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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Ettersburg stattfinden. Das Lustschloß Ettersburg und die dasselbe umgebende Waldung waren damals eine der Lieblingsstätten des fürstlichen Liebhabertheaters. „Es ist doch, das weiß Gott! ein schönes Leben so in Wald, Berg und Thal! Unsere beste Herzogin ist hier auch wohl und vergnügt“ – schrieb die Hofdame der Herzogin Amalie, Fräulein von Göchhausen, an Goethe’s Mutter.

In engen Hütten und im reichen Saal,
Auf Höhen Ettersburgs, in Tiefurts Thal,
Im leichten Zelt, auf Teppichen der Pracht,
Und unter dem Gewölb’ der hohen Nacht

wurde, wie Goethe singt, den Musen dramatischer Kunst gehuldigt. Im jungen Buchenwäldchen in der Nähe des Schlosses war eine in frisches Grün gehauene Bühne, der „Komödienplatz“ hergerichtet. Kurzverschnittenes Gebüsch bildete die Coulissen; Wiesen und Bäume waren die natürliche Decoration; ein hohler Baum stellte den Souffleurkasten vor. Dort auf der Waldbühne, unter freiem Himmel, bei Fackelschein, Gesang und Hörnerklang wurde in genialem Humor gespielt. Noch jetzt veranschaulicht ein im Ettersburger Schloß aufbewahrtes Gemälde mit Portraitfiguren von Goethe und Corona Schröter eine solche Vorstellung der Einsiedel’schen Zigeuner-Operette „Adolar und Hilaria“ auf der Waldbühne. Noch jetzt lassen sich Spuren der letzteren in der Waldung auffinden. Noch jetzt trägt in dem Buchenwalde die Rinde des Stammes einer einst prächtigen, später vom Blitz zerstörten Buche die eigenhändig eingeschnittenen Namen der Genossen jener fröhlichen Ettersburger Tage. Aber auch in einem Seitenflügel des Schlosses, in demjenigen Saale, in welchem sich jetzt die Waffensammlung befindet, war eine Bühne hergerichtet. Hier war es, wo am 20. October 1778 Goethe’s „Jahrmarkt von Plundersweilern“ zum allgemeinen Ergötzen aufgeführt wurde; hier, wo später, am 18. August 1780 Goethe’s Bearbeitung von Aristophanes’ Vögeln zu drolliger Aufführung gelangte. Dieser Saal, diese Bühne waren es auch, welche durch die erste Aufführung der „Iphigenie“ für immer geweiht wurden.

Am 6. April 1779 fand sie statt, und die Wirkung war eine gewaltige, ja geradezu überwältigende. Der Dichter selbst war außerordentlich erfreut über die „gar gute Wirkung davon, besonders auf reine Menschen“; man thue Unrecht, meinte er, an dem Empfindens- und Erkennungsvermögen der Menschen zu zweifeln. Goethe, der beim Bühnenspiel in Augen, Geberden und Ton, in Allem seiner lebhafter Mutter glich, zeichnete sich hier bei der Darstellung seines eigenen Helden durch wundervoll bewegtes, begeistertes Spiel aus. In seinem griechischen Costüm erschien er hinreißend schön; man glaubte einen Apoll zu sehen. Noch nie erblickte man eine solche Vereinigung physischer und geistiger Vollkommenheit und Schönheit, wie damals an Goethe. Und Corona Schröter, mit ihrer schlanken, durch das griechische Gewand noch mehr gehobenen Gestalt, mit ihrem gemüthvollen, schön gemäßigten Spiel, ihrer meisterhafter Mimik und Declamation, mußte in Darstellung der hohen, edlen Seele der Jungfrau Jeden zur Bewunderung fortreißen; sie spielte nicht nur, sie war Iphigenie. Sie war die heilig ernste Priesterin, die innig fühlende Schwester, die klar besonnene, mild edle Jungfrau, die im erschütternden Conflict der Pflicht und Neigung nur der Stimme des reinen Innern folgt. In Bewunderung ihrer Schönheit und ihrer Kunst sang Goethe von ihr:

Zum Muster wuchs das schöne Bild empor,
Vollendet nun, sie ist’s und stellt es vor;
Es gönnten ihr die Musen jede Gunst,
Und die Natur erschuf in ihr die Kunst.

Schiller, dem sie im Jahre 1787 Goethe’s Iphigenie nach dem ersten Manuscript vorlas, ward noch davon entzückt, und noch zur Zeit ihres Todes 1802 erinnerten sich die Kunstfreunde in Weimar ihres schönen Spiels als Iphigenie, des Junonischen in ihrer Gestalt, der Majestät in Wuchs und Geberden, welche sie zur Priesterin Dianens berufen hatten. Sie, die seit ihrer Darstellung der Iphigenie Allgefeierte, pflegte seitdem auch außer der Bühne eine dem griechischen Gewande sich annähernde Kleidung zu tragen.

Goethe und Corona Schröter feierten bei jener Darstellung vom 6. April 1779 den höchsten Triumph. Sie waren, wie Ad. Stahr sie treffend bezeichnet, das schönste Menschenpaar, das jemals zusammen auf den Brettern in einer so ganz dem Ideale angehörenden dichterischer Schöpfung zur Verkörperung großer Gestalten gewirkt hat.

