Seite:Die Gartenlaube (1879) 111.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Während des ganzen Abends jedoch machte Lideman keine Miene, die Hoffnungen der Geheimräthin zu erfüllen. Er schien mit etwas ganz anderem beschäftigt. Seine Blicke gingen unruhig umher, suchend nach dem Eingange. Frau Constanze beschloß nach einigem Ueberlegen, der Sache mit einem kühnen Schlage ein Ende zu machen. Bisher war ihr der Präsident immer entschlüpft; kaum glaubte sie ihn für einen Moment erhascht zu haben, so war er auch schon wieder mit einer aalglatten Bewegung aus ihren Händen. Eben nahte er langsam dem Eingange in merklicher hochgespannter Erwartung – von der Straße her war das Geräusch eines Wagens vernommen worden – da trat plötzlich Frau von Wandelt hinter einem Baume hervor und zog ihn seitwärts dahin, wo eine grün behangene Laube ihr Zwiegespräch vor allen Lauschern beschützte.

„Ein köstliches, superbes Fest, das wir Ihnen zu verdanken haben,“ leitete sie das Gespräch ein. „Alle Welt amüsirt sich excellent, aber verzeihen Sie, Herr Präsident – alle Welt sucht nach der Bedeutung desselben.“

„Als ob ein Fest, bei dem man fröhlich ist, noch eine andere Bedeutung zu haben brauchte!“ Damit suchte er das drohende, auf ihn gerichtete Geschoß der Rede zu pariren.

„Jawohl – eine sehr geistreiche Bemerkung, wie man sie von einem Manne von Ihrer Bedeutung nicht anders erwarten konnte, aber – mein Mann raunte mir eben ein sehr ernstes Wort zu, das mich veranlaßt, über unser beiderseitiges Verhältniß zu sprechen.“

Die dunklen Augen des Präsidenten blickten immer erwartungsvoller nach dem Eingange des Gartens hin.

„Sie waren, Herr Präsident, bisher immer sehr zart, von einer musterhaften Zurückhaltung –“

„Entschuldigen Sie, gnädige Frau; neue Gäste –“

Er wollte gehen; sie hielt ihn zurück.

„Nein, die kann mein Mann empfangen. Hier weht unsere Flagge, und diese ist’s, unter der die Gäste segeln; haben Sie keine Sorge! Aber jede Zurückhaltung und Zartheit, Herr Präsident, muß einmal eine Grenze haben. Wenn Sie nur Vertrauen, wenn Sie nur Muth haben wollten!“

Die Sprecherin fühlte sich von einem jähen Blicke Lideman’s getroffen. Sie legte ihn wie ein plötzlich aufgegangenes Verständniß aus.

„Nun, wenn ich es Ihnen denn sagen muß. Es ist so – Sie werden geliebt.“

Im Nu hatte der Präsident ihre Hand erfaßt und drückte sie so fest, daß Frau Constanze sie eilig aus der Umklammerung zog. Ein überraschter Blick auf die Geheimräthin, dann ein Zurückweichen der Augen und dann wieder ein stilles Fragen dieser. Der Präsident spielte in einem Anfluge von Humor diese kleine Scene so meisterhaft, daß er nur der einzigen Worte mächtig schien:

„Sie glauben wirklich, gnädige Frau?“

Frau Constanze lächelte verschämt und deutete dann schnell mit dem Finger auf das Landhaus, von dem Else eben am Arme der Frau von Rechting daherkam. Ein Aufleuchten seiner Blicke – die Sonne seines Festes ging auf. So schön hatte er sie noch nicht gesehen. Mit einem leisen Senken ihrer langen seidenen Wimpern erwiderte Doris seinen Gruß nicht ganz unbefangen. Aber bald war diese Empfindung verflogen. Um ihre Lippen schwebte jenes feine Lächeln, welches alle Herzen einnahm, und scherzend äußerte sie zur Geheimräthin, daß sie fast nicht gewagt habe, einzutreten, daß ihr Fuß, dessen in braunen Atlas gehüllte Spitze unter dem Kleide hervorsah, fast zittere vor Scheu, aufzutreten. Jedenfalls war diese Scheu bald vorüber. Doris hatte sich von der Gesellschaft vergessen geglaubt, und diese drängte sich um die schöne, junge, elegante Frau, wie um eine neue Erscheinung, die plötzlich leuchtend aufgetaucht war. Von allen Seiten wurden ihr Glückwünsche zu ihrem Wiedererscheinen dargebracht, und Alt und Jung huldigte ihr, sodaß sie bald wieder wie von den Wogen der Triumphe früherer Tage sich getragen fühlte. Der abendliche Zauber, der auf der Landschaft lag, die Musik, die Menschen, die Freundlichkeiten und Huldigungen, mit denen man sie überschüttete, übten auf Doris eine Art narkotischer Wirkung.

Freilich trat ihr bald genug etwas nahe, was in diesen Rausch einige Ernüchterung brachte.

