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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

fast nie. Der Bey gestattet sich den billigen Luxus, alle, die um kleinerer Vergehen willen geringe Strafen verbüßen, in Eisen schmieden zu lassen. Das klappert so hübsch, nimmt sich so großartig aus, macht jeden kurzen Ausflug zu einem Triumphzuge. Seit man ihm die Sclavenmärkte gesperrt, das Sclavenhalten gelegt hat, sucht er in seinen Gefangenen Entschädigung.

Er darf sich diese Entschädigung aber nur durch die eigenen Landeskinder bereiten. Die Rechtspflege ist in Tunis so verrufen, daß, wer nur irgend kann, bei den Consuln der auswärtigen Mächte rechtlichen Schutz sucht. Bei den fremden Zuzüglern wäre das selbstverständlich; indessen auch Leute, deren Voreltern schon im Tunesischen geboren sind, die hier mit eigener Familie leben, wollen nicht Untertanen von Mohammed es-Sadok sein. „Ich bin Grieche, ich Engländer, Franzose, Italiener, Amerikaner,“ antworten die Leute, wenn man mit ihnen im Kaffeehause plaudert. Keiner aber hat je sein Vaterland gesehen. Von Malta, Sicilien, Algier und den Balearen sind die Voreltern einst eingewandert; hier haben sie sich verheirathet, Geschäfte gegründet, ihre Landsmannschaft aber keineswegs geopfert für das zweifelhafte Glück tunesische Bürger zu werden. Denn das hat sein Bedenken.

Der Bey ist oberster Richter im Lande. Zweimal in jeder Woche hält er Gericht. Als einziges Gesetz gilt ihm der Koran, und sein persönliches Belieben als höchste und einzige Instanz. Im Palaste von Goletta, hier am Strande des Meeres, wo er den Sommer über lebt, sitzt er während dieser Zeit zu Gericht. Das ist possierlich anzusehen. Mit seinen Lieblingen, einer Schaar von vierzig bis fünfzig schönen Knaben und Jünglingen, aus denen er je nach Laune seine Minister, Generale, hohen Würdenträger ernennt, zieht er umher, die begünstigten begleiten ihn in den Gerichtssaal. Der Angeklagte darf sich nicht vertheidigen; der Bey läßt sich die Sache vortragen und fällt dann den Spruch. Viel Mühe mit langen Begründungen seines Urtheils giebt er sich nicht. Macht er einen Hieb mit der flachen Hand senkrecht durch die Luft, so heißt das kurzweg: Aufhängen! Ein horizontaler Schlag mit der Hand bedeutet: Kopfabschlagen! Auf Weiteres läßt er sich selten ein; höchstens noch wird sein Richterbewußtsein lebhafter erregt, wenn er einen reichen Uebelthäter zu großer Geldstrafe verurtheilen kann.

Gewöhnliche Strafen, Kette, Galeere müssen die Getreuen nach eigener Einsicht dictiren, und ein festes Strafmaß wird dabei selten verhängt. Die Verwandten des Verurtheilten mögen kommen und diesen losbitten. Bringen sie dazu einen strotzenden Geldbeutel mit, so hat das Gesuch jedenfalls schnelleren Erfolg.

Aber auch außerdem sollen die tunesischen Landeskinder mancherlei Widerlichkeiten ausgesetzt sein. Der Bey betrachtet sich als Herr und Eigenthümer von allem Grund und Boden im Lande. „Gefällt Dir dieser Garten?“ fragt er bei guter Laune wohl einen seiner Günstlinge; „gut, ich schenke ihn Dir.“ Wenn er so etwas einmal mit dem Besitze französischer Unterthanen hat thun wollen, so ist dann doch sofort von den Consulaten wirksam Einspruch erhoben worden. Mag also Herr von Sancy in dem Streite mit der Regierung des Bey damals im Unrecht gewesen sein, die Rechtszustände sind derartig im Lande, daß hier Schlauheit, Willkür, brutale Macht immer Recht behält. Der Bey hat es hinnehmen müssen, daß man auch einmal den Speer umkehrt und ihm damit zu Leibe geht. Alles in diesem Lande macht den Eindruck, als spüre Jedes, daß es mit dem Reste von Herrlichkeit zu Ende geht, daß Verwaltung, Rechtszustände und Besitz in der Auflösung begriffen sind.

Die Regierung thut nichts für den Verkehr. Auf einem französischen, italienischen oder englischen Dampfer kommen wir an; auf einer englischen Eisenbahn fahren wir vom Hafen zur Hauptstadt, die eine Stunde entfernt im Lande liegt, zwischen anmuthigen Hügeln. Von diesen Hügeln umkränzt, zwischen dem Hafen und der arabischen Hauptstadt, liegt der klare Spiegel eines Landsees, El Bahira genannt. Das Landschaftsbild, das wir während der Fahrt genießen, ist lieblich, eigenthümlich, voller orientalischer Typen. Von drüben her grüßen die Minarets der Residenzstadt, die aus einer Unmasse weißer, würfelförmiger Häuser besteht. Auf den Vorsprüngen der Hügel, die in den Bahirasee hinausblicken, liegen maurische Schlößchen, Landhäuser der Begüterten, von Gärten umschlossen, in denen die Banane reift, die schlanken Palmen dicht voll Dattelfrüchten hängen.

