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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Nagel und einen massiven Stock in die Hand. Während die Tischgenossen verwundert dem plötzlich Aufbrechenden ein „Gute Nacht, Meister Bahring!“ nachwünschten, war dieser schon fast am Ausgang. Hier sah man ihn stille stehen und in die Tasche des grauen Flausrocks greifen, den er angezogen. Er schien verwundert und kam zurück. Er suchte am Boden unter der Stelle, wo sein Rock gehangen, auch unter dem Stuhl, auf dem er gesessen, und ging dann rasch und mürrisch auf den Wirth los.

„Ich muß mein Taschentuch verloren haben,“ sagte er kurz. „Lassen Sie morgen ordentlich nachsehen. Es ist K. B. gezeichnet, weißleinen. Ich will jetzt die Gesellschaft nicht stören.“ Dabei wanderte sein Auge in der Richtung, wo Meister Wolf stand, um von seinen Tischgenossen Abschied zu nehmen. „Ich komme morgen, um nachzufragen.“ Damit ging er.

Als wenige Minuten später Wolf sich der Ausgangsthür näherte, fühlte er sich am Arm ergriffen und schaute in die ruhigen Züge seines Gesellen King.

„Meister,“ sagte dieser, „nehmen Sie sich vor dem Menschen in Acht!“

Die Worte waren laut gesprochen, wie in Angst, die um Hülfe ruft, sodaß die Nächstsitzenden sie wohl verstehen konnten.

„Vor wem meinen Sie?“ fragte Wolf lebhaft.

„Vor Bahring natürlich!“ entgegnete King mit verständnißvollem Blinzeln. „Er schien sehr aufgeregt und eilig, wie um vor Ihnen die Thür zu erreichen. Ich werde Sie begleiten.“

„Ah bah,“ erwiderte Wolf lächelnd. „Draußen ist es ja fast noch hell. Und dann bitt’ ich Sie – was sollte mir geschehen? Wie können Sie Bahring so etwas zutrauen?“

King zuckte die Achseln.

„Wie Sie wollen!“ sagte er. „Nur bis zu Ihrem Hause nehmen Sie mein Geleit an! Dann, wenn Sie mir’s erlauben, möchte ich allerdings noch ein Stündchen hier bleiben.“

Wolf war wieder etwas roth geworden. Er wußte, daß man ihm die höchste Potenz von Muth und Kraft nicht zutraute. Und der Geselle sprach so unvernünftig laut, gewiß nur in der lebhaften Fürsorge für das Wohl seines Herrn. Aber mochte kommen, was da wollte, Wolf durfte sich unter solchen Umständen nicht nach Hause begleiten lassen wie ein schwaches Frauenzimmer.

„Bleiben Sie hier, King!“ sagte er fest. „So lange Sie wollen. Sie haben ja einen Hausschlüssel. Und sagen Sie nie wieder so etwas über Bahring!“

„Wie Sie denken, Meister,“ erwiderte King. „Aber seien Sie vorsichtig! – Schließen Sie Alles!“ setzte er leiser hinzu. „Auch die Hinterthür. Ich werde längstens um elf Uhr zu Hause sein.“

Wolf ging. Er war durch die Mittheilungen des Gesellen doch etwas erregter geworden, als er verrathen wollte. Er nahm draußen den Stock mit dem Bleiknopf verkehrt in die Hand und spähte scheu in die fast nächtlichen Schatten der Höfe und Winkel, die er auf dem Heimwege passiren mußte; denn Karl Bahring hatte sich verschworen, „daß ein Unglück geschehen werde,“ als ihm Nanette den Absagebrief gesandt. So erzählte man sich, und es gab Leute, die solche Reden Bahring’s gehört haben wollten. Der wilde, verschlossene Mensch war wohl im Stande, irgend eine Gewaltthat auszuführen gegen den glücklicheren Nebenbuhler, gegen das Mädchen, das seine Liebe verschmäht, vielleicht gegen Beide. Aber Wolf traf unterwegs nicht auf Bahring. Er fand auch im Hause seiner Mutter durchaus nichts Verdächtiges. Er durchsuchte, nachdem er die Damen kurz begrüßt hatte, das ganze Haus. Am Tage zuvor war ihm eine große Partie werthvoller Felle zur Zubereitung gesandt worden, und es hatte daher nichts Auffallendes, daß er gegen halb zehn Uhr die beiden Lehrlinge aufforderte, ihm vor dem Schlafengehen noch einmal in die Werkstatt, das Verkaufslocal und in den Keller zu leuchten. Auch hier war Alles unverdächtig. Die Lehrlinge begaben sich dann sogleich zur Ruhe, in ihre Kammer in der zweiten Etage.