„Ich fürchte mich vor diesem Manne,“ hatte Doris einst zu ihrem Gatten gesagt, als Lideman’s Versuch, den Assessor in seine Unternehmungen zu ziehen, fehlgeschlagen war. Und an dieses Wort mußte sie unwillkürlich denken, indem sie merkte, wie es ihr schwieriger und schwieriger wurde, ein Alleinsein mit dem Präsidenten zu vermeiden. Dieser suchte offenbar auf jede Weise eine Gelegenheit zu erhaschen, um Doris einen Moment allein zu sprechen, und um so rücksichtsloser, je erfolgreicher sie sich ihm mit all der feinen Geschicklichkeit entwand, über die ein Weib in solchem Falle verfügt. Es waren viele Menschen da, und sie standen in Paaren und in Gruppen zusammen und bewegten vielfach ihre Zungen und Lippen. Was aber das interessanteste in diesem weiten Gesellschaftskreise war, das hörte, das sah, das ahnte Niemand – die Fragen und Bitten der Leidenschaft, die aus Lideman’s Augen redeten, und der stille Protest dagegen in dem Verhalten der jungen Frau. Das war ein Duo von Verlangen und Abweisen, von immer neu entflammtem Hoffen und erhöhtem Bangen, das aber von Niemand verstanden wurde, außer von den Beiden, die es zur Ausführung brachten. Dann aber wurde Doris plötzlich von einem Gefühl der Unbehaglichkeit übermannt. Es kam ihr der Gedanke an ihren Mann, an das Unerlaubte ihres Hierseins. Diese Stimmung drängte sie von den übrigen Gästen ab, und schon überlegte sie bei sich, ob es nicht besser wäre, still davon zu gehen – da horte sie Lideman’s Stimme hinter dem dichten Jasminbosquet, vor dem sie stand. Rasch trat sie bei Seite. Sie mußte sich in das Grüne hineindrängen, um nicht von ihm bemerkt zu werden. Nun kam er zum Vorschein, nicht allein, sondern in Gesellschaft eines jungen Mannes, den sie nicht kannte, der aber derselbe war, dessen Bekanntschaft ihr Mann bei jenem Zusammentreffen mit Rüchel gemacht hatte.

„Da ich Sie gerade treffe, Herr Lichtner, nur schnell einige Worte! Ich hatte schon längst gewünscht, Ihre Geschicklichkeit für mich in Anspruch zu nehmen –

„O bitte sehr, Herr Präsident!“

„Ich habe mehrere Unternehmungen in petto, ein großes Walzwerk, dann will ich ein paar neue Schachte und Stollen graben lassen. Dazu sollen Sie mir die nöthige Hülfe leisten. Sie sind mir als der rechte Mann empfohlen worden; vielleicht würde sich daraus eine dauernde Stellung ergeben. Aber es ist wohl nicht Ihre Absicht, ein festes Engagement anzunehmen?“

„Woraus wollen Sie das schließen, Herr Präsident?“

„Aus Ihrem Schweigen. Sie antworteten mir nicht.“

„Muß denn immer geredet werden, wenn sich einem eine freudige Aussicht eröffnet?“ sagte der junge Mann fast grob.

„Nun, dann freut es mich, mein lieber Herr Lichtner. Wollen wohl heirathen?“

Der Angeredete gab ein paar Laute von sich, die ebenso „Unsinn!“ wie „Ja, ja, und noch einmal ja!“ bedeuten konnten.

„Das war nicht anders zu erwarten, mein lieber Herr Lichtner, fuhr Lideman lächelnd fort. „Ein junger Mann wie Sie – mit lockigem Haar – erste Violine – Spohrspieler – elegische, träumerische Stimmung – lyrische Natur und manchmal sogar ein bischen derb –“

„Stimmt!“ sagte lachend der junge Mann. Und dann seufzte er.

„Ich nehme an, daß sie mehr als eine bloße Neigung für die Saison, eine Ausfüllung für eine Tanzkarte ist – Ihre Liebe.“

„Was denken Sie, Herr Präsident!“

„Hm – tiefe Neigung mit Hindernissen – natürlich, sonst würde sie ja doch nicht so tiefe Wurzeln geschlagen haben. – Aber zurück zu unserer Angelegenheit! Vorerst würde ich Ihnen kleinere Arbeiten auftragen – Sie sollen mir z. B. die Tracirung an Erdwerken, die ich zum Zwecke von großen Wasserbauten aufführen lasse, vom Originale copiren – und darum würde ich um Ihren Besuch bitten, wenn Sie einverstanden sind. Kommen Sie, wann Sie wollen! Für Sie bin ich jederzeit zu sprechen.“

Lichtner nickte nachlässig und war im Begriff, sich zu entfernen, da hielt Lideman ihn am Arme zurück und sagte:

„Sie merken wohl, daß ich eine Ahnung davon habe, in welcher Richtung Ihre stillen Herzenswünsche gehen; und da ich, wie Sie gleichfalls merken werden, Ihnen wohl will, so dürfen Sie schon einem Versprechen, daß ich für Befriedigung der schwiegerelterlichen Ansprüche an Sie sorgen werde, Glauben schenken. Was freilich Ihre reizende Auserwählte betrifft – so

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_111.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)