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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Einiges von seinen Schulden aus dem Erlös abgetragen. Das war gewiß brav, aber dennoch wurden er und seine Frau zu je 200 Mark Geldbuße und je 15 Monaten Gefängniß verurtheilt; ein Helfershelfer, der in falschen Attesten verschiedene Leute die Erscheinungen hatte bezeugen lassen, kam mit 5 Monaten davon. Gleiche Betrügereien kamen am 9. Januar 1878 vor dem Zuchtpolizeigericht in Saarbrücken und am 25. Februar dieses Jahres vor der correctionellen Appellkammer in Bonn zur Aburtheilung. Der eine Unfug hatte zu Berschweiler, einem Dörfchen in der Nähe von Marpingen, der andere zu Merzbach bei Bonn gespielt. Das Gericht verhängte über die Hauptanstifter des ersteren Betrugs 6 bis 10 Monate Gefängniß, über den des zweiten eine solche von 6 Monaten und über eine Helferin eine von 14 Tagen.

Zu Marpingen war unseres Erachtens anfänglich der Gelderlös nicht das treibende Motiv, weder für die jugendlichen Erfinder, noch für die geistlichen und literarischen Förderer des Schwindels, später jedoch erschien er den einen wie den anderen als willkommene Zugabe. Auf diese Art erfüllten aber die Betreffenden ja nur die christliche Ordnung und erfuhren dann mit Recht an sich die in der heiligen Schrift gemachte Verheißung: „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit; das Uebrige wird euch dann in den Schooß geworfen werden.“ Nicht gerade in den Schooß wurde es den Wunderkindern zu Marpingen geworfen, aber doch dicht zur Hand: in „Kaulen“, die sie, vor der angeblichen Erscheinung knieend, zwischen sich und letzterer in den Boden gemacht hatten. Fiel, so erzählte ein Zeuge, ein besonders großes Stück, etwa ein Thaler, so hob das geriebenere der drei Gnadenjungferchen das augenfällige Geldstück von der Erde auf und zeigte es mit verstohlenem Schmunzeln seinen Genossinnen. Wir nehmen gerne an, daß Pastor Neureuter von diesen Opfergaben nichts in seine Privattasche gesteckt hat, aber sein Kirchenrechner hat nach eigener Angabe – und zwar ohne jegliche controllirte Buchführung – so wie es ihm die Pfarrersköchin und andere Weiber in Cigarrenkistchen oder der Schürze brachten, vereinnahmt und ohne Ueberschuß für Renovationen an der Kirche verausgabt: im Jahre 1875 (also dem Jahre vor der Erscheinung) 29 Mark; im Jahre 1876 aber schon 200 Mark; im Jahre 1877, wo der Schwindel in’s Kraut schoß, 3984 Mark; im Jahre 1878 sank der Erlös wieder auf 2500 Mark; am 3. September hatte sich die Muttergottes, ganz ihrem am 11. August 1876 den Wunderkindern mitgetheilten Programm gemäß, nach einer vierzehnmonatlichen Besuchsperiode wieder verabschiedet. Da der frommen Pilger während des Jahres 1877 an Wochentagen 600 bis 700, an Sonntagen 6000 bis 8000 – am 2. September sogar 13,000 – am Wunderorte gezählt wurden, so ist die Aussage eines der Belastungszeugen, die Opfergaben hätten in diesem Verhältniß täglich 100 bis 500 Mark betragen, nicht unglaublich.

Ein anderer Zeuge erzählte von einem am Orte der Erscheinung aufgestellten „Kartoffelkorb mit Geld: Thalern, Fünfgroschenstücken und kleiner Münze“. Ein Kaufmann in der benachbarten Stadt Ottweiler, der seit 1873 Geschäfte mit Marpingen machte, erklärte, diese seien seit 1876 viel besser gegangen; er habe, während er früher mit großem Gelde bezahlt worden, seit der genannten Zeit auffällig viele Rollen mit kleiner Münze von dort erhalten, und diese seien vom Pfarrer Neureuter verpackt und signirt gewesen, ein Beweis , daß diese kleine Münze von Letzterem bei seinen Pfarrkindern gegen Großgeld ausgewechselt worden war.