Wolf kehrte zu den Damen zurück, mit denen er bis nach zehn Uhr in traulichem Geplauder zusammenblieb. Zukünftiges und Vergangenes wurde mit der Mutter, mit der künftigen Schwiegermama, in Liebe und Glück durchsprochen – mit besonderem Behagen Zukünftiges. Die Hochzeit wurde auf Anfang August festgesetzt. Im Hause sollte soviel wie möglich unverändert bleiben; die Parterreräume zur Linken des Hausflurs sollte nach wie vor die Mutter Wolf’s bewohnen, wogegen die Räume des Erdgeschosses zur Rechten in alter Weise dem Geschäft reservirt bleiben sollten. Die erste Etage war dem Haushalt des jungen Paares bestimmt. Sie stand jetzt leer. Nur des jungen Meisters Schlafzimmer befand sich hier, in dem Seitengebäude links von dem offenen Flur, auf den die Treppe mündete; gerade über dem Schlafzimmer der Mutter schlief der Sohn. Auch dabei sollte es bleiben, wenn er verheirathet wäre. Die Bestimmung der übrigen Zimmer und Räume der ersten Etage wurde gemeinsam besprochen, auch ausgemacht, daß das Geschäft mit der Hochzeit an den Sohn übergehen sollte. Alles das und noch viel anderes mehr, was dem hoffenden Herzen des Bräutigams und dem sorgenden Sinn der Mutter wichtig erschien, wurde heute Abend beredet, beschlossen. Ueberglücklich suchte Wolf sein Lager auf. Die Damen hörten, wie er sein Fenster öffnete, vermuthlich um die milde Nachtluft vor dem Schlafengehen noch in vollen Zügen zu athmen. Sie lächelten, als sie ihn dann noch einmal durch all die obern Räume, welche die Heimstätte seines jungen Eheglückes bilden sollten, schreiten und jede Thür noch einmal auf- und zuschließen hörten – vermuthlich wollte er sich den Anblick dieses künftigen Paradieses noch einmal verschaffen. Dann vernahmen sie, wie er in sein Schlafzimmer zurückkehrte und das Fenster schloß. Sein Licht erlosch. Er war zur Ruhe gegangen.

Das Dienstmädchen Margret meldete sich in den an einander stoßenden Schlafzimmern der Damen, um zu fragen, ob sie noch etwas zu befehlen hätten. Auch sie wurde entlassen. Sie prüfte, wie sie stets that, ehe sie in’s Bett ging, den Verschluß der Haus- und Hofthür und fand die erstere verschlossen, die letztere von innen verriegelt. Dann stieg sie die zwei Treppen hinauf in ihre Kammer, die rechts vom Dachflur lag. Zur Linken des geräumigen Dachflurs schliefen die beiden Lehrlinge. Neben der Lehrlingskammer, und nur durch diese erreichbar, wenn auch durch einen Bretterverschlag von derselben geschieden, stand die bis zur Stunde noch unberührte Lagerstätte des Gesellen King. Es schlug gerade halb elf Uhr, als Margret ihre Thür innen abriegelte und sich zur Ruhe legte. Im ganzen Hause herrschte jetzt tiefes Schweigen.




Josua King war nach dem Weggang seines Principals an den Tisch zurückgekehrt, an dem er zuvor gesessen. Er war der einzige Geselle, der in dieser Gesellschaft von Honoratioren geduldet wurde, und er durfte stolz sein auf diese Ausnahme, denn er hatte sie durch seine eigene Tüchtigkeit und sein ungewöhnliches geselliges Talent errungen. King war etwa seit anderthalb Jahren in Wolf’s Diensten. Er war ein überaus tüchtiger und fleißiger Arbeiter, der Wolf unentbehrlich geworden war und darum vom Meister in Lohn und in allen sonstigen Verhältnissen sehr warm gehalten wurde. Er genoß das Privilegium eines Hausschlüssels und aß mit am Familientische. Nicht selten wurde er mit dem Einkaufsgeschäft an anderen Plätzen betraut. In allen Berufsarbeiten bewies er die größte Sachkenntniß, die redlichste Treue. Er war weit herumgekommen in Deutschland und hatte überall Tüchtiges gelernt. Bei allen diesen Vorzügen war er sehr bescheiden und ergeben gegen Wolf und dessen Mutter. Beide hatten nie einen besseren Gesellen gehabt, und wünschten sich keinen anderen.

Josua King stammte aus dem Osten Preußens, war ein schöner Mann, groß, breitschulterig und doch schlank von Gestalt, gewandt in seinen Bewegungen. Um die breite Stirn ringelte sich das blonde Haar in natürlichen Locken, und ein mächtiger blonder Bart umrahmte das Gesicht. Lebhaft funkelten die großen grauen Augen. Das ganze Gesicht hatte etwas Löwenartiges. Er wurde auch der Löwe des Ortes, sobald man entdeckte, daß er ausgezeichnet tanzte, Schlittschuh lief, Komödie spielte und vortrefflich festliche Unterhaltungen anzuordnen verstand. Dieses seltene Maß von geselligem Talent brachte ihn zuerst in die Liebhabertheatergesellschaft, später auch in die aristokratische Sphäre der Ressource. Wolf selbst hatte den Gesellen hier zur Aufnahme vorgeschlagen und die Gesellschaft bisher noch nie bereut, ihn aufgenommen zu haben. Manche reifere Schöne rümpfte freilich auf dem ersten Ressourcenball, den King als Mitglied mitmachte, ihr Näschen darüber, daß jüngere Blüthen ihres Geschlechts mit dem Kürschnergesellen tanzen möchten, und beklagte gegenüber den ruhig dasitzenden Altersgenossinnen, wenn King mit seiner Tänzerin graciös vorüberflog, den Verfall der Würde der Gesellschaft, welche früher so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_543.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)