine innere Stimme, Gefühl der Pflicht, Warnung, Ahnung riethen Doris das Gegentheil. Sie hatte schon die Lippen geöffnet, um die Einladung abzuweisen, als Frau von Wandelt ihr das Wort abschnitt, indem sie ihr mit vielsagendem Lächeln in’s Ohr raunte:

„Vielleicht werden Sie etwas überrascht werden. Präsident Lideman – Else von Wandelt. Bindestrich drunter – fertig!“

War es Ueberraschung, war es verletzte Eitelkeit oder getäuschte Hoffnung – genug, Doris konnte bei dieser Ankündigung eine unangenehme Empfindung nicht unterdrücken. War sie mit Lideman auch durch keine innere Beziehung verbunden, wie sie wenigstens glaubte, so nahm sie doch die Nachricht nicht mit jener freien Unbefangenheit auf, wie es ihr, als Gattin ihres Mannes, nach Pflicht und Gewissen angestanden hätte, und ihre Ablehnung fiel so kurz und fast gereizt aus, daß jede Frau, welche feiner als Frau von Wandelt beobachtete, aufmerksam geworden wäre.

Die Geheimräthin war unglücklich über die Weigerung, das schwur sie im Weggehen mehrmals Doris zu, aber der Entschluß der jungen Frau war sichtlich nicht zu erschüttern.

Kaum war der Besuch fort, so wurde Doris unruhig. Ein Einfall, der ihr plötzlich gekommen, trug die Schuld. Wie wenn der Glaube an die Verlobung nur wieder eine jener Illusionen war, mit denen sich die Geheimräthin durch das ganze Leben getragen hatte, diese Frau, in welcher die Lebhaftigkeit des Empfindens stets dem blos Gewünschten die Gestalt der vollendeten Thatsache lieh? Wie käme der Präsident dazu, so lebhaft ihre Gegenwart zu wünschen, wenn er wirklich sein Herzensglück an der Seite Else’s zu finden hoffte?

Eine Stunde später stand sie vor dem großen Toilettenspiegel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_109.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2018)