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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

wenn nur die Wüsten nicht wären,’ meinte der Czar, ‚und Lebensmittel für Menschen und Thiere leicht herbeigeschafft werden könnten.’ – ‚Nun,’ erwiderte der französische Gesandte Caulaincourt, der sich wenig um die Erdkunde Asiens bekümmert haben mochte, ,die russischen Truppen, welche von Irkutsk an die Ufer des Rheins gekommen sind, werden auch mit derselben Leichtigkeit zu dem Indus kommen.’“ – –

Schir Ali von Afghanistan.
Nach einer Originalphotographie auf Holz geschnitten.


Mit dem Fall Napoleon’s waren auch diese Pläne gefallen und vergessen und England vernachlässigte es gründlich, eine engere Verbindung mit Afghanistan zu gewinnen. Seitdem aber hat Rußland erst vorsichtig, dann immer dreister die Bewegung nach dem südlichen Asien begonnen, indem es zugleich die Türkei und Persien von seinen dortigen Wegen abschnitt; Kaiser Nicolaus wie Alexander der Zweite – Beide haben ihre Eroberungsgelüste mit großer Ausdauer gegen die mittelasiatischen, vom Padischah und vom persischen Khan losgelösten Fürsten gerichtet. Zuerst durch Räuberanfälle aus Turkmanien, Chiwa und Persien auf die ostasiatischen Karawanen, welche die russische Grenze zum Austausche ihrer Producte gegen europäische aufsuchen , ist Rußland bewogen worden, vom Aralsee östlich vorzudringen. Dann mischte es sich in die Prätendentenstreitigkeiten asiatischer Dynastien bis zum Hindukusch, dem Paropamisus der Alten, der immer die westliche Grenzscheide im Norden Indiens von Centralasien gewesen war. 1876 schritt es endlich zur Einverleibung von Khokan. So haben die Ereignisse zuletzt Afghanistan für Rußland und England die höchste Bedeutung gegeben, als der Barrière, welche den Zusammenstoß der beiden feindlichen Mächte zurückhalten und verhindern kann, und es lag daher seit geraumer Zeit im Interesse der Russen und Briten, die Herrscher von Afghanistan für sich und ihre Absichten zu gewinnen.

Der Hof von Kabul und Kandahar wurde der Schauplatz für das diplomatische Lügenspiel, der feile Markt für erkaufte Bündnisse und Wortbruch. Der Afghanenfürst und die räuberischen Turkmanenstämme der Nachbarschaft streckten die habgierigen Hände nach allen Richtungen, nahmen von Russen und Briten und täuschten beide. Die neuesten Vorgänge, die Flucht und der Tod Schir Ali’s, der den problematischen Muth hatte, den Briten den Fehdehandschuh hinzuwerfen, setzen wir als bekannt voraus, und geben nur in einem kurzen Nekrolog desselben ein typisches Bild eines Afghanenfürsten.

Dost Mohammed Khan, der Vater Schir Ali’s, hatte mehr als sechszehn Söhne und etwa noch einmal so viel Töchter. Schir Ali war der jüngere, 1825 geborene Sprosse von einer der späteren Frauen. Seine Jugend verbrachte er, wie alle afghanischen Prinzen, in Uebung der noblen Passionen und des Kriegshandwerks; seine Bildung war mäßig. Obgleich ein jüngerer Sprößling, wurde er mit Hintansetzung des älteren Bruders früh zum Nachfolger bestimmt.

Schir Ali war vor Allem Krieger und gefiel sich am meisten in der turkmanischen Reitertracht, in langem Oberrock und Pelzmütze, wie ihn unser Bild zeigt. Er war von kräftiger, gedrungener Gestalt, mit breitem Kopf und etwas länglicher Nase. Seine Gesichtszüge hatten das Gepräge von Ruhe, fast Melancholie, während sein Blick Schlauheit und Tücke verrieth. In einem Lande, wie das seinige, wo Herrschermacht und Einfluß nur durch reiche Besoldung der zahlreichen hungerigen Khane und Serdare zu bewerkstelligen ist, und wo der Feinde so viele auf ihren Posten lauern, ist es leicht erklärlich, daß er vor Allem nach Vermehrung der Geldmittel strebte. So hat er denn auch wie ein cultivirter Depossedirter und fürstlicher Durchgänger ein namhaftes Vermögen auf seiner Flucht mitgenommen. Als Kind dem Bruderneid ausgesetzt, hatte Schir Ali schon früh in der Schule der Ränke viel gelernt. Er war mißtrauisch gegen seine Umgebung, noch mehr gegen seine Brüder. Seit 1863 auf dem väterlichen Thron, hatte er einen langen ränkevollen Kampf mit seinen Brüdern zu bestehen, dem, nach siegreicher Beendigung desselben, alsbald ein neuer blutiger Intriguenkampf mit dem eigenen Sohn, nunmehrigen Nachfolger, Jakub Khan sich anschloß.

Möglich, daß Schir Ali ohne diese harten Schicksalsschläge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_288.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)