Der Landsee ist seicht und sumpfig. Früher verkehrte auf ihm ein kleiner englischer Dampfer. Der hat die Fahrten einstellen müssen, weil der Grund mehr und mehr verschlammt, weil ganz Tunis den Bahira als seine Cloake benutzt und allen Unrath dort hinein versenkt. Die Engländer hatten sich erboten, das Wasser zu canalisiren und sich durch den Schiffsverkehr, sowie durch die Kunstschätze des alten Karthago bezahlt zu machen, die sie in dem See zu finden hofften. Der Bey will das nicht erlauben.

Es geht die Sage, daß zwei ungeheure Säulen von massivem Golde einst in den See versenkt worden seien. Die möchte er den Engländern nicht gönnen, sie für sich selbst fischen, vielleicht um einige drückende Schulden zu bezahlen, vielleicht um das flotte Leben noch einige Zeit weiterführen zu können. Aber er selbst kommt nicht dazu, den Bahira zu reinigen; er kommt überhaupt zu nichts mehr. Jetzt bauen die Franzosen eine Bahn aus dem Innern von Algerien bis nach Tunis quer durch das Land. Wird nun noch das Canalwerk nach der Wüste hin ernstlich in Angriff genommen, so findet sich gewiß wieder eine zweite tunesische Frage.

Im Bahirasee stehen träumerisch Tausende von farbeprächtigen Flamingos mit zartem rosenrothem Gefieder aufgereiht, um nach Fischen zu schnappen; auf den schilfigen Uferwiesen weiden Rudel von Kameelen; aus dem Röhricht flattern Schnepfen auf, als unsere Maschine vorüberknattert. Die Jäger der Gesellschaft lachen vergnügt. Jeder hat sein Schießzeug mit und will in Tunis jagen. Denn auf allem Grund und Boden, selbst in dem eingefriedigten Privatbesitz, steht Jedermann die Jagd gänzlich frei. Die Genügsamen knallen zwischen die Wachtel- und Krammetsvögelschwärme; Bequeme miethen ein Boot und lauern den Schnepfen auf, möchten auch wohl gar einen der scheuen Flamingos erlegen. Ganze Jagdzüge von unternehmenden Engländern und Franzosen brechen auf nach dem Innern, suchen die Wildschweine auf, jagen den Schakal, die flinke Gazelle, das große Vogelwild.

Endlich langen wir in der Hauptstadt an.

Tunis hat sich in seinem Charakter völlig als orientalische, arabische, maurische Stadt erhalten, während in den benachbarten Städten von Algerien die Kabylen, Araber, Mauren in bestimmte Winkel zurückgedrängt worden sind und durch den immerwährenden Verkehr mit den Franken viel von ihrer Ursprünglichkeit verloren haben. Der Tag unserer Ankunft ist ein Freitag. Das ist der Sonntag der Muselmanen. Da lohnt es nicht, ist der Stadt umherzuschlendern, denn die Bazare sind leer, die Schreibstuben, die Schulen, die Werkstätten geschlossen; in die Moscheen und die Schlösser darf man nicht hinein. Die Männer schreiten zu den Thoren hinaus. In weite Gewänder von hellfarbigem Tuche gehüllt, mit schweren Goldstickereien bedeckt, wandeln sie majestätisch einher wie die Könige aus dem Morgenlande. Oft umhüllt ihnen ein goldgestickter Burnus von seidenem Florstoffe die hohe Gestalt; immer windet sich ein golddurchwirktes weißes Schleiertuch als Turban um das Haupt. Die Männer sind sehr schön, von freiem Anstande, schlankem Wuchse, olivenfarbener Haut, mit großen, weitgeschnittenen Augen, die bläuliches Perlmutterweiß füllt. Sie verstehen ihre Gewandungen zu tragen und zu werfen wie Griechen und Römer. Selbst der kleine Junge schlägt den Burnus in edlem Faltenwurf um die Schulter, daß es eine Freude ist, ihm zuzusehen. Viele Araber aus Algier erkennt man an der abweichenden Tracht. Es sind das meist wohlhabende Leute, die sich dem französischen Joche, den verachteten Christen nicht haben beugen wollen und hierher übergesiedelt sind, um unter mohammedanischer Herrschaft zu leben und zu sterben. Die Frauen wagen sich selten aus den verschlossenen Häusern hervor. Sie mummen ihr Gesicht in schwarze Tücher, die aussehen wie Masken, gleiten scheu an den Mauern hin und fürchten den Blick des Fremdlings.

Wir verlassen die große Promenade der Europäer, die von dem Marinethor der Stadt zu den Gestaden des Bahira führt und gegen Abend stark besucht wird. Wir folgen den Eingeborenen, die das Spazierengehen nicht kennen. Ihr Ziel ist einer der zahlreichen maurischen Friedhöfe, der Begräbnißstätten, die rings um die Stadt liegen. Uns Christen wird der Eintritt streng gewehrt. Mit lauten Flüchen, mit Steinwürfen und Schlägen verscheucht man den Ungläubigen von der heiligen Stätte. Aber wie Alles in Tunis, so sind auch die Kirchhöfe und ihre Mauern gänzlich verfallen. Man sieht durch einen Riß, über eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 451. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_451.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)