Wie viel die beiden Broschürenschreiber, ein Caplan Dicke zu Minden in Westfalen und ein Redacteur Dr. Thoemes zu Ehrenfeld bei Köln, an Honorar eingeheimst haben, waren sie ja nicht verpflichtet, vor Gericht zu documentiren; ein ansehnlicher Extragewinn, auf den der Zweitgenannte den Mund bereits gespitzt hatte, ist ihm schnöde entgangen. Er hatte sich nach den Angaben der Eingeweihten von dem ihm befreundeten Maler Jodel zu Stuttgart ein Bild der Erscheinung zeichnen lassen und suchte nun das Vervielfältigungsrecht dieser Darstellung bei verschiedenen Verlegern zu Trier, Kevelaer etc. um 4000 Mark zu verwerthen. Ein anderer Speculant war ihm bereits zuvorgekommen. Der greise E. Deger zu Düsseldorf hatte, wie man sagt, auf Andrängen einer hochstehenden Dame, der Rücksicht auf seine redlich erworbenen Ehren so weit vergessen, daß er ein ähnliches Bild entwarf, und die photographischen Nachbildungen hiervon hatten den Markt bereits überschwemmt. Die Thoemes-Jodel’sche Erfindung wurde schließlich doch im Buchhändler-Börsenblatt seitens der Faber’schen Buchhandlung in Mainz ausgeboten – im Victoria-Format zu sechszig Pfennig. Dr. Thoemes stellte vor Gericht seine Interesselosigkeit in das hellste Licht mit der Erklärung, daß er, als Niemand ihm für sein Bild habe etwas geben wollen, es zuletzt umsonst zur Verfügung gestellt habe; sowie mit der weiteren Erklärung, daß er die 4000 Mark dem Bau einer Capelle an der Gnadenstelle gewidmet haben würde, wenn er sie bekommen hätte.

Der Kern der Marpinger Erscheinung und das traurige Ende, welches diese Angelegenheit in den jüngsten Tagen vor den Schranken des Strafgerichts erfuhr, werden in dem zweiten Artikel ihre das Ganze abschließende Darlegung finden.




Abhärtung.
Von Fr. Dornblüth.

Die ursprünglich so weiche und empfindliche Haut der Hohlhand und der Finger wird bekanntlich durch häufiges Handhaben harter Gegenstände allmählich so fest und widerstandskräftig, daß sie ohne Schaden Reibungen verträgt, welche ungewöhnten Händen Schwielen und Blasen verursachen würden. Ferner ist bekannt, daß durch regelmäßig gesteigerte Ausarbeitung der Muskeln in Verbindung mit methodischem, anfänglich sanftem, aber allmählich nachdrücklicherem Reiben und Kneten das Fleisch so fest wird, daß endlich selbst derbe Stöße und Schläge, die bei nicht Abgehärteten Beulen und Blutunterlaufungen hervorrufen, gar keine merklichen Folgen nach sich ziehen.

Durch Emittelung des specifischen Gewichts ist es dem Professor Jäger in Stuttgart gelungen, nachzuweisen oder wenigstens höchst wahrscheinlich zu machen, daß solche Abhärtung auf einer Verminderung des Körpergehaltes an Wasser und Fett gegen eine Vermehrung der festen, eiweißartigen Körperbestandtheile beruhe. Diese Umwandlung geschieht dadurch, daß Gewöhnung und Uebung vermehrten Zufluß von Ernährungssäften und gesteigerte Ernährung der betreffenden Körpertheile hervorrufen; der Saftzufluß darf aber nicht das Aneignungs- und Wachsthumsvermögen der Theile überschreiten, denn alsdann sind Ausschwitzungen wässeriger oder blutiger Flüssigkeiten (Wasser- und Blutblase), Störungen des Zusammenhanges und der Ernährung der verletzten Theile u. dergl. m. die Folge der übermäßigen Reizung. Diese Art von Abhärtung gelingt also nur bei vorsichtiger Reizung, bei nicht zu häufiger Wiederholung und nicht zu rascher Steigerung derselben, sowie bei genügender örtlicher und allgemeiner Ernährung.

Mit geistigen Anstregungen ist es nicht anders: mäßige und vorsichtig gesteigerte Geistesarbeit vermehrt die Geisteskräfte; übermäßige Anstrengung erschöpft sie. Letzteres sehen wir z. B. bei Kindern, die zu früh in die Schule kommen oder mit Lernen und anderen Schularbeiten überlastet werden. Die Geistesarbeit vollzieht sich auf Kosten der im Gehirn vorräthigen Stoffe und Kräfte; wird von diesen mehr verbraucht, als in Ruhepausen – durch Schlaf und Nahrung – ersetzt werden kann, so leidet die Leistungsfähigkeit. Wenn es von Schülern heißt, sie halten in späteren Jahren nicht, was sie früher versprochen haben, so dürfte meistens Ueberanstrengung die Schuld tragen, und wenn man nicht bei den ersten Zeichen der Ermattung für Schonung und Ersatz sorgt, so wird man den Schaden nur schwer wieder gut machen können.

Haben wir bisher mäßige, aber oft wiederholte Reizungen als wesentliche Grundlage der Abhärtung kennen gelernt, so verhält es sich bei der Abhärtung gegen Witterungseinflüsse ganz ebenso, wenngleich der Zusammenhang oft nicht so klar und einfach erscheint. Wer eine mehrwöchentliche Sommerfrische am Meer oder im Gebirge durchmacht und sich dabei zweckmäßig verhält, der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_268.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)