Der tiefe Eindruck, welchen die Dichtung und deren Darstellung gemacht, spiegelt sich auch in den reizenden Briefen wieder, welche die Herzogin Amalie und ihre geistreiche Hofdame von Göchhausen darüber an die gute Frau Rath nach Frankfurt schrieben. In meinem Buche „Frau Rath“ habe ich diese in meinem Besitz befindlichen Briefe treu nach den Originalen und mit all der seltsamen Orthographie der letzteren mitgetheilt.

So schrieb am 12. April 1779 Fräulein von Göchhausen an Goethe’s Mutter: „Daß der Herr Doctor seiner Schuldigkeit gemäß seine treffliche ‚Iphigenie’ wird überschickt haben, oder noch schickt, hoffe ich gewiß. – Ich will mich also alles Geschwätzes darüber enthalten und nur so viel sagen, daß er seinen Orest meisterhaft gespielt hat. Sein Kleid, sowie des Pylades seins war Grigisch, und ich hab ihm in meinem Leben noch nicht so schön gesehn. Ueberhaupt wurde das ganze Stück so gut gespielt – daß König und Königin hätten sagen mögen: Liebes Löbchen (Löwchen), brülle noch einmal. Heute wird’s wieder aufgeführt, und so herzlich ich mich darauf freue, so glauben Sie mir, daß ich sehr seelig seyn würde, wenn ich den Mütterlichen Herzen meinen Platz geben könnte.“

Die Herzogin schrieb am 21. April 1779 nach Frankfurt. „Der dritte Feyertag ist glücklich vorbey gegangen, wovon Tusnelde Ihnen Beschreibung gemacht hat. Kurz darauf ist es wiederholt worden und mit dem nähmlichen Beyfall, ich dencke, daß er Ihnen das ganze Stück schiecken wird, und da werden Sie selbst ersehen, wie Schön und vortrefflich es ist und wie sehr seiner würdig;“ und Thusnelda (Fräulein von Göchhausen) schrieb am 21. Mai 1779 an Frau Rath: „Iphigenie“ würd doch nun endlich angekommen seyn? wenigstens hab ich den Doctor (Goethe) und Philipp (Seidel) tagtäglich dazu angemanth, und wie ich nicht anders weiß, hat sie schon lang ihre Wanderung angetreten. Das wird wieder einen seeligen Tag geben, wenn ihr so dazusammen sitzen und euch daran freuen werdet. Daß aber nur die Gesundheit vom Doctor in den besten und ältesten Wein dabey getrunken wird. – Er und seine ‚Iphigenie’ verdienens gewiß.“ Am 12. April wurde die Vorstellung mit derselben Rollenbesetzung wiederholt, und am 12. Juli 1779, beim Besuche des scharfsinnigen Kritikers und Freundes Merck, wurde das Drama wieder in Ettersburg gespielt, doch mit der Aenderung, daß statt des Prinzen Constantin dessen Bruder, der Herzog Karl August, die Rolle des Pylades übernommen hatte. – Das hatte ihm – bemerkte Goethe in sein Tagebuch – ein Vergnügen gemacht, die Rolle des Pylades zu lernen. Die beiden Busenfreunde, Dichter und Fürst, wirkten als Orest und Pylades auf der Bühne.

Des Riesenfortschritts, welchen Goethe und durch ihn die deutsche Poesie mit diesem Drama gemacht hatte, war man sich in Weimar wohlbewußt. Deshalb ließ man auch in Tiefurt bei der Aufführung von „Minervens Geburt, Leben und Thaten“, dem Festspiele zu Goethe’s Geburtstage am 28. August 1781, neben dem Namen „Faust“ den Namen „Iphigenie“ in Feuertransparent erglänzen. –

In Italien vollzog Goethe, erhöhter edler Kunstanschauung folgend, die Umarbeitung seines Dramas; er bildete dasselbe in schöne Verse um, ohne aber die Charaktere, den Gang der Handlung, überhaupt das Wesen seiner herrlichen Dichtung zu ändern. – Später wurde der Dichter an diese Zeit mit den sinnigen Versen erinnert:

„Italiens Lüfte weh’n Dich wieder an.
Du fährst auf’s Meer, in Gondeln von Venedig,
Und still am Ufer gehst Du Abends wieder,
,Das Land der Griechen mit der Seele suchend.’
Da steigen die Gestalten alter Welt,
Aus linder Nacht, im Geiste vor Dir auf.
Du siehst Orest, siehst Iphigenie
Sich freundlich Dir gesellen; Göttern gleich
Ist ihrer Rede Anmuth. Du vernimmst
Sie gern, zu Wechselworten froh gewendet.
So gehst Du, still beseligt, am Gestade,
Bis Dich des Fischers, des rückkehrenden,
Gesänge hold erwecken, wo Du bist.“

Sein Freund Eckermann war es, der ihm am Abend des 7. November 1825 diese Verse widmete. Es war Goethe’s goldener Jubeltag. Zur Festvorstellung in dem aus Schutt und

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